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Zwischen Tel Vaviv, Berlin und New York. Omri Boehm.

© Marzena Skubatz

Der Universalist: Omri Boehm erhält den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2024

Der israelische Philosoph ringt in seinem Werk um eine gerechte Welt für Juden und Araber.

Von Gregor Dotzauer

Unerschrocken, wie er ist, wird er jetzt auch den unvermeidlichen Gegenwind aushalten. Denn der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung, den Omri Boehm Ende März erhalten wird, geht an einen Philosophen, der es sich mit seiner Haltung zum Nahostkonflikt vor dem 7. Oktober nicht leicht gemacht hat, nun aber, im Angesicht des eskalierenden Krieges, erst recht nicht daran denkt, grundlegende Positionen zu revidieren. Die Zweistaatenlösung, die Boehm in seinem Buch „Israel – eine Utopie“ (2020) zugunsten der Idee einer binationalen Konföderation von Juden und Arabern , verabschiedete, wird zwar gerade wieder von vielen im Munde geführt. Für Boehm aber ist sie, wenn es nicht um das bloße Signal eines möglichen Auswegs geht, ein reines „Lippenbekenntnis“, wie er gerade wieder dem „Spiegel“ versicherte: Sie wäre mit dem unwahrscheinlichen Auszug der jüdischen Siedler aus dem Westjordanland verbunden.

Demgegenüber erscheint ihm das Miteinander in einem gemeinsamen Staat, so unmöglich es derzeit anmuten mag, als die klarer formulierbare Alternative. Vor allem deckt sie sich mit seiner Auffassung eines „Radikalen Universalismus“ (2022), das politische und philosophische Haltung als zwei Seiten ein und derselben Sache betrachtet. Die Jury hat das gleichnamige Buch ins Zentrum ihrer Preisbegründung gestellt und würdigt insbesondere „die Konsequenz, mit der er den Kern des humanistischen Universalismus, die Verpflichtung zur Anerkennung der Gleichheit aller Menschen, gegen jegliche Relativierung verteidigt.“ Boehm zufolge, heißt es, seien „auch in modernen Gesellschaften letztgültige Wahrheiten unverzichtbar, um die Gleichheit und die Würde der Menschen unantastbar zu machen“. Er scheue sich nicht, „für den Universalismus metaphysische Begründungen zu fordern und findet sie im Brückenschlag zwischen der Philosophie Kants und dem Erbe der biblischen Propheten.“

Dieses Letztbegrüdnungsprojekt verfolgt der 1979 in Haifa geborene und an der New Yorker New School of Social Research lehrende Boehm nun auch am Berliner Wissenschaftskolleg. Gegen die Diskurstheorie von Jürgen Habermas oder den postmodernen Liberalismus von Richard Rorty setzt er eine „Critique of Post-Metaphysical Thinking“. Diese beruft sich, ganz gegen ein heute dominierendes Denken, das Wahrheit in der Geschichte sucht, auf überhistorische, transzendentalphilosophische Traditionen wie auf theologische Spuren.

Ersteren geht er zum bevorstehenden Kant-Jahr nun ausdrücklich in einem großen Gespräch mit Daniel Kehlmann nach, das im Februar unter dem Titel „Der bestirnte Himmel über mir“ erscheint. Letztere hat er, etwa mit Rabbi Joshua Heschels nie ins Deutsche übersetztem Hauptwerk „The Prophets“, schon in „Radikaler Universalismus“ gewürdigt.

Politisch steht Omri Boehm auf der Seite einer (israelischen) Linken, die der Regierung Netanjahu und ihrem Unwillen, das Palästinenserproblem zu lösen, von Anfang an misstraut hat. Mit der Soziologin Eva Illouz, die zur Eröffnung der Leipziger Buchmesse die Laudatio auf ihn halten wird, teilt er unter anderem den Blick auf die Ethnokratie, die Israels Demokratie unter sich begraben hat. Er lehnt die Vereinnahmung des Holocaust-Gedenkens durch die Neue Rechte ab, wie sie im Haus der Kulturen der Welt bei Susan Neimans „Hijacking Memory“-Konferenz zur Sprache kam.

Er will nichts davon wissen, den BDS vorbehaltlos als antisemitisch zu bezeichnen, kämpft aber auch gegen die hemmungslos propalästinensische Parteinahme der postkolonialen Linken, und er will Nakba und Shoah als doppelten Bezugspunkt einer gerechten Politik verankern. Omri Boehm macht es vielen nicht leicht. Aber Versöhnung lässt sich nur erzielen, wo zuvor Streit war. Für die hoffnungslos zerfallene Öffentlichkeit kann dies nur von Vorteil sein.  

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