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Blick auf das Kloster Neuzelle vom Barockgarten aus.

© TMB-Fotoarchiv/Steffen Lehmann

Ausflugsziel Neuzelle: Volle Pracht voraus

Erst kamen die Mönche zurück aus Österreich, dann kehrte der wilde Koch aus Australien heim. Dem Magnetfeld von Neuzelle in Brandenburg kann man sich nur schwer entziehen.

Mit dem Zug aus Berlin fährt man durch dichte Wälder, hinter Frankfurt an der Oder geht es südwärts an Wiesen und der deutsch- polnischen Grenze entlang, Bungalows ducken sich am Waldesrand, blaues Ochsenkraut wächst am Bahndamm, und auf dem Handy steht: willkommen in Polen. Zwischen den Ländern mäandert das Mobilfunknetz, zwischen den Welten wähnt sich der Reisende.

Auf einem Hügel thront die ockerfarbene Stiftskirche des Klosters Neuzelle, die einzige barocke Kirchenanlage des Bundeslandes, und man muss sich schon zwicken, um sich zu vergewissern, dass man in Brandenburg und nicht in Bayern gelandet ist.

„Prachtentfaltung“, sagt Tilman Schladebach von der Stiftung Stift Neuzelle trocken und zieht an seiner Zigarette. Darum ginge es hier, ihr kann man sich nicht verweigern an diesem Ort mit 4500 Einwohnern, und mit ruhiger Stimme fügt Schladebach hinzu: „Gehen wir kurz hinein.“

Böhmische Prägung

Die Besucher schreiten durch die Tür, stehen in der Kirche und bekommen eine Ahnung von mittelalterlichem Bling-Bling. An der Decke erzählen prachtvolle Gemälde christliche Geschichte, jede Säule ist ein kleiner Altar mit goldenen Sternen, Kreuzen und Figuren. „Böhmische Prägung“, sagt Schladebach. Was heißt: Es sind jetzt nicht die großen italienischen Meister zu sehen, sondern solide Auftragsmalerei. Barock mit Handbremse.

Neuzelle ist katholische Filterblase in einem protestantischen Einzugsgebiet. Schladebach, Pfarrerssohn aus Charlottenburg und seit mehreren Jahren für die Kultur im Kloster zuständig, erklärt die Eckdaten. Ende des 13. Jahrhunderts errichtet, nach dem Dreißigjährigen Krieg 1648 unter den Schutz des österreichischen Kaisers gestellt, als barockes Musterkloster aufgepäppelt und erst im 19. Jahrhundert aufgelöst.

Danach zogen Lehrerseminare, die Nazi-Eliteschule Napola und eine DDR-Lehrerausbildungsstätte ein. Über Jahrhunderte wurde in Neuzelle der jeweilige Glaube weitergegeben, eingetrichtert und wieder fortgejagt.

Die Stiftskirche thront über dem Ort.
Die Stiftskirche thront über dem Ort.

© Ulf Lippitz

Vor einigen Jahren sind Mönche des Zisterzienserordens zurückgekommen, das österreichische Stift Heiligenkreuz hat ein Priorat im Kloster gegründet, so etwas wie eine Zweigstelle. Acht Männer in braun-weißen Kutten leben auf dem Gelände, zahlenmäßig überholt nur von den acht Brutpaaren der Turmfalken.

Die Greifvögel segeln gerade elegant am Kirchturm vorbei, über den Stiftsplatz mit den Pflastersteinen, der im Volksmund den Namen „Märkische Feldsteinwüste“ trägt, hastet ein Mönch. „Er geht zum Stundengebet“, sagt Schladebach.

Siebenmal am Tag haben die Stiftsbrüder diese Pflicht, siebenmal am Tag braust ein weißer Volkswagen Polo heran, nicht jedes Mal in solch einem Affenzahn wie in diesem Moment, in dem sich Herr Schladebach in den Weg stellt und mit den Armen signalisiert: ganz ruhig. Eine Frau sitzt am Steuer, eine betfreudige Katholikin aus dem Nachbarort, sie lächelt verlegen. Wenn Gott ruft, schaltet sie schon mal in den Formel-1-Gang.

Herr Schladebach zeigt auf den Kirschgarten linker Hand, in dem jeder Besucher saure Früchte pflücken kann. Er geht weiter zur evangelischen Kirche, die im 19. Jahrhundert auf dem Gelände gebaut wurde, die Leutekirche, und natürlich viel kleiner und wirkungsfreier geraten ist als die verzierte Stiftskirche. „Ich meckere ja gern“, gesteht Herr Schladebach und schaut hinauf zur bemalten Decke, „aber die Perspektivverkürzung wirkt schon lebensecht.“

Ein himmlisches Theater

Draußen setzt sich der 64-Jährige in den Schatten auf eine Bank, zündet sich noch eine Zigarette an und erzählt nun vom eigentlichen Schatz des Klosters: dem Himmlischen Theater. Das sind 15 monumentale Szenen, Passionsdarstellungen vom Heiligen Grab, seit fünf Jahren in einem eigenen Museum gegenüber der Kirche untergebracht – und von vielen Touristen links liegen gelassen. Die Falken japsen von den Dachzinnen. Welch eine Schmach!

Nicht alle Bilder des Zyklus können die Gäste bewundern. Zwei Szenen hat man für diesen Sommer aufgebaut. Wer in den abgedunkelten Raum unter dem Weinberg hineingeht, erblickt links eine Palastszene und rechts eine aus dem Gartenzyklus. Beide sind etwa sechs Meter hoch und acht Meter tief, die Holzfiguren sind in mehreren hintereinander liegenden Gängen ins Geschehen hineingeschoben – wie es in einer Theaterkulisse aus dem Mittelalter üblich war.

Rechts sieht man die berühmte Szene des Judaskusses. „Es sieht fast so aus, als ob Jesus Judas küsst“, bemerkt Herr Schladebach. Erst 1998 habe man die um 1750 entstandenen Figuren aus dem Fundus wieder hervorgeholt und aufwendig restauriert. Heute bewundert man die Kunstfertigkeit bei konstanten 18 Grad und 40 Prozent Luftfeuchtigkeit. Unbewegte Bilder, aufwühlendes Drama. Kintopp für gläubige Christen, in früheren Zeiten jede Ostern in der Kirche ausgestellt.

Im Restaurant Wilde Klosterküche kocht Manuel Bunke brandenburgische Interpretationen.
Im Restaurant Wilde Klosterküche kocht Manuel Bunke brandenburgische Interpretationen.

© Ulf Lippitz

Erschlagen von der Geschichte? Neuzelle hat einen überraschenden Ausgleich zu bieten, nur einen Fußweg von fünf Minuten entfernt: ein hochmodernes Restaurantkonzept. Manuel Bunke, Chefkoch in der Wilden Klosterküche, sagt: „Ich mache mal schnell etwas zu essen.“

In der Showküche blitzen Stahl und Chrom, der 34-Jährige holt einen Behälter mit einer lilafarbenen Masse aus dem Kühlschrank. Farbe Rotkraut, Konsistenz Komposthaufen. Er wühlt mit bloßen Händen darin, zieht ein Lachsfilet aus dem Rotkohlgrab, säubert den Fisch und scheidet ihn in dünne Scheiben.

Während er Brandenburger Produkte auf den Teller stapelt, Senfkonfit, Tomatenmarmelade, gepickelter Rhabarber, erzählt er von der weiten Welt. Mit 16 ist er aus dem nahen Guben nach Bayern abgehauen, hat eine Kochlehre absolviert, vier Jahre in Australien und ein Jahr auf den Fiji-Inseln gearbeitet, er hat für den Neuköllner Club Klunkerkranich ein gastronomisches Konzept entworfen und nun in der Klosterküche wieder dicht an der Heimat angefangen.

Das Magnetfeld von Neuzelle hat ihn eingefangen. Man denkt sofort an die Zisterzienser, die 200 Jahre nicht in dem Städtchen lebten und dann gar nicht anders konnten als wieder zurückzukehren.

Hippie-Wiese und Rauschebart

Statt Stundengebet bekommen sie bei Bunke Essen à la minute. Drei Gänge für 45 Euro. Die Mönche kehren gern in das Restaurant ein, in dem Bunke ein wenig das Image vom wilden Koch zelebriert. Seine Ohrläppchen zieren daumengroße Löcher, wo früher einmal dicke Stöpsel steckten. Ihm wächst ein feiner Rauschebart, mit dem er für einen Barbier in Mitte, Brooklyn oder Kopenhagen werben könnte – Prachtentfaltung der anderen Art.

Das Restaurant gehört zum Klosterhotel Neuzelle. Vier Partner betreiben das Boutiquehotel, Bunke ist einer von ihnen. Barock-modern nennen sie den Stil für die 15 Zimmer, zusammen planen sie Ideen für ein neues Miteinander. Auf dem Rasen neben dem Hotel hat Bunke Stühle und einen Grill für den Sommer aufstellen lassen. „Das ist unsere Hippie-Wiese“, sagt er stolz. Katholiken, Protestanten, Blumenkinder, in Neuzelle darf heute jeder glauben, was er will.

Manuel Bunke glaubt an die Kraft der Nachbarschaft. Er schwärmt vom Metzger auf der anderen Straßenseite, dem Bäcker im Ort und den Kräutern im Klostergarten. Wer Bunke zuhört, erahnt eine organische Verbindung in Neuzelle – selbst wenn sie bei ihm erst auf dem Teller und dann am Gaumen stattfindet.

Ralf Mainz wacht als Chefgärtner über den historischen Park.
Ralf Mainz wacht als Chefgärtner über den historischen Park.

© Ulf Lippitz

Demnächst soll es noch mehr Zusammenarbeit geben: Obst und Gemüse aus dem Klostergarten. Chefgärtner Ralf Mainz sagt: „Wir sind dabei, eine Kooperation einzugehen.“ Was leicht staatstragend in diesem Ort klingt, in dem jeder jeden zu kennen und auch zu allem eine Meinung zu haben scheint.

Herr Mainz herrscht über vier Hektar Barockgarten, ein einzigartiges Ensemble in Brandenburg. Den damaligen Zeitgeschmack Ende des 18. Jahrhunderts prägten lustig getrimmte Bäumchen, wie mit dem Lineal gezogene Gehwege, große Hecken und ein rechteckiger Spiegelteich. In den blickten die Lustwandelnden, sahen ihr Angesicht, dahinter das Himmelszelt und wähnten sich dem Heiligen Geist ganz nah. Heute knattern Rasenmäher und quaken Frösche.

Der Gärtner ist am Treffpunkt, dem Springbrunnen vor der Orangerie, leicht zu erkennen: Er trägt einen Strohhut mit breiter Krempe. Dazu kommen eine waldgrüne Latzhose und ein Tennisarm. Denkt man wenigstens. „Wespenstich“, korrigiert Herr Mainz.

Aha, ein schwäbisches Fabrikat

Ein Besucher der Orangerie hat den 43-Jährigen als Funktionsträger ausgespäht und kommt aufgeregt angelaufen. Ganz wichtige Frage! „Wie machen Sie den Rasen hier?“ Er meint die steilen Terrassen, die akkurat gestutzt sind. Der Gärtner erklärt ruhig: Ja, bis zu 45 Grad Hanglage, 4600 Quadratmeter, jeder Gärtner müsse dazu Spikes anziehen und besondere Rasenmäher verwenden. „Schwäbisches Fabrikat“, ergänzt Mainz. Letzteres beruhigt den Fragesteller enorm.

Mainz dreht sich weg und lächelt. „Würde ich jedes Mal einen Euro kriegen, wenn jemand diese Frage stellt ...“, beginnt er den Satz und lässt offen, welche Vermögenswerte ihm bisher entgangen sind. Er erzählt, dass sie einmal mit Fitnessarmbändern die körperliche Ertüchtigung beim Mähen gemessen hätten und auf 20 Kilometer am Tag kamen. Mit schwerem Gerät, „das ist besser als ein Fitnessstudio“.

Gerade arbeiten sie an der Erweiterung des Barockgartens. Noch einmal zweieinhalb Hektar kommen zum bisherigen Park hinzu, eröffnet wird er im kommenden Jahr. „Ein Gesamtkunstwerk“, sagt Herr Mainz nur. Und er könnte ganz Neuzelle damit gemeint haben.

HINKOMMEN

Den Regionalexpress nach Frankfurt/Oder nehmen und dort Richtung Cottbus umsteigen. Die Fahrt dauert knapp 90 Minuten und kostet 13,90 Euro im VBB-Tarif. Mit dem Auto die A12 nach Polen fahren und vor der Grenze auf die B112 abbiegen.

UNTERKOMMEN
Im Klosterhotel Neuzelle können Gäste ab 119 Euro pro Nacht im Doppelzimmer übernachten. Alle Infos unter neuzelle-hotel.de. Im Erdgeschoss befindet sich das Restaurant Wilde Klosterküche. Details über Produkte und Menü auf wildeklosterkueche.de.

RUMKOMMEN
Jeden Sommer bietet das Stift Neuzelle Kulturveranstaltungen an, Lesungen, Theaterabende und Konzerte, manche mit Essen aus der Wilden Klosterküche. Das vollständige Programm steht auf klosterneuzelle.de. Dort gibt es auch die Führungen durch den Klostergarten, die Gärtnermeister Ralf Mainz anbietet. Beispielsweise ein Frühstück in der Orangerie, bei dem Interessierte alle Fragen rund um den Park stellen können. Diese Reise wurde unterstützt von Tourismusmarketing Brandenburg.

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