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Alarmstufe rot: die schärfsten Nudeln Kreuzbergs gibt's im "Chung King Noodles Berlin" in der Reichenberger Straße

© Fanette Guilloud/ promo

Scharfe Sache - Chung King Noodles: Bis jemand heult

Die Chinesin Ash Lee ist berühmt für ihre scharfen Nudeln. Ihre Fangemeinde wird größer, denn CHILI ist gesund und schmeckt - wieso eigentlich?

Chiliöl zuzubereiten, sagt Ash Lee, sei für sie wie Meditieren: „Man muss fast nichts tun, aber immer dabeibleiben.“ Dreimal die Woche steht die 36-jährige Chinesin in der Reichenberger Straße an der großen Pfanne, in der bei niedriger Hitze kiloweise Chilischoten rösten. Zwei verschiedene Sorten verwendet sie. Eine besonders scharfe mit kleinen Schoten und eine etwas größere, fruchtige. „Ich habe schon so viele verbrannt, da gehe ich nicht weg, wenn ich die auf dem Herd habe.“ So anderthalb Stunden schaut sie zu, wie die letzte Flüssigkeit aus den getrockneten Schoten entweicht und sich die Luft mit einem fein-fruchtigen Aroma füllt. Nur rauchig darf es nicht riechen. „Wenn die Chilis braun werden, schmecken sie bitter.“

Schärfe macht süchtig
Mit Schärfe kennt Ash Lee sich aus. Sie hat vor einigen Jahren auf dem Streetfood-Markt „Bite Club“ mit ihren feurigen „Chung King Noodles“ für Furore gesorgt, bald darauf Pop-ups organisiert, bei denen die Leute Schlange standen, um eine der Schüsseln zu ergattern. Im Grunde hat sie nur einen ernsthaften Mitbewerber: Das „Liu“, ein mit sehr vielen Pandas und sonst sehr wenig dekorierter Laden in Mitte, der nur mittags aufhat und neben höllisch scharfen Nudeln auch noch Hühnerfüße, Rindermägen und am Wochenende diverse Feuertöpfe im Angebot hat. Und, ja, auch er hat eine große Fangemeinde, und das längst nicht nur bei Expats und Extremfoodies. Denn Schärfe macht süchtig. So sieht das Ash Lee jedenfalls. „Das ist wie Kaffee. Ohne den käme ich auch nicht klar.“

Die Schärfe des Chiliöls verstärkt Ash Lee im "Chung King Noodles Berlin" noch mit viel Sichuan-Pfeffer, der den Mundraum mit einem Taubheitsgefühl zurücklässt.

© Mike Wolff

Vom Supperclub zum Pop-up bis zum eigenen Restaurant

Eine gelernte Köchin ist sie nicht. Weil sie kein Arbeitsvisum bekam, als sie mit ihrem Mann nach Deutschland zog, arbeitete sie nicht mehr in der Kommunikationsbranche wie in China, sondern in der Küche. In ihrem Supperclub „Chi Fan“ zelebrierte sie chinesische Küche jenseits süß-saurer Klischees. Mit den Xiao-Mian-Nudeln lebt sie ihre Leidenschaft für Schärfe aus.

Vor zwei Wochen hat ihr Restaurant „Chung King Noodles“ eröffnet. Das heißt für sie: dreimal die Woche Chili-Meditation. Aus etwa acht Kilo Chilis zaubert sie 15 bis 20 Liter Chiliöl. Zwei Varianten stellt sie her: eine sehr scharfe, die zu den Nudeln kommt, und eine noch schärfere, in der sie die fruchtige Sorte nicht mehr hinzugibt, falls tatsächlich jemand kommen sollte, der es noch feuriger will. Auf die Nudeln gibt es wahlweise Schweinehack, geschmorter Rinderwade oder Tofu und Shitake-Pilze. Und natürlich viel Sichuan-Pfeffer, der den Mundraum mit einem Taubheitsgefühl zurücklässt. Mehr als die jeden Tag frisch gemachten Weizennudeln serviert sie nicht. Nur ein paar Vorspeisen. Ebenso wie in Chongqing am Jangtsekiang, wo das Gericht herstammt. Ihr gerade eröffneter Laden – helles Holz, nackte Wände, feuerrote Kacheln, kein Drache, nirgends – ist der wahrscheinlich authentischste Chinese in Berlin.

Für "Chung King Noodles Berlin"-Chefin Ash Lee ist die Zubereitung von Chiliöl eine Art Achtsamkeitsübung

© Fanette Guilloud/ promo

Schärfe ist kein Geschmack - es ist eine Schmerzreaktion

Gerade weil es dort so scharf schmeckt. Dabei ist Schärfe, streng genommen, kein Geschmack, sondern ein Schmerzreiz. Für die Wahrnehmung zuständig sind nicht die Geschmacksrezeptoren auf der Zunge, sondern die Enden des Trigeminusnervs. Die sind auch für die Empfindung von Druck, Temperatur und Jucken zuständig. Und sie sind am ganzen Körper. Das merkt man etwa, wenn man Chili schneidet. Dann brennen auch die Finger. Die Schmerzrezeptoren reagieren also nicht nur auf Temperatur, sondern auch auf Moleküle wie das Piperin im Pfeffer, das Gingero in Ingwer, das Menthol in Minze oder eben das Capsaicin in Chili, das in den Kernen, vor allem aber in den Trennwänden steckt. Die werden als scharf oder als brennend empfunden. Und lösen Schweißausbrüche aus, genau wie bei Hitze. Diese Reaktionen bewerkstelligt kaum ein Pfeffer oder Scharfmacher so effizient wie Chili. Scharfe Paprikasorten oder Piment d’esplette sind längst nicht so feurig und haben obendrein ein süßes Aroma. Viele der mehr als 4000 Chilisorten haben fruchtige Aromen, die sich aber verflüchtigen, wenn sie erhitzt werden.

In der chinesischen Megacity Chonqing isst man die scharfen Nudeln zum Frühstück

An dieser Stelle sollte nun etwas stehen wie: Ash Lee ist Schärfe schon seit ihrer Kindheit gewohnt. Immerhin röstete schon ihre Oma Chilis. Die Erinnerung ist ja einer der ganz großen Geschmacksverstärker. Warum wir manches unfassbar gerne essen und anderes nie anfassen würden, das hat eine Menge mit der kindlichen Prägung zu tun. Bloß: Ash Lee kommt aus Schanghai, wo sehr mild gekocht wird. „Die Küche hat praktisch nichts mit Chili zu tun. Bei uns werden viel Sojasauce, Zucker und Schmalz verkocht.“ Und haufenweise Innereien, die sie bis heute mag, weswegen es bei ihr jeden Mittwoch Hühnermägen als Special zu den Nudeln gibt.

Auf den Geschmack mit der Schärfe kam sie erst während ihres Studiums. Über eine Freundin, die aus Chongqing kommt, einer Dreißigmillionenstadt, die früher Chung King transkribiert wurde. Hier wiederum wird sehr, sehr scharf gegessen. Eine der beliebtesten Chilisorten dort heißt nicht ohne Grund Golden Dagger, goldener Dolch. Die Mutter ihrer Freundin weihte Ash Lee in das Handwerk des Chiliöl-Zubereitens ein. Dann reiste sie oft nach Chongqing und probierte sich durch die Nudelläden der feucht-heißen Megacity. Da musste sie sich ranhalten, denn die Nudeln sind eigentlich ein Frühstück. „Die meisten Läden haben mittags schon zu.“

Die Basis für ihr feuriges Chiliöl sind getrocknete Chilis

© Mike Wolff

Schärfe macht glücklich

Man kann sich an Schärfe gewöhnen. Der Schmerz jedoch bleibt. Es tut jedes Mal aufs Neue weh, wenn man in eine Chili beißt. Capsaicin meldet dem Gehirn dann eine Verbrennung. Die findet aber gar nicht statt. Stellt sich also die Frage: Warum freuen sich so viele Menschen über etwas, das sich wie eine Verletzung anfühlt – und dann auch noch an einem der empfindlichsten Teile des Körpers, der Zunge? Etwa ein Drittel der Menschheit isst täglich scharf. Und tatsächlich ist das ein menschliches Phänomen. Tiere fressen – soweit bekannt – keine Chilinudeln.

Warum also die Lust an der Selbstverbrennung? Eine Theorie ist: Die Schärfe setzt Endorphine frei. Capsaicin aktiviert die Hitze- und Schmerzrezeptoren im Mund, das triggert den Ausstoß von Endorphinen, morphiumähnliche Substanzen, die Stress reduzieren und Euphorie auslösen. „Hedonic reversal“, eine Theorie des Psychologen Paul Roizin, dagegen besagt: Etwas Schmerzhaftes wird vom Gehirn in etwas Schönes umgedeutet. Bis ins Letzte erforscht ist das nicht. Aber eine Achterbahnfahrt hat ja ähnliche Effekte. Praktisch erwiesen ist dagegen, dass Schärfe den Geschmack hebt. Denn sie regt den Speichelfluss an und weitet die Gefäße. Das steigert das Geschmacksempfinden. Für Ash Lee ist scharfes Essen wie ein Saunagang. Gerade im Winter tut sie gern extra viel Chili auf ihr Essen. „Erst bricht mir der Schweiß aus, danach fühle ich mich großartig.“

Chung King Noodles, Kreuzberg, Reichenberger Str. 35

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

Felix Denk

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