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Erfahrungsschatz: Zwei alte weiße Männer zur neuen Zeit

Wolfgang Thierse und Thomas Meyer analysieren die Spannungen der Gegenwart 

Von Caroline Fetscher

Alarmierend ist die neue „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Auffällig viele gerade jüngere Menschen driften statistisch messbar nach rechts.

Sie zeigen keine Scheu vor dem Ruf nach einem „starken Führer“ oder der Zustimmung zur Diktatur, Ressentiments gelten „Juden“ wie „Ausländern“.

Ein Fazit der Studie lautet, dass mehr Investition in politische Bildung notwendig ist. Einen passenden Beitrag liefern jetzt zwei ältere politische Köpfe.

In einem Gesprächsband, floskelfrei und praxisorientiert, analysieren der frühere Parlamentspräsidenten Wolfgang Thierse und der SPD-Bildungspolitiker Thomas Meyer Schlüsselfragen der Gegenwart, von der Neuen Rechten bis zu Ökologie, Krieg, Globalisierung und Gerechtigkeit.

Erschienen im Marburger Schüren Verlag, herausgegeben von Klaus-Jürgen Scherer und Wolfgang Schroeder, reflektiert „Soziale Demokratie als Überlebenspolitik“ auch die politische Spannung im Land.

In ihr spiegelt sich die weltweite Polarisierung zwischen Globalisten und Lokalisten, wie Meyer sie nennt, die auch Affekte schürt gegen Migranten, als Personalisierung des Neuen und Fremden. In Deutschland sieht Meyer diesen Grundkonflikt „durch den Ost-West-Konflikt geografisch akzentuiert.“

„Wir Ostdeutschen schleppen einen Minderwertigkeitsrucksack mit uns“, erklärt Thierse. Noch immer orientiert der Osten sich in „Defizitfixierung“ am Westen und dessen teils nur noch fantasierten Privilegien. Richtig wäre der Vergleich der Ex-DDR mit Staaten im Osten, mit Russland, Polen, Tschechien. Doch mit der „sogenannten Ost-Identität“ hat sich die Sicht verselbstständigt

Gegen die AfD nun helfen keine moralisierenden Sonntagsreden, ist Thierse überzeugt. Am stärksten wirken Argumente von Nachbarn, Familie, Kollegen: Vor allem die Zivilgesellschaft muss die Demokratie verteidigen.  

Politik wiederum, so Thierse, müsse nicht nur nüchtern erklären, sondern auch „in viel stärkerem Ausmaß emotional“. „Zu spät aufgewacht“ sei die SPD etwa beim Heizungsgesetz. Nicht technische Probleme, sondern die Kosten hätten „frühzeitig im Mittelpunkt stehen müssen“, um Ängsten zu begegnen.

Von Thema zu Thema geben die beiden weißen, alten Männer mit ihrem Ethos relevante Impulse für alle Demokraten in politisch volatiler Zeit. Eindrucksvoll erschließt sich hier der Sinn der Begriffs „Erfahrungsschatz“.   

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