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Titel: Königsberger Klopse für Barack Obama

Die neue Deutsche Küche boomt, auch und gerade in Berlin. Die Frage ist aber, was zeichnet sie eigentlich aus? Regionalität, Tradition oder doch kreative Neuinterpretation?

Deutsche Küche! Das war über Jahrzehnte eine Drohung, unterstützt von anderen Ankündigungen wie „Hier kocht der Chef“ oder „Futtern wie bei Muttern“, die schon beim Lesen pappsatt machten und Besseresser zuverlässig in die Flucht schlugen. Deutsche Küche: Das waren Jägerschnitzel, Matjestopf und Königsberger Klopse, indiskutabel in einem weltoffenen Land, das an jeder Ecke Pizza, Thai-Suppen und Burger anbietet. Doch die Ironie der kulinarischen Geschichte will es, dass die Gäste plötzlich gern drei Monate im Voraus reservieren, um in Tim Raues „La Soupe Populaire“ eben dies zu essen: Königsberger Klopse, Senfei mit Roten Beten oder Birnen, Bohnen und Speck. Und Raue ist bei weitem nicht der einzige Koch, der in diese Richtung marschiert. Was ist da passiert?

Raue und die Klopse - das war ein Zufall, der entscheidend dadurch befördert wurde, dass ­Barack Obama sie bei seinem Berlin-Besuch 2013 essen durfte. Doch dass seine Gerichte vom Protokoll des Aufenthalts gezielt ausgesucht wurden, zeigt ja schon, wie stark das Interesse an lokaler und regionaler Küche zugenommen hat. Berlin und Deutschland sind da kein Sonderfall. Im Gegenteil: Die modebewussten Köche unseres Landes schwimmen auf einer ­Welle, die sich auf die Emanzipation der skandinavischen Küche ab 2004 zurückführen lässt. In ihrem berühmten Manifest verkündeten die Wortführer um die „Noma“-Macher Claus ­Meyer und René Redzepi, man wolle eine neue Küche ausschließlich auf den Produkten und Traditionen der jeweiligen Heimatregion aufbauen. Das ging zeitweise so weit, dass Küchenchefs denunziert wurden, wenn sie Olivenöl oder ­Zitronensaft verwendeten; das böse Wort von der Geschmackspolizei ging um.

Das Manifest drückte zunächst vor allem den Überdruss daran aus, dass die internationale Gourmet-Küche, egal, wo sie zubereitet wurde, immer konformistischer und gleichförmiger geworden war, aufgebaut auf den gleichen Luxusprodukten weltweit. Die revolutionäre Idee der Skandinavier zerbrach diese Ketten und förderte die Entwicklung von Gerichten, die woanders nicht nachzumachen waren, weil dort andere ­Produkte und andere Traditionen dominierten. Ihr Bestreben traf sich mit den grundlegenden Vorarbeiten von französischen Küchenstars wie Marc Veyrat oder Michel Bras, und sie wurde zum dominierenden Trend durch einen negativen Effekt: den Überdruss an der Chemiebaukasten-Küche von gehypten Chefs wie Ferran Adria oder Heston Blumenthal, die lange die Besseresser-Szene dominiert hatten. Dass unbekannte ­regionale Produkte in aller Regel billiger sind als bretonischer Hummer oder französische Foie gras, mag allerdings ebenfalls eine Rolle gespielt haben ...

Wir waren bei der ­deutschen Küche stehen geblieben, die natürlich nicht ihr erstes Comeback erlebt. Im Süden und Südwesten des Landes war sie nie ganz verschwunden, und als Alfons Schuhbeck um 1980 herum den Überdruss an der als willkürlich und künstlich verrufenen Nouvelle Cuisine aufnahm und seine leicht modernisierte Bayerische Schmankerl-Küche in die gelangweilte Szene warf, war der Jubel groß. Eckart Witzigmann, der Allergrößte im Lande, beglückte seine Gäste damals mit gefüllter Kalbsbrust, und selbst in Berlin kam ein Hauch dieser Bewegung an, als Siegfried ­Rockendorf, ein eingefleischter Frankophiler, für ein Magazin Eisbein mit Erbspüree kochte, nur eben modern, mit sorgfältig entfettetem Fleisch und frischen grünen Erbsen.

Doch wie alle Wellen schwappte auch diese irgendwann kraftlos aus, und die Esser orientierten sich nach Asien oder kehrten zum ­Italiener zurück. Alle Produkte waren fast überall zu ­haben, und die Köche konnten ihren Ruhm leichter mit Thunfisch-Tataki vermehren als mit Schweinebraten. Zumal guter Thunfisch ­leichter zu bekommen war als guter Schweinebraten. Das aber änderte sich, von Süden vordringend, ganz langsam. Denn die Wiederentdeckung des Schwäbisch-Hällischen Schweins beispielsweise zeigte, dass es Alternativen zum globalen Delikatessen-Express gibt, und so wuchs das Interesse an den Traditionen der deutschen Küche im Zusammenspiel mit der Verbesserung ihrer traditionellen Zutaten.

Doch diese Rückbesinnung auf Traditionen und Rezepte mit zeitgemäßer Kochtechnik und guten Produkten, wie sie Alfons Schuhbeck und Vincent Klink angestoßen hatten, war nur der erste Schritt, und er funktionierte richtig auch nur im Süden Deutschlands. Zudem konnte er den jungen, ehrgeizigen Küchenchefs nicht genügen, die sich mit eigenen kreativen Schöpfungen profilieren wollten und nun die jeweils wichtigsten internationalen Trends einbezogen. Das führte zunächst zur ironischen „Dekonstruktion“ im Stil von Ferran Adria, einer kurzlebigen Entwicklung, die alsbald vom skandinavischen Stil überrollt wurde: Von der Erfindung einer regionalen Küche, die auf den lokalen Produkten neue Gerichte aufbaut und in Großmutters Kochbuch nur noch ganz sporadisch reinschaut. Es gibt sie längst ebenso im komplexen, immer leicht überladenen Duktus der aktuellen europäischen Gourmetküche wie als extrem puristisch ausformulierte Weniger-ist-mehr-Stilistik, die beispielsweise im Berliner „Nobelhart & Schmutzig“ zu besichtigen ist. Und überraschenderweise scheint sie sich leichter dort zu etablieren, wo es, wie in Deutschlands Nordosten, keine homogene, qualitativ anspruchsvolle Küchentradition gibt, die zu überwinden wäre.

Moment: Wie viele deutsche Küchen sind das jetzt? Wir hätten da erstens die neoklassische im Schuhbeck-Stil, die langsam in viele Landgasthäuser zurückkehrt, wo die Gäste auch nicht mehr so scharf auf Carpaccio und Lammrücken provencale sind. Dann gibt es die radikalere Fermentier- und Einweck-Küche, die diverse alte Techniken reanimiert, sogar Wurst und Schinken selbst herstellt und dem „nose to tail“-Konzept anhängt, aber in den Kombinationen und Aromen konventionell bleibt - in Berlin im „Herz & Niere“. Drittens haben wir die nur noch in ihren Produkten regionale neue Küche mit ihren komplett erfundenen Gerichten im skandinavischen Stil. Und viertens - da wären wir wieder bei Tim Raue - könnte sich eine moderne deutsche Küche entwickeln, die disparate Traditionen sichtet und aus ihnen modernisierte Klassiker formt, die sich von ihren Vorfahren durch hochentwickelte Kochtechnik und bessere Produkte unterscheiden, aber nicht vordergründig kreativ oder gar dekonstruiert wirken. Raues optimierte Klopse sind dafür ein gutes Beispiel: Sie gewinnen durch eine reiche Beigabe von Kalbskopf, Bries und Zunge an Lockerheit und sensorischem Reiz, der nichts mehr von den Tischtennisbällen unserer Großmütter hat; kleine Retuschen wie der süße Wein in der Saucenreduktion nehmen moderne Geschmacksvorlieben auf. Raues neues Buch „Deutscher Wein und deutsche Küche“ zeigt dafür eine ganze Reihe von Beispielen: Krabbencocktail und Leipziger Allerlei, Rehterrine und Bienenstich - so hat man das noch nie gekocht.

Zwischen dieser - bislang noch unkopierten - Stilistik und den streng reduzierten Etüden der bodennahen Neuerer wie im „Nobelhart“ oder dem ganz neuen „Einsunternull“ liegt eine tiefe Kluft. Raue will die Erinnerungen seiner Kindheit geschmacklich auf den neuesten Stand bringen, das ist etwas völlig anderes als die strenge Askese der oppositionellen Fraktion, die sich dem Diktat der Saison und der Region unterwirft und wie ihre skandinavischen Vorbilder alles aus der Küche geworfen hat, was nicht innerhalb einer Autostunde rund ums Restaurant wächst und gedeiht. Statt Zitronensaft säuert Molke, statt Olivenöl gibt es Rapsöl, und im Winter blähen Rüben und Kohl, jene Viktualien also, die einst den verheerenden Ruf der armen deutschen Küche erst begründet haben. Das ist als Idee zweifellos faszinierend und bringt Rezepturen hervor, die ohne das doktrinäre Denkgebäude dahinter nie entstanden wären. Ob es neben den neuigkeitssüchtigen Foodies allerdings genug Gäste gibt, die diese freiwillig gewählte Enge auf Dauer schätzen, wird sich noch zeigen müssen. Gerade in Berlin und Brandenburg erhebt sich zudem die Frage, ob die regionalen Erzeuger überhaupt in der Lage sind, entsprechende Produkte kontinuierlich zu liefern.

In die Lücke, soviel ist sicher, stoßen aller­hand ehrgeizige Köche, die sich ihre persönliche Regionalküche zusammenbauen und sie mit so viel globalen Produkten ergänzen, wie sie wollen. Arne Anker, der die früher eher diffus süddeutsche Stilistik der Küche im „Pauly Saal“ grundlegend überarbeitet hat, könnte ein solcher Koch sein. Bei ihm gibt es zum Beispiel Grünkohl mit Senf, Kürbis und Grünkern, aber wer draufzahlt, der kann sich dieses vegetarische Ensemble auch mit einem dicken Langostino versüßen lassen. Der „Hauptstadtbarsch“ darf mit Schwarzwurzeln, Muscheln und Dill ein wenig in Richtung Norden schwimmen, während der Waller mit Koriander, Wirsing und Zwiebeln einen anderen Ausweg kennt: Er kann mit Kaviar glamourös aus der norddeutschen Tiefebene befreit werden.

Neben all diesen Anstrengungen für anspruchsvolle Gourmets findet aber auch die Rückbesinnung auf die traditionelle deutsche Küche zunehmend neue Freunde - gut für Touristen, die in der Stadt beiläufige, bezahlbare Gerichte suchen, die es in ­London oder Barcelona auf gar keinen Fall gibt. Sie könnten zum Beispiel im neu formierten „Tucholsky's“ auf ihre ­Kosten kommen, wo es Miesmuscheln, Rindsroulade und Hirschgulasch gibt, gradlinig gekocht ohne aufgesetzten Ehrgeiz. Die Berliner Küche jedenfalls wird ihre Attraktivität nur bewahren und steigern können, wenn sie alle denkbaren Wege beschreitet.

Neue Deutsche Küche - Modernisierte Klassiker, Rückbesinnung auf die Region, Wiederbelebung traditioneller Kochtechniken - Drei Positionen.

Mehr zum Thema gut Essen, Trinken & Kochen in Berlin finden Sie im Magazin "Tagesspiegel Genuss".

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