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Jugendliche spielen Völkerball in Potsdam.

© Ottmar Winter

Debatte um Völkerball: Nicht das Spiel ist das Problem

Forscher bezeichnen Völkerball als legalisiertes Mobbing. Doch nicht der Wettkampf ist schuld, er offenbart bloß Wundstellen der Gesellschaft. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Hannes Soltau

Es war Friedrich Schiller, der einst feststellte, dass der Mensch nur da ganz Mensch sei, wo er spiele. Glaubt man einigen kanadischen Forschern, dann ist er jedoch da ganz Unmensch, wo er Völkerball spielt. Jetzt wurde eine Studie veröffentlicht, laut der dieser weit verbreitete Wettkampf „entmenschlichend“ sei, gar ein „Mittel der Unterdrückung“. So hätten besonders schwächere Schüler in einer Befragung berichtet, sie seien von stärkeren Klassenkameraden dabei gedemütigt worden. Das Resümee: „Völkerball ist gleichzusetzen mit legalisiertem Mobbing“. Ein solcher Wettbewerb, so der Tenor, sollte im Unterricht nicht erlaubt sein. Werden aus Menschen also Unmenschen, weil sie die falschen Spiele praktizieren?

Der Name „Völkerball“ verweist auf einen Ursprung als rituelles Kriegsspiel. Volk gegen Volk. Armee gegen Armee. Der Ball als Geschütz. Getroffene sind Gefallene. Einst endete diese Schlacht mit der vollständigen Auslöschung eines der beiden „Völker“. Turnvater Jahn attestierte dem Spiel einen wehrertüchtigenden Charakter, der die deutsche Jugend auf den Kampf gegen die Besetzung Napoleons vorbereiten sollte. Das alles ist allerdings 200 Jahre her.

Das Spiel legt Wundstellen der Gesellschaft frei

Doch der Sportwissenschaftler Peter Röthig verweist darauf, dass Sportarten vom alltäglichen Gebrauch und historisch gewachsenen Einbindungen in soziale, ökonomische und politische Gegebenheiten bestimmt seien. Die einstige militärische Körperertüchtigung des Völkerballs hat sich durch moderne pädagogische Ansprüche stark gewandelt. So können Spieler, die getroffen wurden, heute weiter vom Feldrand partizipieren. Auch sprachlich ist der Wandel belegbar: Vielerorts heißt der Wettkampf nun Abtreffball oder Zweifelderball.

In psychiatrischen Kliniken wird er als therapeutisches Mittel eingesetzt. Dort geht es darum eigene Grenzen kennenzulernen. Respektvoll miteinander und gegeneinander zu agieren. Perspektivwechsel von aktiven und passiven Rollen zu erproben.

Es ist also nicht das Spiel an sich, das Mobbing begünstigt. Es ist das Spiel, das Wundstellen der Gesellschaft freilegt. Wenn Kinder- und Jugendliche es als erstrebenswert erachten, sich durch die Demütigung anderer zu profilieren, sobald Außenseiter, Übergewichtige und Zahnspangenträger zum Abschuss freigegeben sind, verrät das viel über die Verrohung ihres Umfelds. Hier sind auch Eltern und Lehrer gefordert. Für eine Erziehung zu mehr Empathiefähigkeit, Sensibilität und Mitmenschlichkeit – im Alltag und im sportlichen Wettbewerb.

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