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Pansori ist ein langer epischer Gesang, bei dem ein einzelner Sänger oder eine Sängerin von einem Trommler auf einer Fasstrommel begleitet wird. Pansori begeistert mittlerweile nicht nur in Korea.

© wikimedia Steve46814 CC BY-SA 3.0

Theaterwissenschaften: Theater in einer globalisierten Welt

Auf der Bühne begegnen sich Menschen, Sprachen, Techniken und Ästhetiken aus allen Ländern. Ein Forschungskolleg untersucht die Folgen der Verflechtungen.

Pansori ist die Bezeichnung für ein traditionelles koreanisches Gesangstheater. Dabei trägt eine Sängerin oder ein Sänger eine epische Geschichte vor, begleitet von einer Trommel. Der Gesang wird mit einer speziellen Atemtechnik hervorgebracht, die sich wesentlich von der unterscheidet, mit der etwa italienische Opern oder amerikanische Musicals gesungen werden. An dieser Technik hängt eine ganze Philosophie, in der dem Atem eine andere Rolle zukommt als etwa in der christlichen Metaphorik. Im zeitgenössischen Korea aber müssen professionelle Sängerinnen und Sänger nicht mehr nur den Pansori beherrschen. Sie agieren in dem globalen Kontext, in dem Theater sich heute verortet. Wenn unterschiedliche „Atemkulturen“ aufeinandertreffen, verändert sich aber nicht nur das Theater, sondern in der Folge auch die ganze Gesellschaft. „Auf den Bühnen der Welt vermischen sich heute Sprachen, Ästhetiken und Aufführungspraxen“, sagt Erika Fischer-Lichte, Professorin für Theaterwissenschaft an der Freien Universität. „Und das neue Wissen, das entsteht, wenn Theaterkulturen einander begegnen, ist immer auch politisch.“

Erika Fischer-Lichte leitet gemeinsam mit Gabriele Brandstetter und Matthias Warstat, die ebenfalls theaterwissenschaftliche Professuren an der Freien Universität innehaben, das internationale Forschungskolleg „Verflechtungen von Theaterkulturen“ an der Universität. Dort forschen Theaterwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sowie Künstlerinnen und Künstler zu neuen Formen des Theaters in einer globalisierten Welt. „Bei den Aufführungen, die man heute auf internationalen Festivals sieht, kann man oft nicht mehr sagen, dieses sei chinesisches Theater, jenes südamerikanisches“, sagt Erika Fischer-Lichte. „Wir haben es mit Verflechtungen zu tun, in denen die einzelnen Fäden oftmals nicht mehr erkennbar sind.“

Mit dem Begriff „Verflechtung“, der die wissenschaftliche Arbeit am Kolleg prägt, habe man sich explizit gegen den Begriff des „interkulturellen Theaters“ gewendet, sagt die Professorin. Dieser sei in den 1980er und 90er Jahren vorherrschend gewesen, um neue Formen des Theaters auf internationalen Festivals zu beschreiben. „Meist ging es dabei aber um Aufführungen, in denen westliches Theater auf nicht-westliches getroffen ist“, sagt Erika Fischer-Lichte. „Und da schwang immer auch ein Moment westlicher Dominanz mit.“

Gerade durch Verflechtung entsteht radikal Neues

Heute sei die Situation eine ganz andere. Es gebe nicht mehr nur europäisch- asiatische oder europäisch-lateinamerikanische Kooperationen. „Heute beziehen sich etwa junge afrikanische Theaterschaffende ganz selbstverständlich auf asiatische oder lateinamerikanische Theaterkulturen“, sagt Fischer-Lichte.

Das im Jahr 2008 gegründete Forschungskolleg wird im Rahmen des sogenannten Käthe-Hamburger-Kollegs vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert. Jedes Jahr haben seitdem zwölf Fellows aus der ganzen Welt die Möglichkeit, ein Jahr lang in Berlin an einem Forschungsprojekt zu arbeiten und sich dabei mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen. In der langjährigen Forschungsarbeit sei vor allem das Vorurteil widerlegt worden, dass Verflechtungen zu Homogenisierung führen. „Man ist heute schnell dabei zu sagen, alles werde zu einer Einheitsästhetik“, sagt Erika Fischer-Lichte. „Aber wenn sich junge Regisseurinnen und Regisseure heute ganz selbstverständlich auf ästhetische Praktiken und Paradigmen beziehen, die in unterschiedlichen Kulturen verbreitet sind, dann bedeutet das nicht, dass alles gleich wird. Im Gegenteil!“ Weltweit seien die Forscherinnen und Forscher auf eine unüberschaubare Vielzahl unterschiedlicher Aufführungen gestoßen, die gerade durch Verflechtungen radikal Neues hervorgebracht hätten.

Ein Herzstück des Kollegs sind langjährige internationale Kooperationen mit Institutionen in Indien, China und Marokko. In Indien gebe es etwa einen Forschungsaustausch mit dem Institut für Theaterwissenschaft an der Jawaharlal Nehru Universität, in China stünden die Berliner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit der Theaterakademie von Shanghai in engem Kontakt. Jährlich veranstaltet das Kolleg eine Summer School für chinesische Theaterschaffende in Berlin. Und einmal im Jahr macht sich das Kolleg-Team auf den Weg nach Marokko, um gemeinsam mit den dortigen Kolleginnen und Kollegen das Theaterfestival „Performing Tangier“ in der gleichnamigen Stadt zu veranstalten.

Ein Handbuch erläutert Schlüsselbegriffe des Theaters

Aus der jahrelangen internationalen Zusammenarbeit geht auch ein Handbuch zu Schlüsselbegriffen des Theaters in nicht-europäischen Sprachen hervor. Oft sei es in Diskussionen vorgekommen, dass Gastwissenschaftler vor dem Problem gestanden hätten, einen Text nicht übersetzen zu können. „Für viele Begriffe aus ihrer Muttersprache gab es schlicht keine deutsche oder englische Entsprechung“, sagt Erika Fischer-Lichte. „Daraus ist die Idee entstanden, eine Art Wörterbuch herauszugeben, in dem jeweils zehn solcher Schlüsselbegriffe ausführlich erläutert werden.“ In dem Handbuch finden sich Theaterbegriffe aus dem Arabischen, Chinesischen, Japanischen, Koreanischen, dem Sanskrit sowie dem westafrikanischen Yoruba.

Im Jahr 2020 erreicht das Kolleg nach zwölf Jahren die maximale Förderdauer. Vor kurzem fand bereits die Abschlusskonferenz statt, in deren Zentrum das Thema „Wissen im internationalen Kontext“ stand. In den verbleibenden zwei Jahren wollen Erika Fischer-Lichter und ihr Team nun noch die Ergebnisse der Tagung auswerten und laufende Publikationsprojekte abschließen. Gerade in einer Welt, in der die nationale Abschottung wieder größeren Raum im politischen Diskurs einnehme, sei es wichtig, sich mit Verflechtungen auseinanderzusetzen, ist die Theaterwissenschaftlerin überzeugt: „Verflechtungen sind nicht einfach ästhetischer Selbstzweck. Drängende gesellschaftliche Fragen können wir heute nur noch beantworten, wenn wir uns untereinander austauschen und unser Wissen zusammenbringen - und genau das passiert heute im internationalen Theater.“

Dennis Yücel

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