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Luzia Zeinert, 89, ist zufrieden in ihrem Seniorenhaus. Nur das mit den Besuchen ist so eine Sache.

© privat

Allein im Heim in der Coronakrise: „Für meinen 90. Geburtstag war eine große Feier geplant“

Luzia Zeinert ist 89, lebt in einem Seniorenhaus in Friesland. Am Freitag hat sie Geburtstag. Aber niemand kann kommen. Ein Protokoll.

„Normalerweise gehe ich viel raus. Ich bin zwar langsam, aber mit einem Rollator kann ich gut laufen. Bis zum Marktplatz und zurück, zusammengerechnet sind das etwa 600 Meter. Momentan haben wir hier allerdings Arrest.

Ich wohne in Sande, einer kleinen Stadt in Friesland, in einem Seniorenhaus, einer Art Senioren-WG. Dort habe ich ein Apartment im ersten Stock, etwa 55 Quadratmeter groß. Es gibt einen Treppenlift, mit dem fahre ich rauf und runter, das klappt wunderbar, ich fühle mich manchmal wie Gräfin Koks. Bis ich hier eingezogen bin, vor vier Jahren, habe ich noch alleine gelebt und alleine gekocht. Nun esse ich zusammen mit den anderen im Gemeinschaftsraum. Ist interessanter mit mehreren. Insgesamt sind wir acht Bewohner.

"Wir sind alles Kriegskinder, das Virus wirft uns nicht um"

Wir schauen hier jeden Tag Nachrichten und haben die Entwicklungen in Sachen Corona verfolgt. Natürlich sprechen wir auch darüber, aber was sollen wir machen, wir können die Situation ja nicht ändern. Wir haben hier alle ungefähr dasselbe Alter, wir sind alles Kriegskinder. Dieses Virus wirft uns jetzt nicht um.

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Ich bin sicher: Mit einem Mal wird Corona wieder weg sein. Die Mediziner werden schon ein Mittel dagegen finden, da habe ich keine Sorge. Es wird nicht mehr lange dauern und alle werden sich um das Medikament zanken. Wäre natürlich schöner sicher zu wissen, ob sie das schon in diesem Sommer schaffen.

"Ich habe fünf Urenkel"

Gäste von außerhalb dürfen zurzeit nicht mehr ins Haus. Aber mit Besuch ist das ohnehin so eine Sache. In meinem Alter sterben Bekannte weg. Mein Enkel hat Familie und arbeitet in Wilhelmshaven, so häufig sehe ich den auch zu normalen Zeiten nicht. Meine Enkeltochter arbeitet hier im Seniorenhaus, die treffe ich also. Ich habe fünf Urenkel. Wenn da einer Geburtstag hat, holen meine Enkel mich zum Feiern dazu. Aber momentan geht das natürlich auch nicht.

"Jetzt gibt es nicht mal Blumen"

Für meinen 90. Geburtstag am Freitag war eigentlich eine große Feier geplant. Die ist nun natürlich abgesagt. Das ist zwar schade, aber wir feiern einfach nach, das ist bloß aufgeschoben. In den Sommer, wenn das alles vorbei ist und wir draußen grillen oder Essen gehen können. Jetzt gibt es nicht mal Blumen, die Läden haben ja auch zu. Unten im Gemeinschaftsraum gebe ich natürlich trotzdem Kaffee und Kuchen aus. Vielleicht Bienenstich. Torte kriegen wir nämlich immerzu. Hier hat ja immer irgendwer Geburtstag, entweder die Schwestern oder wir. Na, es geht schlimmer.

"Um mich habe ich keine Angst, um meine Kinder schon"

Mein Sohn lebt in Hamburg und arbeitet dort als Pfleger in einer großen Klinik. Mit dem telefoniere ich jeden Sonntag um 12 Uhr. Der rät mir auch, derzeit keinen Fuß vor die Tür zu setzen. Er selbst darf auch nur mit Ausweis in seine Klinik.

Um mich habe ich keine Angst, aber um meine Kinder schon. Wir kommen hier nicht raus, so schnell werde ich mich nicht anstecken. Aber die Kinder sind ja mitten im Leben.

Den Vergleich, den Frau Merkel mit der Zeit rund um den Zweiten Weltkrieg gezogen hat, finde ich passend.

"Da gab es noch keine Impfungen"

Bei uns in Wilhelmshaven war viel Fliegeralarm. Da hatten wir unser Spielzimmer als Kinder eben im Keller. Aber weil wir so viele Kinder waren, haben wir das gar nicht als so schlimm empfunden. Wir haben zum Beispiel Mensch ärgere dich nicht gespielt. Wenn der Alarm erst nach Mitternacht vorbei war, hatten wir am Tag darauf schulfrei, das hat uns natürlich gefreut. Ein bisschen ähnlich wie die Jugend jetzt. Damals wie heute haben die Eltern das natürlich anders gesehen.

Früher waren Scharlach und Masern sehr schlimm. Da gab es noch keine Impfungen. Ich lag mit Scharlach als Elfjährige sechs Wochen im Krankenhaus.

"Die Eisdielen haben natürlich zu"

Und noch etwas, das mich an Damals erinnert: Wir konnten auch nicht verreisen, weil es immer irgendeinen Alarm gab. Trotzdem waren wir natürlich mal unterwegs, Eis essen oder so. Hier haben die Eisdielen jetzt natürlich zu.

Hoffentlich bleibt das Wetter schön und es fängt nicht an zu regnen. Dann bekommt man ja Depressionen, ob man nun draußen ist oder drinnen. Leider ist es noch zu kalt, um länger im Garten oder auf dem Balkon zu sitzen, in zwei Wochen sieht das hoffentlich anders aus.

"Leider können Sie das durchs Telefon gar nicht sehen"

Ich komme ursprünglich aus Schlesien, aus Neisse. Meine Mutter ist gestorben, als ich zwei Jahre alt war. Fünf Jahre habe ich daraufhin bei meinen Großeltern gelebt, bis mein Vater wieder geheiratet hat und wir alle nach Wilhelmshaven gezogen sind. Er war dazu verpflichtet worden und baute hier Kühlmaschinen in U-Boote ein.

Nach dem Krieg habe ich eine Ausbildung zur Kürschnerin gemacht und später als Verkäuferin gearbeitet. Vierzig Jahre habe ich mit meinem Ehemann in Osnabrück gelebt, vor zehn Jahren ist er leider verstorben und ich bin zurück nach Friesland gezogen, zu meiner Tochter. Hier ist es wunderschön, leider können Sie das durchs Telefon gar nicht sehen.

"Leute, die grüßen, das vermisse ich schon"

Meine kleinen Spaziergänge zum Marktplatz unternehme ich normalerweise gemeinsam mit meiner Nachbarin. Wir trinken Cappuccino oder kaufen Kleinigkeiten, die wir im Seniorenhaus nicht kriegen. Zum Beispiel Kosmetik. Die bauen hier gerade eine Drogerie in der Nähe, da freuen wir uns schon drauf. Unterwegs machen wir immer Pause auf einer Bank vor der Polizeistation. Da gibt es einen Beamten, der mit uns scherzt: „Ich passe auf Sie auf.“ Autos fahren vorbei und die Leute grüßen uns, Moin Moin. Das vermisse ich schon.

Die momentane Situation ist ein bisschen langweilig für uns Senioren. Aber wenn es uns zu langweilig wird, dann gehen wir einfach ins Bett.“

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