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Blick in das Untergeschoss der Ausstellung “Studio Mumbai“ mit Bildern aus dem Büro von Bijoy Jain und Keramiken von Alev Ebüzziya Siesbye.

© Marc Domage / Fondation Cartier

Die Kunst des Atmens: Der Architekt Bijoy Jain in der Pariser Fondation Cartier

Baumeister mit Eigensinn: Für die Ausstellung in Paris hat Jain sein Büro nachgebaut. Mit Tongefäßen und Bildern aus Kuhdung anstelle digitaler Arbeitsplätze.

Alles wird anders in der Fondation Cartier. Das Pariser Ausstellungshaus, 1984 vom Luxuslabel Cartier als unabhängige Institution gegründet, sitzt seitdem im 14. Arrondissement und realisiert exquisite Ausstellungen mit Künstlerstars wie Damien Hirst, aber auch fundierte historische Überblicke wie „Géometries sud“ über den Konstruktivismus in Südamerika.

Aktuell wird umgebaut – nicht in der Stiftung selbst, sondern in unmittelbarer Nachbarschaft zum Louvre. Dort steht mit dem „Louvre des Antiquaires“ ein Gebäude des 19. Jahrhunderts mit repräsentativer Rasterfassade, das einmal das Zentrum des Handels mit Antiquitäten war. Doch diese Zeiten sind vorbei, mit der Fondation zieht bald auf 6000 Quadratmetern zeitgenössische Kunst ein. Wie schon beim ersten Gebäude hat man die architektonische Gestaltung an Jean Nouvel übergeben.

Die Fondation Cartier zieht 2025 an den Louvre um

Stahl, Glas und metallisch schimmernde Fassaden sind sein Markenzeichen. Die Fondation Cartier, die Pariser Philharmonie oder auch die Galeries Lafayette in Berlin dokumentieren den Stil eines der wichtigsten Architekten der Gegenwart. Dessen Umbaupläne des „Louvre des Antiquaires“ werden streng gehütet, der Umzug ist für den Herbst 2025 geplant.

Umso mehr Aufmerksamkeit verdient die aktuelle Ausstellung in bewährter Umgebung. „Bijoy Jain: Studio Mumbai – Breath of an Architect“ fügt sich nicht bloß ideal in die alte Fondation mit ihrem zugewucherten Garten, ein Projekt in progress des Berliner Künstlers Lothar Baumgarten. Sie ist auch ein Stück weit das Gegenprogramm zu Nouvels futuristischen Entwürfen. Bijoy Jain, 1965 in Mumbai geboren, schaut für die Zukunft lieber zurück. Und entdeckt das Kapital des Handwerks.

Seine Entwürfe predigen traditionelles Wissen: Töpfern, Schnitzen, das Bauen mit Lehm oder Stein, ein menschliches Maß in der Architektur. Dabei ist Janin kein Retro-Romantiker, sondern ein vielfach ausgezeichneter Baumeister mit Einladungen etwa der Königlich Dänischen Kunstakademie oder Yale, wo er in der Vergangenheit lehrte.

Die Schau in der Fondation demonstriert seine Andersartigkeit. Sie zeigt einen Nachbau seiner Büros auf zwei Etagen. Wer schick-schnöde Räume mit digitalen Arbeitsplätzen erwartet, der sieht sich mit dem Gegenteil konfrontiertt. Im Pariser „Studio Mumbai“ hängen Gemälde. Auf schrundigen Hintergründen formieren sich blaue Kreise, rote Spiralen und geometrische Figuren, die man sofort der abstrakten Moderne nach 1945 zuordnen würde. Dabei ist die Formensprache uralt und auf getrocknetem Kuhdung fixiert.

Stühle und Bänke werden zu Kunstwerken

Es gibt Tische, doch die sind mit Gefäßen belegt: Entwürfe der in Paris lebenden Keramikerin Alev Ebüzziya Siesbye. Sie arbeitet formal minimalistisch, verwendet aber anatolische Muster und verbindet so die Kulturen über Epochen miteinander. Ergänzend stehen steinerne Tierfiguren auf dem Boden, die ganze Atmosphäre im Untergeschoss ist gedämpft. Ruhe und ein weiches Licht umarmen die Besucher, die sich auf diversen Stühlen oder Bänken niederlassen können – alle von Hand und so delikat geflochten, dass man sie wie Kunstwerke bestaunt. Fünf Minuten in dieser meditativen Umgebung machen klar, wie kreativ das echte Studio Mumbai auf seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirken muss.

Das Erdgeschoss in Nouvels lichtem Bau dominiert Jains Hütte aus Bambus. Auch dies ein Kontrastentwurf zur maximalen Durchlässigkeit der gläsernen Ausstellungshalle. Ein großer, brauner Ball liegt in der Hütte, diverse Sitzgelegenheiten aus Holz oder Stein säumen den Weg durch die Ausstellung.

Müßig, sich zu fragen, welche exakten Pläne der indische Architekt hier vorstellt. Darum geht es in der Ausstellung am allerwenigsten. „Ich möchte Licht und Schatten als Energie verwenden“, hat Bijoy Jain einmal gesagt, und exakt so lässt sich „Breath of an Architect“ interpretieren. Es gibt Apartments von ihm oder Gebäude wie das legendäre Palmyra House, doch in der Fondation Cartier geht es um pure Inspiration. Um die Erkenntnis, wie tief wir in der Vergangenheit wurzeln und dass uns eine Hülle aus gebrannter Erde näher ist als ein mit Stein verkleidetes Hochhaus.

Für Jain zählt die Verbindung von Tradition und Moderne, seine Avantgarde besteht in der geschickten Mixtur aller Elemente. Gleichzeitig setzt seine Ausstellung Energien frei, von denen man sich wünscht, dass sie die Fondation Cartier in ihre Zukunft begleiten.

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