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Der Palazzo Papadopoli mit dem Aman Venice vom Canal Grande aus gesehen.

© Aman Resorts

Der Graf wohnt im Oberstübchen: Ein venezianischer Hausbesuch

Es ist der Traum eines jeden Italien-Reisenden: einmal in einem Palazzo schlafen. Bei Familie Arrivabene ist das möglich. Unten ist ein Hotel eingezogen

Wenn Graf Giberto Arrivabene Valenti Gonzaga sagt: „Kommen Sie, ich zeige Ihnen mein Haus“, müssen Besucher ganz tapfer sein. Eine Wohnungsbesichtigung mit ihm beinhaltet unter anderem ein Tiepolo-Deckengemälde aus dem 17. Jahrhundert, eine Privatkapelle, eine Bibliothek mit antiquarischen Schätzen, einen Ballsaal aus dem 19. Jahrhundert und einen Flügel, an dem bereits Cole Porter saß.

Arrivabene wohnt im Palazzo Papadopoli, der um 1560 gebaut wurde, er schaut auf den Canal Grande mitsamt allem erdenklichen Venedig-Kitsch: schaukelnden Gondeln im Wasser und segelnden Möwen in der Luft.

Falls Gäste vorbeischauen, kann er sie ins Hotel verweisen, das in den unteren Etagen residiert. Denn der Graf lebt im einzigen Privat-Palazzo von Venedig, der gleichzeitig von den Inhabern bewohnt wird und zahlenden Gästen offensteht. Auf drei Etagen ist das Luxushotel Aman Venice eingezogen, im obersten Stockwerk lebt der 60-Jährige mit Frau und fünf Kindern – auf einer nicht näher spezifizierten Wohnfläche im oberen dreistelligen Bereich.

Arrivabene arbeitet eigentlich als Versicherungsmakler für den Konzern AON, seit 15 Jahren ist er auch als Glasdesigner tätig und produziert in Kooperation mit Marken wie Dior eigenwillige Objekte. Kaufpreis für ein Glas: etwa 200 Euro.

Institut für Meereskunde, jetzt Luxushotel

Was den gebürtigen Venezianer mit leicht gewelltem grauen Haar und perfekt gestutztem Bart am meisten umtreibt: das Erbe zu bewahren, den Palazzo im Schoß der Familie zu halten. Kapitulieren ist keine Option, trotz der immensen Kosten, die so eine Prachtimmobilie verursacht. Beinahe wäre das schief gegangen. Als der Vater 1970 verstarb, musste die Mutter Gemälde und Möbel verkaufen, um die Erbschaftssteuer zu bezahlen. Mehrere Etagen des Gebäudes wurden bis 2005 an das Institut für Meereskunde vermietet, unter der Bedingung, die alte Struktur zu respektieren und zu pflegen.

Der Graf sitzt nun im ersten Stock, in der Bar des Aman Hotels, die am Vormittag auch als Café fungiert. Er erzählt, wie in den 80er Jahren Bürotische auf dem venezianischen Mosaikfußboden standen, die Menschen hier unter den Malereien an den Decken arbeiteten, gewöhnt an die Pracht vergangener Zeiten, wie der Mensch sich an alles gewöhnt, was er täglich sieht: in diesem Fall nackte verspielte Engel.

In dieser Bar standen einst schnöde Bürotische.
In dieser Bar standen einst schnöde Bürotische.

© Aman Resorts

Heute schmücken rote Stofftapeten und ein monumentaler Schrank die Bar, ein Altar für Rum-, Likör- und Whiskeyflaschen. Ein Kellner bereitet Espresso an der silbern glänzenden Maschine zu. Viel zu teuer, scherzt Arrivabene, eigentlich gehe er mit seinen Gästen in eine Bar um die Ecke, wenn er einen Espresso brauche, irgendwo im Künstlerviertel San Polo.

Der Hoteldirektor kommt um die Ecke, Herr Graf, Sie sind ein gern gesehener Gast, was möchten Sie haben? Es gibt ein bisschen Geplänkel wie in einem Oscar-Wilde-Stück. Ganz großes Gesellschaftstheater.

Putten und Palazzi

Das Aman hat aus den Räumen in der ersten Etage einen Treffpunkt für die venezianische Gesellschaft gemacht, einen Ort für diskrete Zusammenkünfte. Abends lädt das Restaurant Arva zu regionalen Menüs ein: Carpaccio vom Fassona-Rind, Krabbenravioli und fangfrischer Fisch. Die Gäste staunen in cremefarbenen Sesseln vor bodentiefen Fenstern, während draußen seit Jahrhunderten dieselbe Show läuft. Putten, Palazzi, Partyboote.

An mehreren Tischen im Café können sich tagsüber kleine Gruppen zusammenfinden und ehrfürchtig flüstern. Am Nachmittag zuvor trafen sich fünf betagte Damen zum Kaffee, jede das Gesicht aufgefrischt durch die helfende Hand eines Chirurgen. Die Amerikanerin am Morgen darauf, vielleicht im Leben auf der anderen Seite des Atlantik eine taffe Silicon-Valley-Managerin, schaut ehrfurchtsvoll die etwa fünf Meter hohen Decken hoch. „Awesome!“

Aus dem einstigen Ballsaal ist heute der Frühstücksraum geworden.
Aus dem einstigen Ballsaal ist heute der Frühstücksraum geworden.

© Aman Resorts

Und meint damit möglicherweise auch: Welch großartige Vergeudung von Raum! Da könnte man doch zwei Etagen Büro-Kuben einbauen! Denn wo manche Ketten mehr als 40 Zimmer in drei Etagen quetschen, vermietet das Aman Venice nur 24 Zimmer. Sie sind – im Gegensatz zu den gräflichen Privaträumen – recht sparsam möbliert.

Bei den Arrivabenes stapeln sich die Erinnerung im Wohnzimmer. Bücher auf Beistelltischen, Fotos auf Kommoden, Bilder an den Wänden, lauter Kissen auf roten Plüschsofas. Die Hotelgäste dagegen haben Raum für ihre Venedigerfahrung. Ihre Zimmer sind wie Leinwände, die sie bespielen dürfen.

Ein großer Schrank aus hellem Holz, ein überdimensionales Königsbett, zwei Sessel, daraus besteht die Grundausstattung. Das Badezimmer hat beinahe dieselbe Größe wie der Schlafraum, vom Fenster schauen Gäste auf den Garten – ein beschattetes Refugium am Kanal.

Schiffslampe im Korridor

Die kleine Grünanlage ist eine Besonderheit in Venedig. In einer Stadt, die sich vom Meer jeden Quadratmeter abringen muss, einen Garten zu haben, also einen Ort, der höchstens Wohnraum für Insekten und Vögel bietet, das ist größtmögliche Verschwendung. Oder in einen touristischen Kontext übersetzt: Luxus.

Die meisten Gäste erreichen dieses Domizil verblichener Großmachtträume vom Canal Grande aus. Direkt von Flughafen oder Bahnhof schnurren die Wassertaxis über die Schaumkronen, Festpreis ab 80 Euro pro Boot. Über einen Steg gelangen die Besucher ins Haus der Arrivabenes. Im Foyer hinten rechts grüßt sie eine meterhohe Schiffslampe, angeblich von einer historischen Galeere. Was man eben im Flur zu stehen hat, wenn man 500 Jahre Geschichte in seinen Räumen ansammelt.

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Dabei haben die Arrivabenes nicht immer in dem herrschaftlichen Ambiente gelebt. Die Familie hat den Palazzo 1864 erworben. In Auftrag gegeben hat ihn die Kaufmannsfamilie Cuccina, auf einem Gemälde von Paolo Veronese sieht man sie vor einer Madonna niederknien, ganz rechts im Bild der schneeweiße Palast.

Dieses 1571 geschaffene Kunstwerk hängt heute in der Dresdner Gemäldegalerie, verkauft dorthin in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Mit dem Untergang des einst mächtigen venezianischen Reichs verloren auch die Cuccinas ihr Einkommen. Der Palast wechselte mehrfach den Besitzer, bis ihn die Papadopolis übernahmen.

Hollywood-Adel vor Ort

Sie hatten nur ein Problem: Sie galten als neureich, stammten nicht von altem Geld ab. Die Vorfahren waren Ende des 18. Jahrhunderts aus Korfu nach Venedig übergesiedelt, die vermögende Handelsfamilie wurde erst 1821 in den Adelsstand erhoben und tat fortan alles, um ihre Position in der Gesellschaft zu manifestieren. Sie überkompensierte. Kaufte den Palazzo sowie das Gebäude nebenan, ließ letzteres abreißen, einen Garten und einen Seitenflügel anlegen. Sie plusterte sich auf, räumlich, und hielt Hof, vermeintlich.

Im Ballsaal in der ersten Etage feierten die oberen Zehntausend ihre Feste, während das Orchester hinter der Wand musizierte. Noch heute erinnern die Öffnungen links oben am Eingang des Raumes an die versteckten Musiker. Als Amal Alamuddin und George Clooney 2014 heirateten, hielten sie hier ihre Zeremonie ab. Damals Geld-, heute Hollywood-Adel, der Palazzo hat seine Klientel zurück.

Graf Arrivabene hat nun eine Tasse Espresso vor sich. Er erzählt, wie ein windiger Geschäftsmann aus den USA, man darf es ruhig sagen: ein Autoverkäufer, versucht hat, in den meterhohen Räumen einen Autosalon für Betuchte einzurichten. Er wollte die Fenster rausnehmen, die Wagen mit einem Hebekran hineinhieven und auf dem Parkett ausstellen. Man versteht, warum es nie dazu gekommen ist.

Eine Marmortreppe führt in die erste Etage.
Eine Marmortreppe führt in die erste Etage.

© Aman Resorts

Und dann gab es diesen Milliardär, dessen Name der Graf nicht nennen möchte. Nur so viel, der Gründer einer weltbekannten Softwaremarke. Er kam mit mehreren Bodyguards, Arrivabene zeigte ihm den Tiepolo, „keine Reaktion“, erinnert er sich. Wie es sich für einen Gastgeber gehört, bat er die Security-Männer, sich für einen Kaffee hinzusetzen. „Die bleiben stehen“, erwiderte der Amerikaner. Eiskalt, der Typ, will man so einem sein Haus anvertrauen?

Zur selben Zeit trat Adrian Zecha, Gründer der Aman Hotels, in sein Leben. Er verstand, was so ein Haus bedeutet. Schloss einen Pachtvertrag für 30 Jahre, restaurierte das Gebäude und eröffnete es 2013 als Refugium für Kulturreisende. Neben den öffentlichen Räumen hat er eine Mega-Lounge in der zweiten Etage einrichten lassen, nur für Hotelgäste.

Glückliche Momente in der Bibliothek

Auf kaffeebraunen Sofas erholen sie sich in der Stille des Palazzo vom Geschrei auf dem Fischmarkt, fünf Minuten zu Fuß entfernt. Dicke Balken mit Schnitzereien verzieren die Decke, riesige Spiegel reflektieren die Sonne, Kronleuchter spenden abends Licht. Nebenan stöbern Neugierige in der alten Bibliothek.

„Das war mein Lieblingszimmer“, sagt Graf Arrivabene. Er erzählt von glücklichen Momenten seiner Kindheit, als er um den Schreibtisch seines Vaters tobte, der damals im Zimmer arbeitete. „Ich erinnere mich an ihn als einen alten Mann.“ Der Altersunterschied zwischen den Eltern war groß. Neulich hat er ein Foto gefunden, das ihn und seinen Vater zeigt, aufgenommen Ende der 1960er Jahre: ein kleiner Jungen neben einem grauhaarigen Mann.

Nostalgie? Arrivabene schüttelt den Kopf, er schaut sich um. „Früher lebten meine Frau, die Kinder, der Portier und ich allein im Haus“, sagt er. „Heute gehe ich runter und sehe in 50 lächelnde Gesichter.“

Reisetipps: Easyjet und Ryanair fliegen von Berlin direkt nach Venedig, mit der Deutschen Bahn geht es über München und Verona in die Lagunenstadt. Eine Übernachtung im Aman Venice kostet etwa ab 1000 Euro pro Person, mehr unter aman.com. Diese Recerche wurde unterstützt von Aman Hotels.

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