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Eduard Bernstein, 1895.

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Eduard Bernstein und sein Ehrengrab: Ruhe unsanft

Eduard Bernstein war ein bedeutender Berliner Sozialdemokrat – doch die Stadt erkannte ihm sein Ehrengrab ab. Nun läuft die Schadensbegrenzung.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Da liegt er, auf dem städtischen Friedhof, nahe Innsbrucker Platz – im kühlen Grab. Aber schon zu Lebzeiten war Eduard Bernstein in Berlin-Schöneberg, ganuer: im Bayerischen Viertel, zu Hause. Der große, umstrittene Theoretiker der modernen Sozialdemokratie starb im Dezember 1932, ihm blieb es erspart, den Triumph der braunen Horden in Deutschland erleben und erleiden zu müssen. Zwei Jahrzehnte später wurde dem langjährigen Reichstagsabgeordneten und Bezirksstadtrat zugesprochen, was ihm gebührt: ein Berliner Ehrengrab auf Dauer. Aber dann, im August 2010, wurde es ihm wieder genommen. Ausgerechnet der rot-rote Senat entschied klammheimlich, die Ehrengrabstätte des demokratischen Sozialisten aufzugeben.

Es war kein politischer Akt, sondern das Ergebnis bürokratischer Prüfroutine. Denn Ehrengräber kosten Geld, da muss man gelegentlich gucken, wer unter dem Grabstein ruht und ob es sich noch lohnt, dafür Steuergelder auszugeben. Von Amts wegen war Bernstein offenbar so weit, vergessen werden zu dürfen. Obwohl ihm die eigene Partei vor gut fünf Jahren, zum 75. Todestag, einen neuen, schönen Grabstein spendierte. Aber dann, auf einmal, fehlte der rote Ziegel, der alle Ehrengräber kennzeichnet. Erst 2011 fiel das einem Sozialdemokraten auf, der tausende Gedenksteine und Mahnmale Berlins kennt wie kaum ein anderer: Holger Hübner, der Autor eines Standardwerks zum Thema mit dem Titel „Das Gedächtnis der Stadt“.

Hübner holte Erkundigungen ein und schrieb dann dem Genossen Klaus Wowereit einen Brief, verbunden mit einer dringenden Mahnung: Mit dem Ehrenstatus habe das Grab seinen Schutz verloren, es sei nun akut von der Einebnung bedroht. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Grab dieses verdienstvollen Mannes verschwinden soll“, schrieb der ehrenamtliche Stadtbiograf. Auch angesichts der Tatsache, dass die deutsche Sozialdemokratie 2013 ihren 150 Jahrestag feiere, müsse die Grabstätte erhalten bleiben, und zwar in allen Ehren.

Bernstein selbst wäre womöglich nicht so entschieden für sich eingetreten. Der Sohn eines jüdischen Lokomotivführers, geboren als siebtes von 15 Kindern, war ein bescheidener Mensch. Kein glänzender Redner, doch ein kluger, weit vorausschauender Denker. Ein Marxist der ersten Stunde, Zeitgenosse August Bebels, des legendären Mitbegründers der deutschen Sozialdemokratie. Und guter Freund von Friedrich Engels, dessen Nachlass von Bernstein geordnet und gehütet wurde. Trotz vieler Meinungsverschiedenheiten hatten sich die beiden linken Theoretiker und Politiker im Londoner Exil schätzen gelernt. Bernstein ahnte die SPD als Reformpartei voraus, die kommunistische Endzeitbeglückung war nicht sein Ding. Er kritisierte auch scharf die Marx’sche Phrase von der Diktatur des Proletariats.

Freunde in den eigenen Reihen machte er sich damit kaum. Erst 1953 wurden viele seiner reformerischen Ideen ins Godesberger Programm der SPD aufgenommen. Heute ist Bernstein auch der Linkspartei kein Revisionist mehr, den es zu bekämpfen gilt – erst recht nicht durch Entzug der Ehrengrabstätte. Ein peinliches Versehen. Jetzt gibt es hinter den Kulissen energische Bemühungen, den Fehler auszubügeln. „Lieber Björn“, schrieb der SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß an den Chef der Senatskanzlei, Björn Böhning: „Eduard Bernstein hat die Geschichte der SPD maßgeblich mitgeprägt und war Berlin als Schöneberger Stadtrat und Stadtverordneter ganz besonders verpflichtet. Er ist eines angemessenen Gedenkens würdig.“

Auch die Tempelhof-Schöneberger Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) engagierte sich fürs Ehrengrab, ebenso wie die Historische Kommission der Berliner Sozialdemokraten. Nun wird im Roten Rathaus sorgfältig geprüft. Das beanspruche „etwas Zeit“, gab der zuständige Kanzleibeamte zu bedenken. Im September, spätestens im November sei damit zu rechnen, so heißt es, dass der Senat die letzte Ruhestätte Bernsteins wieder als Ehrengrab anerkennen werde. Wie das Leben und der Tod so spielen: Von seiner damaligen Wohnung aus hatte Parteichef Bebel freie Sicht auf den Friedhof Eisackstraße, auf dem der Genosse und frühere Widersacher liegt.

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