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Im Staatlichen Museum für Naturkunde wird ein übergroßes Modell einer asiatischen Tigermücke gezeigt. Dies ist Teil der Großen Landesausstellung 2021 „Neobiota – Natur im Wandel“, die vom 17.11.2021 bis zum 11.09.2022 zu sehen ist.

© picture alliance/dpa / Uli Deck

Effektive Mückenkontrolle: Plagegeister als blinde Passagiere

Ein internationales Team um Humangeographin Uli Beisel untersucht, wie und wo die Tigermücke und ihre Artgenossen sich ausbreiten und überwintern.

Von Catarina Pietschmann

Die asiatische Tigermücke Aedes albopictus ist leicht zu erkennen: An ihrem aparten schwarz-weißen Streifenmuster, das sich über ihren Körper samt Beinen zieht. Die asiatische Buschmücke Aedes japonicus sieht ihr sehr ähnlich, ist nur größer und weniger wärmebedürftig. Vor allem die Asiatische Tigermücke reist gern über weite Strecken in menschlicher Gesellschaft. Das erweitert ihren „Horizont“ ungemein, der sonst nur einen Radius von einem bis drei Kilometer hat. Dank Erderwärmung und Globalisierung ist das Insekt inzwischen auch in Zentral- und Nordeuropa heimisch. In Südeuropa waren sie schon lange, aber nun haben sich Tigermücken auch nördlich der Alpen breit gemacht. Die Buschmücke gar bis hoch an die niederländische Grenze. Zwar noch nicht flächendeckend, aber punktuell massiv.

Zwei invasive Arten mehr – na und?, könnte man meinen. Doch tropische Stechmücken können Krankheiten wie Dengue-, West-Nil- oder Chikungunya-Fieber sowie Zikavirus-Infektionen übertragen. Also ist es gut, ihre Verbreitungswege zu kennen, um Kontrollmaßnahmen ergreifen und größere Ausbrüche verhindern zu können. „Interessanterweise nutzen die Mücken menschliche Verkehrsinfrastruktur: Sie reisen per Flugzeug, Containerschiff, Zug, Lastwagen und in Autos von Touristen, die aus dem Süden heimkehren. Ohne unsere Verkehrswege kämen sie längst nicht so schnell voran“, sagt Uli Beisel, seit 2021 Professorin für Humangeographie an der Freien Universität Berlin.

In ihrem aktuellen Projekt, das von der VolkswagenStiftung im Rahmen des Programms „Globale Mobilität – Globale Gesundheit“ für vier Jahre mit 1,5 Millionen Euro gefördert wird, untersucht die Humangeographin zusammen mit Biologen und Anthropologen aus Indien, Mexiko, Tansania und Heidelberg interdisziplinär, wie sich die Mobilität von Mensch und Mücke überschneidet. „Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist es eine Globalisierungsgeschichte. Aber auch eine Geschichte des oft nicht bewussten Miteinanders von Mensch und Mücke“, sagt Uli Beisel.

In Süddeutschland bevorzugen die Blutsauger die Autobahn 5

Teammitglieder werden auf Bahnhöfen und Märkten auf dem Weg vom globalen Süden bis hierher unterwegs sein, nach Brutplätzen und Rückzugsorten der Plagegeister suchen und in Bussen und Zügen Mückenfallen aufstellen. „In einer interdisziplinären Kartographie wollen wir dann zusammenführen, wo welche Mücken gefunden wurden.“ Außerdem sollen Interviews mit Reisenden geführt sowie Workshops mit Menschen vor Ort veranstaltet werden. Registrieren diese die Mücken überhaupt, oder reisen diese tatsächlich als blinde Passagiere mit? Nehmen die Reisenden die Insekten als Problem wahr?

„Ziel des Projektes ist es, die Verbreitungswege besser zu verstehen und dieses Wissen für eine effektivere Mückenkontrolle zu nutzen“, betont Uli Beisel. Mit Norbert Becker, Biologe und Dozent für medizinische Entomologie an der Universität Heidelberg, ist ein erfahrener Insektenkundler an Bord. Er war viele Jahre Geschäftsführer der „European Mosquito Control Association“ und forscht schon seit Jahrzehnten an der Ausbreitung von tropischen Stechmücken. „Die Tigermücke gelangte erstmals in den 1970er-Jahren nach Europa: nach Albanien, von wo aus sie sich wegen der politischen Abschottung nicht weiter ausbreiten konnte. 1990 kamen alte Autoreifen per Schiff aus den USA nach Genua und wurden in ganz Italien verteilt – samt den Mücken“, sagt der Entomologe. Entlang der mediterranen Küste ist die Tigermücke inzwischen eine der häufigsten Stechmückenarten. Neben Altreifen sind Töpfe mit chinesischem Glücksbambus hauptsächlich für die Verbreitung von invasiven Stechmücken von Kontinent zu Kontinent verantwortlich. Innerhalb Europas verbreiten sie sich dann als blinde Passagiere in Fahrzeugen.

Leicht andetschen, sodass sie flugunfähig sind, und dann bitte in einem Röhrchen zu uns nach Heidelberg schicken.

Norbert Becker, Biologe und Dozent für medizinische Entomologie an der Universität Heidelberg

In einer Pilotstudie zeigte sich, dass die tropischen Blutsauger in Süddeutschland die Autobahn 5 bevorzugen. Schon zwischen 2005 und 2009 hatten Norbert Beckers Mitarbeiter Eiablage-Fallen an Rastplätzen und Servicestationen entlang der A 5 zwischen Basel und Heidelberg aufgestellt: schwarze Behälter mit 1,5 Litern Wasser, einem Holzstab für die Eiablage und etwas Bti, einem für Mücken toxischen Eiweiß des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis israelensis. Im Jahr 2007 fingen sie damit die ersten Tigermücken nördlich von Weil am Rhein. Dann ging es weiter. „Während 2012 an der A 5 nur ein positiver Fall gefunden wurde, war 2018 schon fast jeder zweite Rastplatz betroffen“, erzählt Becker. Liegen Orte im Umkreis von bis zu drei Kilometern, können sich die Insekten dort leicht ansiedeln.

Anders als heimische Arten folgen Tigermücken aktiv dem Wirt. „Packt man also beispielsweise auf dem Campingplatz am Lido di Jesolo seine Sachen zusammen, und Tigermücken sind anwesend, fliegen sie ins Auto und fahren als blinde Passagiere mit über die Alpen bis nach Deutschland“, erklärt Norbert Becker. Inzwischen gibt es hierzulande mehr als 40 große Populationen. Auch in zwei Kleingartenanlagen in Berlin-Köpenick hat sich der fremde Blutsauger bereits niedergelassen. Jedes Weibchen legt bis zu 80 Eier – zumeist verteilt auf mehrere Brutplätze.

Verdächtige Mücken sollen gemeldet werden

Was lässt sich gegen die Ausbreitung tun? Zunächst passives Überwachen: In Zusammenarbeit mit den örtlichen Gesundheitsämtern werden Hinweistafeln und Eiablage-Fallen aufgestellt, um festzustellen, wie verbreitet die Mücke bereits ist. Anwohner werden mit Flugblättern informiert, wie sie Brutplätze verhindern oder sanieren können. Konkret bedeutet dies, dass in Vogel- oder Igeltränken alle fünf Tage das Wasser erneuert werden muss. In Regentonnen gehört bei Befall eine Bti-Tablette und – da die Mücken ihre Eier einen Zentimeter oberhalb des Wasserstandes ablegen – ein feines Netz darüber, das die Eiablage verhindert. Gemüsebeete kann man mit dem mit Bti versetzten Wasser trotzdem gießen, da die Substanz ausschließlich Mücken schadet. Verdächtige Mücken sollen grundsätzlich gemeldet werden. „Leicht andetschen, sodass sie flugunfähig sind, und dann bitte in einem Röhrchen zu uns nach Heidelberg schicken“, bittet Norbert Becker.

Stark verbreitet sind Tigermücken zum Beispiel in bestimmten Gebieten Heidelbergs und Freiburgs. „Ein großes Problem sind vor allem verwahrloste Gärten. Da wenden wir die sogenannte Sterile-Insekten-Technik an.“ Bei dieser Geburtenkontrolle für Mücken werden die Eier der lokalen Art per Post in ein Labor nach Bologna geschickt. Dort werden die Mücken massenhaft gezüchtet und mittels Gamma-Bestrahlung sterilisiert. Im Paket kommen sie nach Heidelberg zurück und werden in den betroffenen Regionen freigesetzt. Wenn sie sich mit den Wildweibchen paaren, können diese keine lebensfähigen Nachkommen hervorbringen.

Wirksame Methoden zur Mückenkontrolle gibt es also. Nur müssen sie regelmäßig angewendet werden, und sie sind teilweise sehr kostspielig. Zu kostspielig für viele Ländern, in denen die Überträger von Tropenkrankheiten eigentlich heimisch sind. Ihre Biologie, die Erderwärmung und der Tourismus spielen den Mücken quasi in die Flügel. Doch interessanterweise auch noch etwas anderes: Uli Beisel hat sich in Frankreich die Genprofile der Erreger angesehen, die dort zu Ausbrüchen von Denguefieber führten. „Es waren viele Virenstämme aus den ehemaligen französischen Kolonien. So lebt die Kolonialgeschichte in diesen Übertragungen gewissermaßen bis heute weiter.“

Gefährlich ist der Stich einer Tigermücke nur, wenn sie Virusträger ist. Und das ist bisher nur bei wenigen der Fall, denn es müssen drei Faktoren zusammentreffen: Ein Mensch, der sich fünf bis sechs Tage zuvor infiziert hat, muss aus Übertragungsgebieten – heute noch meist den Tropen – zurückkommen. Er muss dann hier von einer invasiven Stechmücke gestochen werden. Und die Außentemperatur muss über 25 Grad liegen. Noch wäre es also ein großer Zufall, von einer Tigermücke infiziert zu werden. Doch wer weiß, wie lange noch.

Für den Inhalt dieses Beitrags ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

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