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SPD-Politiker Reinhold Robbe war Ziel iranischer Spionage.

© dpa/iStock, Montage: Tsp

Spionage in Deutschland: Berlin im Visier der Agenten

Aus Mark Kennedy – Beamter, Ehemann, Vater – wird Mark Stone – Aktivist, Single, kinderlos. Der Brite spähte undercover Berliner aus. In der Stadt spionieren heute Agenten vieler Länder. Unser Blendle-Tipp.

Verraten hat er sich nie. Über all die Jahre kein falsches Wort. Nicht in den Kneipen, nach sechs, sieben Bier. Nicht, als er Freunden anbot, seinen Laptop samt Internetstick zu nutzen. Nicht, als sie alle mit seinem Kleinbus tagelang durch Europa reisten.

Mark Kennedy war spendabel, fuhr Ski, ging klettern, ließ sich ab und zu ein Tattoo stechen. „Mark und ich waren Freunde. Viele haben ihm geglaubt“, sagt Jason Kirkpatrick, 48 Jahre, Übersetzer, weit vernetzter Kapitalismuskritiker. „Mark war gut, in dem, was er tat.“

Kirkpatrick sitzt vor ein paar Tagen in einem Café in Berlin-Kreuzberg. Vor zehn Jahren verbrachte er mit Kennedy einen Block weiter im „Wild at Heart“, einer Traditionskneipe, einen Abend. Sie zechten, sprachen über Politik, Musik, Fußball. „Mark“, sagt Kirkpatrick, „war immer sehr offen zu allen.“

Mark Kennedy musste Vertrauen erzeugen. Er war Undercover-Agent.

Kennedy, wohl 1969 in London geboren, kannten sie in Berlin als Mark Stone. Seit 2003 war er europaweit als Agent des britischen Staatsschutzes unterwegs und schickte Informationen über Aktivisten und Proteste an seinen Führungsoffizier – ein Einsatz, der sieben Jahre dauerte. Im Oktober 2010 fand eine von ihm getäuschte Freundin in England einen Pass, der nicht auf den Namen Mark Stone ausgestellt war, dazu Unterlagen, die nicht zur Legende des Agenten passten. Englische Aktivisten machten den Fall öffentlich, Kennedy tauchte ab.

Was tat der Undercover-Agent in Berlin?

Bis heute ist ungeklärt, was der Agent in Berlin genau tat. Der Enttarnung folgte ein Skandal. Oppositions- und Regierungspolitiker verlangten Aufklärung. In einer Sitzung des Innenausschusses im Bundestag teilte Jörg Ziercke, der frühere Präsident des Bundeskriminalamts mit, dass deutsche Behörden vage über Kennedys Einsatz informiert waren. So hatte sich Baden-Württemberg – wo 2009 der Nato-Gipfel tagte – von britischen Stellen über Protestpläne informieren lassen. In Berlin war der Agent demnach nur, um seine Legende als Aktivist zu pflegen, nicht mit Spähauftrag. Doch als Bundesinnenminister Thomas de Maizière, CDU, im Sommer 2016 seine Amtskollegin Theresa May bat, Kennedys Deutschlandtour zu untersuchen, lehnte May, inzwischen Premierministerin, ab. Das könnte sich in diesen Wochen ändern.

Mark Kennedy war in 20 Ländern mit falscher Identität für den britischen Staatsschutz unterwegs, um Protestbewegungen auszuspähen.
Mark Kennedy war in 20 Ländern mit falscher Identität für den britischen Staatsschutz unterwegs, um Protestbewegungen auszuspähen.

© Guardian

In Berlin sind vielleicht sogar mehr Agenten unterwegs als während des Kalten Krieges – wobei es Zahlen dazu nicht gibt. Und anders, als man nach den Enthüllungen Edward Snowdens meinen könnte, geht es dabei oft traditionell zu: observieren, Namen, Routen, Nummern sammeln, Daten an Verbindungsleute weitergeben. Zuweilen sind das Mitarbeiter der Botschaften – die sich seit der Wende fast alle in Berlin befinden.

Egal ob verdeckte Ermittler wie Mark Kennedy, angeheuerte Spitzel oder hauptamtliche Spione: Für Berlin interessieren sich Späher nicht nur, weil hier Bundesregierung und Behörden ihren Sitz haben. Sondern vor allem wegen der vielen Oppositionellen, Aktivisten, aber auch Schmuggler und Schleuser, die sich in der Stadt treffen.

Bundesweit gibt es im Schnitt 20 Spionageverfahren im Jahr. Zuletzt ermittelten deutsche Behörden gegen Iraner, Türken, Inder, Libyer, Marokkaner, Syrer, Libanesen, Algerier, Sudanesen. Oft forschten diese Exilanten aus, zum Beispiel Kurden. In drei, vier Fällen pro Jahr wird Anklage erhoben. Meist geschieht das vor dem Berliner Kammergericht.

SPD-Mann Reinhold Robbe observiert - im Auftrag der Iraner

Mark Kennedy und Jason Kirkpatrick waren oft in Kreuzberg unterwegs. Das Café, in dem Kirkpatrick von seiner Zeit mit dem Agenten berichtet, befindet sich in der Reichenberger Straße. „Um die Ecke war ich mal essen mit Mark.“ Ihn lernte er vor den Protesten gegen das G-8-Treffen in Schottland 2005 kennen. „Er wollte Kontakt zu Aktivisten aus Berlin.“ Kirkpatrick, 48 Jahre, Übersetzer, spricht mit dem freundlich-sanften Akzent vieler Deutsch-Amerikaner. Einst war er der erste grüne Vizebürgermeister einer US-Stadt, Arcata in Kalifornien. Nach Berlin zog er 2003, traf Globalisierungskritiker aus Deutschland, Irland, Großbritannien – war also eine lohnende Zielperson. „Mark hat mich sechs Mal besucht“, sagt Kirkpatrick. „Ich habe sogar bei ihm übernachtet, nördlich von London.“ Die Wohnung? Ein Dienstapartment.

Die Briten interessierten sich in Berlin offenbar auch für G-8-Kritiker Jason Kirkpatrick.
Die Briten interessierten sich in Berlin offenbar auch für G-8-Kritiker Jason Kirkpatrick.

© Hannes Heine

Agenten wollen Informationen. Nicht immer brauchen sie diese jedoch, um Netzwerke auszuforschen. Manchmal ist eine Person selbst das einzige Ziel.

Vor dem Kammergericht beginnt bald der Prozess gegen einen Pakistaner, der keine Aktivisten, sondern einen bekannten SPD-Politiker ausgespäht haben soll. Reinhold Robbe, 1954 in Ostfriesland geboren, Sozialdemokrat, Ex-Wehrbeauftragter des Bundes, ist bereit, über seinen Fall zu sprechen. Das ist schwierig, denn bei Spionage sind die Behörden vorsichtig, viele Details kennt Robbe selbst nicht. Der Pakistaner, 31, lebte als Ingenieurstudent in Bremerhaven. „Bewusst“, sagt Robbe „habe ich den Verdächtigen nicht gesehen.“

Der Pakistaner soll Robbe über Monate observiert haben – und dafür vom iranischen Geheimdienst instruiert und bezahlt worden sein. Davon geht die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe aus. Die Ermittler des Generalbundesanwalts sind zuständig, wenn die „innere oder äußere Sicherheit“ der Bundesrepublik „in besonderem Maße“ berührt wird. Einige vermuten, Robbe kam als Attentatsziel infrage....

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