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Deutschland, wie geht's dir?: „Plötzlich ist möglich, was zuvor nicht ging!“

Angst vor der zweiten Welle und Hoffen auf das Lieblingsrestaurant. Wir haben Menschen zu ihrer Stimmung befragt. Zu Beginn der Krise. Und jetzt.

Schon zu Beginn der Krise hat der Tagesspiegel Menschen aus vielen Bereichen und quer durch Deutschland zu Wort kommen lassen, über Ängste, Sorgen und Hoffnungen in der Corona-Zeit.

Nun befragen wir sie wieder.

[Was die Meinungsforschung in Deutschland über die Stimmung in der Bevölkerung herausgefunden hat, können Sie hier nachlesen: Wie die Gefühle der Menschen sich verändert haben]

Annikke Fiberg, Pflegerin

Annikke Fiberg erlebte den Beginn der Krise im Urlaub in Goa und kam kaum nach Deutschland zurück.
Annikke Fiberg erlebte den Beginn der Krise im Urlaub in Goa und kam kaum nach Deutschland zurück.

© privat

„Ich arbeite als Pflegerin auf einer Station der Charité, den Auswirkungen der Pandemie bin ich aber in Goa in Westindien begegnet, Ende März im Urlaub. Wir waren dort mehrere Tage gestrandet, bis uns das Auswärtige Amt zurückholen konnte. Ein Bus hat uns in eine Kaserne der indischen Marine gebracht, dann ging es mit dem Flugzeug über Mumbai nach Frankfurt. Dort gab es nur die normale Passkontrolle, sonst nichts, wir sind fast alleine durch den Flughafen gelaufen.

Mit dem Zug sind wir weiter nach Berlin gefahren, nach fünf Wochen war ich wieder zu Hause, in einer fast leeren Stadt – das war seltsam, aber auch schön. Mein Sohn hat mir die wichtigsten Regeln erklärt: Hände waschen, Abstand halten, umarmen sollte ich ihn nicht. Nach einem negativen Corona-Test durfte ich wieder arbeiten.

Wir haben viel zu tun – nach zwei Wochen habe ich mich gefühlt, als sei ich schon zwei Monate im Dienst. Was die nächste Zeit angeht, bin ich eher skeptisch. Natürlich möchte ich wieder essen gehen, ins Kino, in die Sauna. Ein volles Restaurant werde ich aber bestimmt nicht besuchen.“

Wie Annikke Friberg den Beginn der Krise wahrnahm, lesen Sie hier

Sabine Maur, Therapeutin

Sabine Maur behandelt ihre Patienten jetzt per Video-Schalte.
Sabine Maur behandelt ihre Patienten jetzt per Video-Schalte.

© privat

„Ich arbeite als Psychotherapeutin in Mainz und mein Eindruck ist: Die psychische Belastung nimmt gerade eher zu als ab. Anfangs war der Lockdown für viele meiner Patienten eine Erlösung, denn oft hatten sie ohnehin Probleme in der Schule und konnten zu Hause mehr Ruhe finden.

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Die Angst hat jetzt abgenommen, aber dafür wird es umso schwieriger für die Kinder und Jugendlichen, ihre Struktur aufrechtzuerhalten. Ich merke, wie Ermüdungserscheinungen eintreten. Es fehlt die Orientierung. Ihnen fehlen die sozialen Kontakte, sie können ihre Hobbys nicht ausüben und sich nicht beim Sport verausgaben, sie leiden unter der diffusen Beschulungssituation und sind frustriert, wenn sie mit Wochenplänen nicht hinterherkommen.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog]

Das hört jetzt nicht sofort auf, denn in Rheinland-Pfalz wird der Unterricht über sechs Wochen hochgefahren, vielerorts wird halbklassig beschult. Derzeit sehe ich etwa 50 Prozent meiner Patienten per Video-call und die anderen in meiner Praxis. Ich lerne aus dieser Zeit, dass die Videosprechstunde gut funktioniert. Viele meiner Patienten freuen sich aber schon auf die Praxis.“

Wie Sabine Maur den Beginn der Krise wahrnahm, lesen Sie hier

Stephan Pusch, Landrat von Heinsberg

Stephan Pusch ist Landrat in Heinsberg - wo der Ausnahmezustand in Deutschland begann.
Stephan Pusch ist Landrat in Heinsberg - wo der Ausnahmezustand in Deutschland begann.

© dpa

„Der Zustand jetzt? Ich nenne es mal ,angespannte Gelassenheit’. In der Krisensitzung heute Morgen konnten wir zum ersten Mal eine zweistellige Zahl aktuell Infizierter im Kreis Heinsberg melden: 99. Insgesamt gehen die Fallzahlen kontinuierlich runter.

Wir waren ja in Deutschland als erste betroffen, da tut es ganz gut, dass wir jetzt einen Moment zum Luftholen haben. Immerhin war ich mit meiner Familie schon wieder einmal in einem Restaurant essen. Nach der reinen Lehre müssten Krisenteams nach drei Wochen ausgetauscht werden, aber wir haben ja niemanden auf der Ersatzbank. Unsere Ämter sind jetzt seit über zehn Wochen im Ausnahmezustand mit Urlaubssperre und Überstunden. Aber in der Bevölkerung verblassen die grellen Bilder, und jetzt sagen schon die ersten: War doch alles halb so schlimm.

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Die große Politik übertrifft sich mit Lockerungen. Wir müssen aufpassen, dass das kein Schwarze-Peter-Spiel wird, wenn die lokalen Behörden dann wieder für die Verschärfungen zuständig sein sollen. Aber ich nehme die Aufgabe an: Bei der Öffnung der Schulen hatten wir in drei Schulen jeweils einen Fall – aber nachweislich hat niemand einen anderen angesteckt.“

Wie Stephan Pusch die Krise früher wahrnahm, lesen Sie hier

Albrecht P., Bundeswehroffizier

Albrecht P. leistete dem ersten bekannten Corona-Infizierten in Berlin Erste Hilfe - und steckte sich an.
Albrecht P. leistete dem ersten bekannten Corona-Infizierten in Berlin Erste Hilfe - und steckte sich an.

© Sven Darmer/Davids

„Den ganzen März war ich in Quarantäne. Ich hatte einem Bekannten Erste Hilfe geleistet, der, wie sich später herausgestellt hat, der erste Corona-Infizierte Berlins war. Der erste Mensch, dem ich begegnete, als ich zum ersten Mal wieder die Wohnung verließ, war der Postbote. Alle Geschäfte waren zu. Den Menschen sah man an, dass sie mit sich selbst beschäftigt waren.

Ich hatte ja nicht mitbekommen, wie das Leben nach und nach aus der Stadt verschwunden war. Als ich wieder zur Arbeit ging, war das ein gutes Gefühl, denn dort war alles wie immer, nur dass wir jetzt mehr Abstand halten. Ich genieße diese Wochen, in denen weniger los ist in der Stadt. Sonst bin ich viel unterwegs, jetzt habe ich Zeit, Dinge für mich zu tun.

Obwohl ich als Genesener höchstwahrscheinlich immun bin, träume ich nicht davon, an italienische Strände zu fahren. Ich warte lieber darauf, bis ich wieder mit meinen Freunden Urlaub machen kann. Am Wochenende habe ich nach langer Zeit wieder meine Eltern besucht. Das hätte ich nicht gemacht, wenn ich nicht Corona bereits hinter mir hätte.“

Wie Albrecht P. die Quarantäne erlebte, lesen Sie hier

Alex Hilz, DJ

Alex Hilz ist DJ - seine Profession ist in der einstigen Party-Hauptstadt Berlin allerdings gerade nicht so gefragt.
Alex Hilz ist DJ - seine Profession ist in der einstigen Party-Hauptstadt Berlin allerdings gerade nicht so gefragt.

© promo

„Ich mache Elektromusik, gerne live in Clubs und betreibe eine kleine Musikagentur. Nichts davon ist zur Zeit gefragt. Ich habe schon am Anfang der Krise gesagt, dass jede Situation als Lehrer zu dir kommt. So bin ich auch mit der Pandemie umgegangen. Ich habe mit anderen ein neues Party-Konzept ausgearbeitet, Musik produziert, viel gelesen, war viel in der Natur. Der Lockdown hat mich schon im ersten Monat 5000 Euro gekostet.

Aber an die Hilfe des Senats bin ich reibungslos gekommen. Außerdem habe ich einen 20-Stunden-Job, existenzielle Sorgen habe ich daher nicht. Aber viele Kollegen haben einen kompletten Ausfall, keine Alternativen. Das wird die Stadt massiv verändern. Die kleineren Clubs zum Beispiel haben kein großes Backup.

Wer nimmt dann diesen Platz ein? Kultur oder Wirtschaft? Es ist eine einzigartige Zeit, auch verrückt. Ich merke auch, wie viele sich schon an die Maskentragerei gewöhnt haben. Vor Wochen wurde man noch schräg angeguckt, wenn man eine Maske trug, heute wird man schräg angeguckt, wenn man keine trägt. Es geht alles über die Augen. Die haben viel mehr zu erzählen als der Rest des Körpers.“

Wie Alex Hilz, den Beginn der Krise wahrnahm, lesen Sie hier

Jörg Richert, Sozialarbeiter

Jörg Richert ist Sozialarbeiter bei Karuna - und ganz euphorisch, das plötzlich so viel für Obdachlose getan werden kann.
Jörg Richert ist Sozialarbeiter bei Karuna - und ganz euphorisch, das plötzlich so viel für Obdachlose getan werden kann.

© Sven Darmer/Davids

„Die Krise hat eine ungeheure Solidarität geweckt. Gerade für Obdachlose, also Menschen, die ja eigentlich dauerhaft unter „social distancing“ leiden. Das macht mich immer noch euphorisch, denn plötzlich ist möglich, was zuvor nicht ging. Die Stadtwerke bringen diese Woche die ersten Solar-Radios vorbei, die wir austeilen können. Die BSR hat Geld gespendet, wir verteilen täglich 400 Portionen Suppe in der Stadt. Die Wasserwerke haben bislang insgesamt 20.000 Liter Trinkwasser in Notfallbeuteln bereitgestellt. Und wir sind von der Kältehilfe nahtlos in die Planung der Hitzehilfe für einen dürren Sommer gegangen: Neben mir steht gerade der Prototyp einer mobilen Dusche. Jetzt konzentrieren wir uns auf Jugendliche, denn es gab im Lockdown eine starke Zunahme von „Weglaufkindern“: Zehn Prozent mehr als in normalen Zeiten sind von zu Hause abgehauen. Sie sind auf der Straße unerfahren und gehen schnell auf jemanden ein, der eine Wohnung anbietet. Der Gedanke an die so entstehenden Abhängigkeitsverhältnisse und den möglichen Missbrauch schnürt mir den Hals zu.

Wie Jörg Richert die Krise früher erlebte, lesen Sie hier

Farina Kerekes, Einzelhandelskauffrau

Farina Kerekes, 30, arbeitet als Kassiererin im Supermarkt.
Farina Kerekes, 30, arbeitet als Kassiererin im Supermarkt.

© privat

„Seit letzter Woche hat es sich endlich ausgehamstert! Bei uns im Ruhrgebiet, wo so viele Menschen leben, hat es wohl etwas länger gedauert als im Rest der Republik, aber jetzt ist Klopapier wieder regulär zu haben. Nur das Desinfektionsmittel ist noch knapp. Was nicht besser geworden ist: die Stimmung. Zu Beginn der Pandemie gab es eine Welle der Solidarität, manche haben uns Kassierern sogar Süßigkeiten geschenkt. Das hat nicht lange angehalten. Viele sind gestresst vom Lockdown, ständig werde ich in Diskussionen über Verschwörungstheorien verwickelt. Manche kommen nur, um Streit mit uns anzufangen. Wir sind der falsche Adressat dafür! Auch die Security ist nur noch mit Leuten beschäftigt, die sich weigern, eine Maske zu tragen oder sie korrekt über Mund und Nase zu ziehen. Es wird auch viel mehr geklaut – vielleicht, weil die Menschen denken, wir stehen eh am Abgrund und die Plünderungen sind nah. Ich bin so dankbar für die umfassende Maskenpflicht bei uns in NRW. Natürlich ist es ultra anstrengend zehn Stunden diese Hitze des Ausatmens zu ertragen. Aber es ist die einzige Möglichkeit. Neulich hat mich eine ältere Dame angehustet, ich konnte die Tröpfchen auf meinem Arm spüren – das wäre mit Maske nicht passiert.

Ich habe Angst vor einer zweiten Welle und frage mich, warum die Regierung auf die Wirtschaftslobby statt auf die Virologen hört. Ich habe einen Heidenrespekt vor dem Virus. Ich habe keinen Bock zu sterben, nur weil jemand nicht richtig niesen kann.“ Wie Farina Kerekes die Krise zu Beginn erlebte, lesen Sie hier

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