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Ricardo Lange, 39, arbeitet als Intensivpfleger in Berlin.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Intensivpfleger über Todespanik bei Atemnot: „Ich musste mit ihm rangeln, um sein Leben zu retten“

Ricardo Lange berichtet jede Woche aus dem Krankenhaus von der Coronafront. Diesmal: Todespanik und Morphium zur Beruhigung. Ein Interview.

Von Julia Prosinger

Ricardo Lange, 39, arbeitet als Pflegekraft auf einer Berliner Intensivstation. Seine Klinik ist eine der 17 Einrichtungen mit einem Covid-Schwerpunkt. Hier berichtet er jede Woche von Nachtschichten, Provisorien und Hoffnungsschimmern.

Herr Lange, die Infektionszahlen sind leicht rückläufig. Spüren Sie das auf der Intensivstation?
Ja, ganz sachte. Es kommen nicht mehr so viele Patienten nach wie vor sechs Wochen. Aber nur wenige Covid-Kranke verlassen die Station lebend. Gerade habe ich ein paar Nachtschichten hinter mir. Zwei Mal habe ich erlebt, wie Patienten, die noch stabil genug für eine Atemmaske waren und keine Intubation brauchten, urplötzlich zu japsen begannen. Ihre Sauerstoffsättigung fiel von jetzt auf gleich von über 90 auf unter 70, ihre Lippen wurden blau.

Der eine riss sich alle Schläuche aus den Venen, die Klebchen von der Brust und wollte aus dem Bett klettern, Fenster auf, Klamotten vom Leib – um Luft zu bekommen. Alles war voller Blut. Die Maske, die ihm beim Atmen hilft, wollte er in seiner Todespanik loswerden. Ich musste mit ihm rangeln, um sein Leben zu retten. Oft hilft nur Morphium, um solche Patienten zu beruhigen. Den anderen haben wir notintubiert und in die Bauchlage verfrachtet, es dauerte Stunden und brauchte vier Pfleger und eine Ärztin.

Heikel, in Zeiten von eklatantem Personalmangel.
In meinen Anfängen als Pfleger haben wir solche Patienten nur mit einer Sitzwache 1:1 betreut, weil sie beispielsweise ersticken können, wenn sie in die Maske hinein erbrechen müssen. Wenn genug Leute da sind, würde man so etwas oder eine Verschlechterung eines Kranken viel schneller merken. Doch wir können unsere Aufmerksamkeit nicht unendlich oft teilen.

Letzte Woche hat Sigmar Gabriel ungeimpftes Pflegepersonal mitverantwortlich für zukünftige Tote gemacht. Aber wie verantwortlich ist die Politik seit Jahren für die Engpässe auf den Stationen? Und wer muss am Ende der Schicht mit dem Gefühl einschlafen, nicht genug getan zu haben? Er nicht.

[Weitere Folgen der Kolumne "Außer Atem" mit Ricardo Lange lesen Sie hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier]

Die Bundesregierung hat diese Woche neue Maßnahmen beschlossen. Sind Sie zufrieden?
Die beste Strategie im Kampf gegen Covid ist die Akzeptanz und Mitarbeit der Bevölkerung, aber durch die Erbsenzählerei hat die Politik in den vergangenen Wochen viel Glaubwürdigkeit verspielt. Ich darf nicht zu zweit Fitness auf 1000 Quadratmetern machen (wie es bis vor Kurzem in Brandenburg noch möglich war), aber Leute sitzen in Bürokantinen beisammen? Ich kann hintereinander weg zehn Freunde treffen, aber darf keine 15 Kilometer in die Natur rausfahren?

Das ist für mich purer Aktionismus. Wir sind alle müde. Es ist sinnvoller, ein gesellschaftliches Leben im kontrollierten Rahmen zu ermöglichen, als immer mehr Maßnahmen - die eh nicht kontrolliert werden können - zu erlassen. Sonst geht uns auf den letzten Metern sprichwörtlich die Puste aus.

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