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Szene aus  „Nightclub massacre“.

© Screenshot: Tagesspiegel

Beliebte Plattform für Computerspiele: Wie viel extreme Gewalt Kindern auf Roblox zugemutet wird

Auf der Spieleplattform Roblox können schon kleine Kinder foltern, quälen, zerstückeln – und mit Fremden duschen. Eltern haben oft keine Ahnung von den Inhalten.

In einem der Spiele kann man seine Figur, die aussieht wie ein Lego-Männchen, einen grauen Gang entlang steuern. Dieser führt zu einem Hof, auf dem ein weiteres Männchen auf einem Stuhl hockt. Es schaut ängstlich, seine Arme sind nach hinten an der Lehne festgebunden.

Man kann jetzt seine Pistole ziehen und damit auf das wehrlose Opfer schießen. Man kann aber auch ein paar Schritte weiter laufen. Dort warten: eine aufgeschlitzte Leiche, ein ausgeweideter Körper, ein Geköpfter sowie ein Erhängter. Einer anderen Figur wurden Messer in Arme, Beine und in den Kopf gerammt. Wo eigentlich die Augen sein sollten, ist nur Blut.

Das Spiel heißt „Torture Simulator“. Folter-Simulator. Es befindet sich nicht etwa in einer verborgenen, bloß Eingeweihten zugänglichen Nische des Darknets. Sondern auf der betont familienfreundlichen Online-Plattform Roblox, die weltweit besonders bei Kindern im Grundschulalter beliebt ist. Fast 60 Millionen Menschen spielen dort täglich, Tendenz steigend. Seit Frühjahr 2021 ist das Unternehmen hinter der Plattform börsennotiert, sein Wert beläuft sich aktuell auf rund 27 Milliarden Dollar.

Roblox verpflichtet sich, das Wohl von Kindern zu wahren.

Eintrag auf der Homepage des Unternehmens

Das Erfolgskonzept: Roblox programmiert die Spiele auf seiner Plattform nicht selbst, sondern lässt sie von den Nutzern entwickeln. Dafür stellt die Firma ein kostenloses Baukastensystem zur Verfügung, das den Spielern hilft, eigene Welten mit Häusern, Straßen, Bäumen zu gestalten. Dazu die Figuren in der typischen Lego-Anmutung.

Die Idee klingt erst mal logisch und harmlos. Kinder erschaffen Computerspiele für Kinder. 32 Millionen Stück sind so nach Angaben des Konzerns bereits entstanden. Im Roblox-Universum heißen sie nicht „Spiele“, sondern „Erlebnisse“. In manchen können Nutzer virtuelle Haustiere adoptieren, durch Fantasielandschaften spazieren oder sich eine eigene Wohnung einrichten. In anderen geht es darum, Mitspieler zu köpfen.

Etliche Erlebnisse haben das Ziel, andere Figuren zu quälen, foltern oder zu zerstückeln. Sie tragen Titel wie „Beach Massacre“ oder „Glory Kill Testing“. In einem prügeln Obdachlose mit Stöcken aufeinander ein. Ein anderes hat das Ziel, eine braun eingefärbte Figur zu jagen und zu erschießen. Über dem Kopf der Figur ist ihr Name eingeblendet: Barack Obama.

Szene aus dem Spiel „Torture Simulator“

© Screenshot: Tagesspiegel

Vor drei Wochen löschte Roblox ein Erlebnis, dessen Programmierer das Dritte Reich nachgebaut hatte, samt Hakenkreuzen und Wehrmachtssoldaten. Aufgefallen war es einem zehnjährigen jüdischen Mädchen in Australien. Sie ist die Enkelin einer Holocaust-Überlebenden.

Vor drei Jahren hat bereits die „Stiftung Warentest“ Roblox geprüft. Gesamturteil: inakzeptabel. Die Tester fanden unter anderem ein Spiel, in dem Juden getötet werden sollen. Zudem mehrfach die Flagge der Terrorgruppe IS.

Der Folter-Simulator ist auch für die Kleinsten

Der Eigendarstellung zufolge legt das Unternehmen großen Wert auf Kinderschutz. „Roblox verpflichtet sich, das Wohl von Kindern zu wahren“, ist in großen Lettern auf der Homepage des Unternehmens zu lesen. Man habe sich zur Aufgabe gemacht, dass die eigenen Nutzer in „einem freundlichen, sicheren, inklusiven und respektvollen Umfeld miteinander in Kontakt treten“ können. Und weiter: „Wir haben mehr als ein Jahrzehnt damit verbracht, ein strenges Sicherheitssystem und Richtlinien aufzubauen, auf die wir stolz sind.“

Mitbegründer und heutiger CEO von Roblox ist der in Kanada geborene amerikanische Unternehmer David Baszucki.

© Foto: Getty Images/AFP/Ian Tuttle

Theoretisch haben Programmierer die Möglichkeit, eine „Altersrichtlinie“ für ihr Spiel freizuschalten. In der Realität sind Spiele wie der „Torture Simulator“ aber auch für kleine Kinder freigegeben. Auf Nachfrage des Tagesspiegels, wie so etwas möglich sein kann, reagiert das Unternehmen prompt: Man habe den „Torture Simulator“ nun gelöscht, da es nicht den Community-Richtlinien entspreche. Allerdings sei das Spiel nicht repräsentativ für die Millionen anderer altersgerechter Erlebnisse auf der Plattform.

Roblox existiert bereits seit 2006. Mitbegründer und heutiger CEO ist der in Kanada geborene amerikanische Unternehmer David Baszucki.

Nennenswerte Beachtung fand die Plattform ab 2014, seitdem nehmen die Nutzerzahlen kontinuierlich zu. Besonders viele neue Spieler und Programmierer sind während der Corona-Pandemie dazugestoßen. Kritiker sagen: Roblox ist in dieser Zeit so stark gewachsen, dass seine Mitarbeiter mit dem Sichten und Kontrollieren fragwürdiger Inhalte nicht hinterherkommen.

Eine zugerichtete Leiche in „Nightclub massacre“.

© Screenshot: Tagesspiegel

Für jedes gelöschte gewaltverherrlichende Spiel tauchten andernorts zwei neue auf. Zum Beispiel werden auf Roblox immer wieder Spiele veröffentlicht, in denen Nutzer reale Amokläufe oder Terroranschläge nachspielen können, etwa jenen von Christchurch, bei dem ein Attentäter 2019 in Neuseeland zwei Moscheen stürmte und 51 Menschen ermordete. Ebenso geschmacklos ist das Spiel „Tiananmen Square Massacre“, in dem der Nutzer in Soldatenuniform über den Platz des Himmlischen Friedens in Peking läuft und mit der Maschinenpistole reihenweise Demonstranten niederschießen kann. Auch dieses Spiel sowie die Menschenjagd auf Barack Obama wurden nach einer Anfrage des Tagesspiegels inzwischen von Roblox gelöscht.

Eines der Spiele auf Roblox zeigte ein KZ samt Gaskammer

Weiter online ist dagegen „Nightclub massacre“. Hier darf man zwar nicht selbst töten, jedoch als Flaneur den Tatort eines fiktiven Amoklaufs abschreiten und die zerschossenen Körper der Opfer bestaunen. Die Darstellung der Leichen ist drastisch. Manche hat es in der Mitte zerrissen, Organe hängen heraus.

In den Vereinigten Staaten rückte die Plattform in diesem Jahr mehrfach in den Fokus der Öffentlichkeit. Im Februar wurde die Existenz eines Konzentrationslagers inklusive mehrerer Gaskammern auf Roblox publik. Per Knopfdruck konnten Spieler Gas aus Duschköpfen strömen lassen. Auch Leichenberge und ein Krematorium gehörten zum Spiel.

Die US-Fernsehberühmtheit Kim Kardashian beschwerte sich über Roblox.

© Foto: Imago Images/

Im April machte die Fernsehberühmtheit Kim Kardashian ihren Ärger über die Plattform öffentlich. Ihr sechsjähriger Sohn war in einem Roblox-Spiel auf Werbung für das Sextape seiner Mutter gestoßen. Im September löschte Roblox dann ein populäres Spiel, in dem Nutzer wahlweise in die Rolle von Ukrainern oder Russen schlüpfen, sich mit Schusswaffen ausrüsten und dann in einer Stadt namens „Larkiv“ gegenseitig umbringen konnten.

Der Grundgedanke dieser Plattform ist eine große Verheißung. Mit seinem Baukastensystem möchte Roblox jedem Interessierten die Möglichkeit geben, genau jene Welt zu erschaffen, die ihm vorschwebt. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Doch überall, wo alles möglich scheint, kommt es mitunter auch zu Grausam- und Geschmacklosigkeiten.

Tausende Moderatoren seien im Einsatz, so das Unternehmen

Gegenüber dem Tagesspiegel erklärt Roblox, man beschäftige bereits tausende Moderatoren, die auf der Plattform rund um die Uhr nach unangebrachten Inhalten suchten und auch Hinweisen von Nutzern nachgingen, die Verstöße melden. Zudem setze man hochmoderne Technik ein, künstliche Intelligenz, um jede einzelne Bild-, Video- und Audiodatei im Roblox-Ökosystem zu kontrollieren.

In der Kritik steht das Unternehmen zudem für sein Geschäftsmodell. Denn obwohl der Zugang zur Plattform und auch die einzelnen Spiele kostenlos sind, erhalten die Nutzer ständig Anreize, Geld auszugeben. Zum Beispiel für bessere Waffen oder Ausrüstung in einzelnen Spielen, wobei der gekaufte Gegenstand dann nur für das jeweilige Spiel gilt.

Für 400 Robux bekommt man einen Revolver und eine Sense

Hierfür hat das Unternehmen eine eigene virtuelle Währung namens Robux erschaffen, die man sich mit echtem Geld erkauft. Für sechs Euro gibt es derzeit 400 Robux. Dafür bekommt man im Spiel „Blutrausch“ einen Revolver und eine Sense.

Auch die Optik der eigenen Spielfigur lässt sich durch Einkäufe verändern. Der plattformeigene Shop bietet hunderte Kleidungsstücke an, dazu Brillen, Schmuck, Frisuren, Gesichtsausdrücke. Alles kostet einzeln. Dem Unternehmen zufolge gibt es mittlerweile mehrere Millionen Spieler, die sich im virtuellen Laden jeden Tag neu einkleiden – teilweise auch mehrfach pro Tag.

Der Konsum wurde dabei in diesem Jahr durch eine technische Neuerung angekurbelt: Figuren können jetzt gleich sechs Kleidungssschichten übereinander tragen. Dies solle den Spielern die Möglichkeit geben, sich noch individueller als bislang zu präsentieren.

In anderen Spielen auf Roblox werden Sexszenen nachgestellt

Neben Spielen mit expliziten Gewaltdarstellungen gibt es auf Roblox noch ein zweites populäres Genre, das Eltern beunruhigt. Diese Spiele haben Namen wie „Public Bathroom Simulator“ oder „Shower Sim“ und laden Nutzer ein, intime Orte aufzusuchen und dort Fremde zu treffen. Sich etwa gemeinsam unter eine Dusche zu stellen, miteinander zu baden oder voreinander auf Toilette zu gehen. Unter den Duschen wird miteinander geflirtet, es werden Sexszenen nachgestellt. Besonders problematisch ist dies, weil sich Erwachsene auf Roblox leicht als Kinder ausgeben können und derart getarnt Kontakt zu Minderjährigen aufnehmen.

So geht es im „Public Bathroom Simulator“ zu.

© Screenshot: Tagesspiegel

Vergangenen Monat reichte eine Familie aus Kalifornien Klage gegen Roblox ein. Sie wirft dem Unternehmen vor, nicht genügend für die Sicherheit ihrer Tochter gesorgt zu haben. Im Alter von elf Jahren sei diese in einem Roblox-Spiel an erwachsene Männer geraten, die sie überredeten, ihnen private Fotos gegen Geld zu schicken. Die Männer bezahlten in Robux.

Kritiker fordern mehr Kinderschutz-Maßnahmen

Es gibt auch Spiele, in denen sich Nutzer in Schlafzimmern oder auf Fetischpartys treffen. Es gibt Rollenspiele, bei denen sich Spieler gegenseitig aufessen und verdauen. Einige dieser sogenannten „nom games“ wurden gelöscht, andere sind weiterhin auffindbar. Im Februar berichtete die britische BBC über drastische Sex-Spiele auf Roblox, bei denen sich Nutzer zu Gruppenorgien trafen.

Kritiker fordern, Roblox müsse endlich wirksamere Kinderschutz-Maßnahmen ergreifen – zum Beispiel eine generelle Altersverifizierung von Spielern sowie das automatische Sperren von Erwachsenen, die auf Roblox Nachrichten an Kinder verschicken. Zudem sollten Kinder deutlicher vor möglichen Übergriffen durch Erwachsene gewarnt werden.

Das Unternehmen verweist gerne auf bereits existierenden Werkzeuge, mit denen Eltern die Aktivitäten ihrer Kinder auf der Plattform kontrollieren und beschränken können. Etwa eine Kindersicherung, bei der festgelegt wird, welche Spiele überhaupt aufgerufen werden können. Doch viele Eltern wissen gar nichts von den Gewaltexzessen und potentiellen Duschspielen mit Erwachsenen. Die harmlose Aufmachung der Plattform und die Spielzeugoptik der Fantasiewelten suggerieren, dass auch die Inhalte kindgerecht sind.

 Eine Voraussetzung sollte sein, dass Eltern einer Account-Erstellung zustimmen müssen.

 Jagoda Froer, Gründerin des Online-Spielemagazins „Wasted“

Eine Expertin, die Eltern vor Sorglosigkeit im Umgang mit Roblox warnt, heißt Jagoda Froer. Sie ist Gründerin des Online-Spielemagazins „Wasted“ und hat sich intensiv mit den Inhalten und Geschäftspraktiken der Plattform beschäftigt. Am Telefon sagt Froer, es sei gerade auch der großen Verbreitung von Roblox bei Kindern im Grundschulalter geschuldet, dass Eltern irrtümlich von einer Ungefährlichkeit der Plattform ausgingen.

„Die denken sich: Die Eltern der anderen erlauben es schließlich auch, dann wird es schon nicht so schlimm sein.“ In ihrem eigenen Bekanntenkreis erlebe sie reihenweise, dass Kinder befreundeter Eltern unbeaufsichtigt Roblox nutzten, ohne dass die Erwachsenen ahnen, welche Spiele und Umgangsformen dort mitunter herrschen.

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Froer ist keine grundsätzliche Gegnerin von Gewalt in Computerspielen. Bei manchen Killerspielen etwa handle es sich in Wahrheit eher um Sportspiele, „die sind nicht brutaler als Völkerball im Schulsport“, sagt sie. Man müsse jeweils genau hinsehen und unterscheiden. Was Roblox betrifft, sei es dringend nötig, den Zugang für Kinder zu erschweren: „Eine Voraussetzung sollte sein, dass Eltern einer Account-Erstellung zustimmen müssen“, sagt Froer.

„Und dass sie dann Schritt für Schritt durch alle möglichen Schutzeinstellungen geleitet werden.“ So seien Eltern gezwungen, sich mit den Risiken von Roblox auseinanderzusetzen und sich ein Urteil zu bilden. Froer sagt: „Eine gute Entscheidung ist eine informierte Entscheidung“.

Eine solche Zugangsverschärfung wird es allerdings auf absehbare Zeit nicht geben. Roblox hat bereits einen Ausblick auf die nächsten Schritte des Unternehmens gegeben. Im kommenden Jahr will man eine weitere technische Neuerung ausprobieren.

Mithilfe von Webcams sollen Spieler permanent ihre eigenen Gesichtszüge aufnehmen und diese in Echtzeit auf das Gesicht ihrer Spielfigur projizieren können. So soll das Roblox-Erlebnis noch realistischer werden.

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