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Fahrbericht Renault Twingo: Der Twingo ist nun ein Smart

Dicke Backen, neue Wertigkeit und Vier-Augen-Gesicht: Der neue Renault Twingo soll vor allem weibliche Kundschaft anziehen - überrascht in einem Punkt aber negativ.

Die neue Kleinstwagen-Zeitrechnung bei Renault begann vor vier Jahren. Am 7. April 2010 wurde eine Kooperation mit Daimler unterzeichnet,  die entwicklungstechnisch unter anderem zum neuen Twingo und zum neuen Smart führen sollte. Bereits vor dieser Zeit hatte Renault an einem eigenen Heckmotorkonzept gearbeitet. Das jedoch wurde im neuen Gremium verworfen, und zusammen mit Daimler ist eine neue Heckmotor-Plattform entwickelt worden.

So startet nun am 20. September der erste Twingo mit fünf Türen und Heckantrieb. Es wurden nicht „zwei“ Modelle entwickelt, eines für Renault und eines für Daimler, sondern ein gemeinsames. Mehr als 70 Prozent der Teile sind gleich, darunter Motoren, Achsen, Getriebe, Lenkung, Radaufhängungen, Infotainment. Der Twingo ist also ein Smart, und der Smart ein Twingo! Wie die Daimler-Leute ihren Preisaufschlag von 2000 Euro rechtfertigen wollen (immerhin 20 Prozent des Gesamtpreises!) wird noch spannend werden, wenn der Smart in einigen Wochen präsentiert wird.

Fummelige Angelegenheit

Die dritte Generation des Twingo sieht von der Seite aus wie ein geklonter Fiat 500. Nur von hinten erinnert der Neue mit seinen dicken Backen an den legendären R5 Turbo. Vorn soll das lustige Vier-Augen-Gesicht wieder die weibliche Kundschaft anziehen. Der neue Twingo ist zehn Zentimeter kürzer als der Vorgänger, dafür jedoch elf Zentimeter höher. Der Radstand des 3,60 Meter langen Autos wuchs um 13 Zentimeter auf 2,49 Meter. Dadurch stehen zwischen Instrumententräger und Kofferraumklappe stattliche 33 Zentimeter mehr an Innenraumlänge zur Verfügung als beim frontgetriebenen Vorgänger – ein Vorteil des Heckmotor-Konzepts.

Dafür ist die Ladekante des 219 Liter großen Kofferraumes mit 79 Zentimetern noch vier Zentimeter höher als die des großen SUV Mazda CX-5. Wird die Rücksitzlehne umgeklappt, verlängert sich der Twingo-Ladeboden auf 1,34 Meter. Und klappt man noch die Beifahrersitzlehne (Serie!) um, lassen sich in dem Kleinen bis zu 2,31 Meter lange Gegenstände verstauen. Die Abdeckung über dem Heckmotor wird sehr warm – kein Ort also, um eine Torte im Karton zu transportieren. Und man muss sechs Schrauben mit einem Schraubendreher lösen, um die Platte abzunehmen und den Ölstand kontrollieren zu können. Nachteile des Heckmotor-Konzepts.

Unter der kurzen Motorhaube wartet  kein Extra-Kofferraum auf Gepäck, wie man erwarten könnte, sondern ein Servicemodul wie beim alten Smart. Um zum Beispiel Waschwasser aufzufüllen, muss die Haube mit zwei Plastikhebelchen gelöst und gut 20 Zentimeter vorgezogen werden – eine fummelige Angelegenheit.

Euro-6-Norm soll erfüllt werden

Es gibt drei Ausstattungsniveaus. Das erste namens Expression ist ein Lockangebot. Dieses Einstiegsmodell mit 71-PS-Dreizylinder für 9590 Euro ist nur durch einen Trick möglich geworden. Dieses Modell verfügt über keine Start-Stopp-Automatik wie die anderen beiden Modelle, erfüllt damit lediglich die Euro- 5-Abgasnorm. Es darf  hierzulande nur deshalb verkauft werden, weil es eine Ausnahmegenehmigung besitzt. Ab 1. September muss nämlich jedes neue Auto die Euro-6-Norm erfüllen.

Bis Jahresende soll dieser Motor ebenfalls auf die Euro 6 getrimmt werden. Die anderen beiden Triebwerke (71 PS mit Start-Stopp-System und 90 PS mit Start-Stopp-System) erfüllen diese Norm. Der kleinere Motor, es handelt sich um einen ein Liter großen Dreizylinder-Saugmotor mit 71 PS, ist laut Ali Kassai, Renault Programm Direktor für die Kleinwagen, „eine komplette Neuentwicklung von Renault“. Der größere, ein 0,9 Liter großer Dreizylinder-Turbobenziner mit 90 PS,  arbeitet schon im Clio. Alle sind sowohl im Twingo als auch im Smart mit einem lang übersetzten Fünfganggetriebe gekoppelt. Bei der angekündigten Doppelkupplungsautomatik scheint die Zusammenarbeit offenbar nicht so harmonisch geklappt zu haben, wie offiziell behauptet. Es gebe noch Abstimmungsprobleme, heißt es. Diese Automatik sei daher erst in einem Jahr (!) lieferbar. Die Motoren werden im slovenischen Novo Mesto gebaut. Dort laufen auch Renault Twingo und Smart übrigens vom dem gleichen Band.

Der neue Franzose wartet im Innenraum mit „deutschen“ Sitzen auf: straff und bequem. Vorn bietet er für einen Kleinstwagen ordentlich Platz auf dem hohen Gestühl. Auf der Rückbank gibt es mehr Bewegungsraum als im ebenfalls neuen Kleinstwagen-Trio Peugeot 108, Citroen C1 und Toyota Aygo. Und auch das VW-Kleinstwagen-Trio VW up, Seat Mii und Skoda Citigo sieht gegen den neuen Twingo etwas alt aus.

Konkurrenzlos: Zwei Multimediasysteme zur Wahl

Es gibt im Twingo Nummer drei nur ein höhenverstellbares Lenkrad, aber dafür viele praktische Ablagen, von denen einige jedoch so lala sind, wie der herausnehmbare Behälter vor dem Schalthebel, der gerne klappert. Pfiffig sind dafür das große Staufach unter der Rücksitzbank oder das herausnehmbare Handschuhfach, das auch als Handtasche verwendet werden kann. Trotz des vielen Hartplastiks macht der Innenraum einen wohnlichen Eindruck. Über Personalisierungs-Extras lässt sich eine bunte Landschaft zusammenwählen, die dem Auto etwas Fröhliches auf dem Weg mit gibt. Beim Infotainment setzt Renault nun auch beim Twingo auf die immer beliebter werdende Smartphone-Integration.

Der kleine Renault ist das einzige City-Car auf dem Markt, bei dem man die Wahl zwischen zwei Multimediasystemen hat. Dank der Infotainment-App R & GO lässt sich ein Smartphone (IOS oder Android) via Bluetooth bequem mit Autoradio und Fahrzeug verbinden. Die App ist ab zweitem Ausstattungsniveau Dynamique (ab 10990 Euro mit 71 PS und ab 11990 Euro mit 90 PS) serienmäßig an Bord. Im Topmodell Luxe (ab 12590 Euro mit 71 PS und ab 13590 Euro mit 90 PS) ist zudem die jüngste Generation des integrierten Multimediasystems R-Link mit Online-Anbindung verfügbar. Ein Jahresabo kostet allerdings 69 Euro.

Die Fahrwerksabstimmung, die laut Kassai übrigens beim Twingo und beim Smart identisch sein soll, ist gelungen. Trotz straffer Grundabstimmung, ungewöhnlich für einen französischen Kleinwagen, federt der Kleine recht sensibel und bügelt die meisten Straßenunebenheiten gekonnt weg. Trotz der um die Mittellage indirekten elektrischen Servolenkung erfreut der Twingo einen mit seiner erfrischenden Handlichkeit. Das ideale Auto für das Labyrinth des Stadt-Dschungels. Und Weltrekordler in der Disziplin Wendemanöver, da der Wendekreis des Hecktrieblers dank eines 45-Grad-Einschlagwinkels der Vorderräder sensationelle 8,6 Meter beträgt.

Unwillig nimmt der der Motor Gas an

Bei den Motoren erleben wir eine Überraschung. Der 90-PS-Turbobenziner enttäuscht im Twingo. Unwillig nimmt er Gas an. Gleichmäßige Kraftentfaltung fühlt sich anders an. Trotz aller Sparbemühungen gelang es nicht, weniger als sechs Liter mit diesem Turbomotor zu verbrauchen. Die vom Werk angegeben 4,4 Liter sind reine Utopie. Der kleinere Saugmotor ist das harmonischere Triebwerk, gefällt mit seiner gleichmäßigen Kraftentfaltung. Auf der Autobahn wird der typische Dreizylindersound, der stets präsent ist, ab Tempo 100 von heftigen Windgeräuschen an der A-Säule überlagert.

Unser Tipp: Sparen sie sich die 1000 Euro Aufpreis für die 90-PS-Maschine, und nehmen sie im 71-PS-Modell lieber das tolle große Faltschiebedach. Dank eines cleveren Windabweisers bleibt es im Inneren bis Tempo 120 nahezu zugfrei.

Auch bei den Preisen wird der Twingo jetzt zum Smart. Wer einen voll ausgestatteten Twingo mit 90 PS, fünfjähriger Garantie (plus 550 Euro), netten Personalisierungsextras (auch einige hundert Euro extra), mit Fahrradträger (plus 549 Euro) und dem Faltschiebedach (plus 990 Euro) sowie weiteren Nettigkeiten ordert, hat bei diesem Kleinstwagen schnell die 17000-er Marke erreicht – und wird erschrecken. Dafür bekommt man bei Renault-König in Berlin sogar einen viel größeren Kompaktvan Scenic mit 100 PS oder fast drei aktuelle Twingo der zweiten Generation mit Klima und Radio, die noch immer zu haben sind.

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