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Clan-Größen wie Arafat Abou-Chaker streamen jetzt allabendlich auf TikTok und geben dort tiefe Einblicke in ihr Denken: Pervertierte Ehrbegriffe, ein kurioses Islam-Verständnis und Lügen am laufenden Band.

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Biotop der Clangrößen: Die Abou-Chakers streiten sich jetzt auf TikTok

Bekannte Milieu-Gestalten streamen neuerdings auf TikTok. Und offenbaren dort pervertierte Ehrbegriffe, ein kurioses Islam-Verständnis und Lügen am laufenden Band.

Eine Kolumne von Sebastian Leber

Die Nudelkrise ist beigelegt, und dieses Mal hat Arafat Abou-Chaker gewonnen. Es gab in den letzten Wochen viel Streit auf der Social-Media-Plattform TikTok, noch mehr als sonst. Wenn ich es richtig verstehe, ging es im Wesentlichen um die Frage, ob Deutschlands prominentester TikToker Barello, 23, von Deutschlands prominentestem Clanmitglied Arafat Abou-Chaker, 47, über den Tisch gezogen wurde. Ließ Arafat auf Barellos Geburtstagsfeier bloß sechs Pizzen servieren, gegen eine hohe Rechnung? Ein inzwischen aufgetauchter Videomitschnitt beweist, dass Abou-Chaker an diesem Tag auch Nudeln austeilte. Plus vieles mehr. Barello musste sich öffentlich entschuldigen. Er hatte mal wieder gelogen.

Normalerweise geben sich Angehörige polizeibekannter Großfamilien in der Öffentlichkeit schweigsam. In dem Prozess, in dem sich Abou-Chaker seit drei Jahren wegen mutmaßlicher gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung verantworten muss, hat er sich bis heute nicht geäußert.

Umso erstaunlicher die Redseligkeit, mit der sich Clanmitglieder seit Monaten auf TikTok tummeln. Wer zuschaut, dem bieten sich spannende Einblicke in eine ansonsten verschlossene Welt. Man mag kaum glauben, was man da sieht.

Die erwachsenen Männer, die sich allabendlich in stundenlangen Livestreams unterhalten, heißen King Omereit, Hamza Rammo, King El Zein, nennen sich „Engelsgesicht“ oder „Arroganter Pate“. Maximal vier können gleichzeitig miteinander sprechen, das heißt: „gemeinsam live gehen“. Tausende andere schauen zu.

Meist reden alle aufgeregt durcheinander

Die Männer sitzen zu Hause an ihren Rechnern vor kahlen Wänden, die Akustik ist meist schlecht, was auch daran liegt, dass oft alle aufgeregt durcheinander reden. Beliebte Sätze lauten: „Jetzt hör mal zu“ oder „Lass mich doch ausreden“.

Sie streiten darüber, wessen Luxuskarosse nur geleast und wessen Rolex nicht echt ist. Wer wem Schwarzgeld gezahlt habe, wer wen in einem Zweikampf bewusstlos schlagen würde, wer jüngst wessen Mutter beleidigte. Sie lästern über An- und Abwesende. Es wird viel gedroht. Nach ein paar Tagen vertragen sie sich und loben einander, sagen etwa: „Du bist ein Ehrenmann.“ Aber nur so lange, bis wieder Streit losbricht.

Eine beliebte Mutprobe besteht darin, vor laufender Kamera extrem scharfe Chili-Chips zu essen. Einer, der dies besonders gut kann, ist Yasser Abou-Chaker. Arafats Bruder. Oder die TikToker treten in Spielen gegeneinander an, die darin bestehen, wer von seinen Zuschauern in einer festgelegten Zeit mehr Spenden erhält.

Yasser Abou-Chaker ist auch gut darin, laut herumzubrüllen, und dies so unvermittelt, dass der Zuschauer nicht begreift, wieso.

Ich schwöre auf meine Mutter: Du bist der größte Junkie.

Beleidigung eines Clanmitglieds im Livestream

Die fünf denkwürdigsten gegenseitigen Vorwürfe und Beleidigungen, die ich in den vergangenen Wochen auf TikTok mitbekam: 1. „Ich schwöre auf meine Mutter: Du bist der größte Junkie.“ 2. „Du hast zu viel Scarface geschaut.“ 3. „Du wirst meine Schuhe küssen.“ 4. „Du bist ein kleinkrimineller Furz.“ 5. „Hab mal Respekt, bevor ich auf deinen Kopf trete.“

Die meisten Zuschauer sind jugendliche Männer

Es wird auch viel auf Allah geschworen und darüber gestritten, welcher Widersacher wohl gerade gegen die Regeln des Islams verstoße. Was auf Außenstehende etwas seltsam wirkt, weil sehr vieles von dem, was und worüber auf TikTok geredet wird, gegen die Regeln des Islams verstößt. Der Lügner Barello schwört auf Allah, dass er noch nie gelogen habe, und lügt damit direkt wieder. Seine Fans nehmen es ihm nicht übel.

Die meisten Zuschauer der Streams sind Jungen und männliche Jugendliche. Ich frage mich, ob das wohl gut ist für deren charakterliche Entwicklung. Aber solche Sorgen haben sich Ältere schon immer gemacht, beim Einzug des Privatfernsehens, bei Computerspielen, bei Facebook. Vielleicht also einfach raushalten?

Im nordrhein-westfälischen Euskirchen kam es neulich zu einem Noteinsatz mit sechs Rettungswagen. An einer Gesamtschule versuchten Schüler in der großen Pause, extrascharfe Chili-Chips zu essen. Ein Dutzend Fünftklässler litt an Atemnot, einer musste ins Krankenhaus. Sie sagten, sie hätten das auf TikTok gesehen.

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