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Im Fermentationslabor des Noma wird Grundlagenforschung in Sachen Geschmack geleistet.

© Evan Sung / Verlag Antje Kunstmann

Im Fermentationslabor des "Noma": Essen und forschen

Das weltberühmte Kopenhagener Restaurant experimentiert, wie Mikrobakterien ein Gericht unvergleichlich machen. Besuch in der Wunderkammer des Kochens

Von Felix Denk

Nach der scharfen Rechtskurve sieht man erst mal: nicht viel. Ein Flachbau, parallel dazu ein Gewächshaus, davor eine Wiese, dahinter Wasser und am Horizont die weltberühmte rampenförmige Müllverbrennungsanlage, die im Winter auch als Skipiste genutzt werden kann. Dann stehen da noch ein paar Fahrradständer, für die Gäste. Nach einem sehr weltberühmten Restaurant sieht es hier am Stadtrand von Kopenhagen wirklich nicht aus.

Vor einem Jahr ist das „Noma“ in dieses Gebäude in Christiania umgezogen, in dem früher die Königlich Dänische Marine Minen lagerte. Im alten Speichergebäude in der Innenstadt, wo das Restaurant viermal zum besten der Welt gewählt wurde, werden heute Schnitzel gebraten. Im „2.0“, wie sie ihr neues Restaurant intern nennen, haben Spitzenkoch René Redzepi und sein hundertköpfiges Team jetzt Platz, um jene Projekte umzusetzen, für die am alten Standort nicht genügend Raum war.

Der Raum sieht aus wie ein Hi-End-Drogenlabor

Neben den Gewächshäusern, in denen ein Team von Gärtnern Gemüse und Kräuter zieht, gibt es ein Labor für Fermentation: Miso, Koji-Pilze, Garum, Sojasaucen, Essige, Kombuchas sowie milchsauer und schwarz eingelegte Früchte und Gemüse stellen sie hier her.

„Vorsicht“, sagt Kevin Jeung, ein hochgewachsener Kanadier, und setzt einen gelben Schutzkopfhörer auf. „Wir schalten jetzt gleich den Sonicator ein.“ Das Ultraschallgerät produziert ein schrilles Pfeifen, das einen Raum durchdringt, der aussieht wie ein High-End-Drogenlabor. Kunstlicht, Edelstahl, weiße Kacheln, links eine kleine Küche mit Herd, Ofen und Spüle, rechts ein aufwendig verkabelter Maschinen-Fuhrpark.

David Zilber (l.) leitet das Fermentationslabor, er ist im engen Austausch mit Noma-Chef René Redzepi.
David Zilber (l.) leitet das Fermentationslabor, er ist im engen Austausch mit Noma-Chef René Redzepi.

© Evan Sung / Verlag Antje Kunstmann

Hier steht etwa ein Supercriticalfluidextractor, ein kastenförmiges Gerät, das eigentlich für die Herstellung von Parfüms verwendet wird. Damit extrahieren sie hier mit CO2-Gas ätherische Öle. In der Ecke ein Gefrierschrank, in dem Bakterien und Schimmelkulturen aus der ganzen Welt gefrostet lagern. Die Zentrifuge mit einer eng gekringelten Spirale wiederum stammt eigentlich aus dem medizinischen Bereich. Dort wird sie für Blutproben verwendet, im „Noma“ jagen sie Kombuchas hindurch, ehe sie sie servieren.

Das nerdige Herz des Noma

Das Fermentationslabor ist das nerdige Herz des „Noma“. Hier wird Grundlagenforschung des Geschmacks betrieben. Vielleicht einer der spannendsten Orte der Kulinarik – und einer der lautesten, wenn der Sonicator kreischt. „Mein Lieblingsgerät“, sagt Jason White, als die Maschine, die wie ein überdimensionaler Stabmixer aussieht, verstummt. Es beschleunigt die Arbeit der Enzyme durch Ultraschall.

Jason White arbeitet hier seit Jahren und ist die rechte Hand von Laborleiter David Zilber. Die Idee, mithilfe von Schallwellen Essen zuzubereiten, begeistert den 32-Jährigen, der eigentlich Musiker werden wollte. Jetzt ist White, ja, was eigentlich: Koch? Wissenschaftler? Irgendwas dazwischen, sagt er. „Food Researcher“ gefällt ihm.

An der gläsernen Schiebetür stehen Notizen in weißer Schrift: das Menü, das heute serviert wird, und die Fermente, die er dafür bereitstellen muss. „Praktisch kein Gang im Noma ist ohne ein Ferment.“

Das Geheimnis des mikrobakteriellen Terroirs

Fermentation ist derzeit einer der ganz großen Trends in der Welt des Essens. Vor allem ist sie eine der längsten Traditionen. Ob Brot, Bier, Wein, Käse oder Schnaps, der Geschmack von so vielem, was wir jeden Tag essen oder trinken, ist maßgeblich beeinflusst durch die weitgehend im Unsichtbaren stattfindende Arbeit unzähliger Mikroben, die Enzyme produzieren, die Lebensmittel umwandeln.

Als sie im „Noma“ anfingen, im Zuge der neuen nordischen Regionalküche mit Fermentation zu experimentieren, waren sie fasziniert von dem Gedanken des mikrobakteriellen Terroirs.

Die Schönheit des Verfalls: Einen Essig ansetzen, kann ungemein ästhetisch aussehen.
Die Schönheit des Verfalls: Einen Essig ansetzen, kann ungemein ästhetisch aussehen.

© Noma / Promo

Könnte das, was Heerscharen winziger Ein- und Mehrzeller tun, für den Geschmack des Endprodukts so charakteristisch sein wie Lage, Bodenbeschaffenheit und das Klima beim Wein?

Ganz grundsätzlich: Was ist Essen?

Mittlerweile arbeiten fünf Menschen Vollzeit nur im Labor. In manchen Spitzenrestaurants werkeln nicht mehr in der Küche. Man darf sich das Labor vorstellen wie einen Posten in der klassischen Brigade, in einer Reihe mit der Patisserie für die Süßspeisen oder dem Poissonnier für den Fisch. Als eine Einheit mit einer Spezialaufgabe. Einerseits.

Andererseits ist es viel mehr. Die Mitarbeiter haben große Freiheiten und sollen sie auch nutzen. Vieles wird erst einmal ausprobiert, nichts muss sofort und schnell umgesetzt werden. „René treibt uns immer an, mehr zu forschen“, sagt White. Es gehe immer auch um die grundsätzliche Frage: Was ist Essen?

Einmachgläser mit kryptischen Informationen

Diese Frage entscheidet sich oft hinter dem Laborraum. Hier sind diverse Kammern mit unterschiedlichen Temperaturen und Luftfeuchtigkeit. Eine ist 60 Grad heiß. Hier reift das Garum, eine Art Fischsauce, die schon die alten Römer kannten. Im „Noma“ haben sie unter anderem eine mit der Bauchspeicheldrüse von Wildschweinen hergestellt. Und eine aus entbeinten Eichhörnchen, eingerieben mit einem Schimmelpilz.

Beim Sellerie-Essig zählt der PH-Wert
Beim Sellerie-Essig zählt der PH-Wert

© Evan Sung / Verlag Antje Kunstmann

Der nächste Raum hat 28 Grad. Die Regale reichen bis zur Decke. Im Kunstlicht stehen große Einmachgläser mit Aufklebern, auf denen kryptische Information stehen: „8 % Enzyme, Boar H2O / 18 % Salt, 4.10“. „Hier fermentieren wir gerade Tabak“, sagt White und zeigt auf ein paar eingerollte Blätter. „Einer unserer Praktikanten kommt aus Korsika, wo Tabak wächst. Wir haben die Blätter mit Schimmelpilzen inkubiert und lassen sie jetzt trockenreifen. Sie werden aromatisch und süß. Könnte ein Gewürz werden oder eine Brühe.“ Dafür muss noch das Nikotin raus.

Die Hall of Shame

Auf einem Tablett im Regal liegen schrumpelige Wurzeln. „Das soll so etwas wie vegetarische Charcuterie werden.“ Mit dem Namen sind sie noch unzufrieden, aber wie soll man das auch nennen? Im Grunde reifen die Pastinaken wie eine Salami mit Edelschimmel.

„Das ist unser Regal mit Fehlern“, sagt White. Die „Hall of Shame“, gescheiterte Experimente. Wobei „scheitern“, das will White dann doch nicht so stehen lassen. „Wir haben ja auch total viel gelernt.“ Etwa dass der Schimmelpilz Aspergillus Oryzae sehr gut darin ist, die Proteine in Gemüse aufzubrechen, bei tierischen Produkten entsteht ein ganz anderer Geschmack. Wenn man einen Koji auf Roggenbrot züchtet, bekommt man ein süßes, nussiges Ferment. Wenn man aber butterhaltiges Bananenbrot mit ihm fermentiert, bricht der Pilz das Fett auf und erzeugt den Geschmack von Cheddar. „Das schmeckt dann wie ein Käsecracker. Nicht das, was wir wollten, aber dafür verstehen wir den Prozess jetzt besser.“

Ergebnisse wie diese werden in einer Online-Datenbank festgehalten. Hin und wieder kommen auch Wissenschaftler vorbei und schauen sie sich an.

Auch der Kiefer eines Kabeljau kommt im Noma auf den Teller - bzw. ins Körbchen.
Auch der Kiefer eines Kabeljau kommt im Noma auf den Teller - bzw. ins Körbchen.

© Felix Denk

Wie sieht, woran im Labor geforscht wird, auf dem Teller aus? Vom Labor einen langen Gang mit Büchern entfernt liegt die offene Küche, das Zentrum des verwinkelten Gebäudes. An Kochinseln bereitet eine unübersichtliche Zahl von Köchinnen und Köchen kleine Stillleben zu: in Eigelb marinierte Seeigel von den Färöer-Inseln etwa. Sie werden auf einem gegrillten Gersten-Koji-Cracker serviert, leicht süß und gleichzeitig herrlich vollmundig und somit eine perfekte Aromen-Bühne für das intensiv nach Ozean schmeckende Krustentier. Denn das ist das Ziel all jener Forschung: Die Fermente sollen dem Produkt dienen. Nicht umgekehrt.

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