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Eine Szene aus „Das Storyboard von Wim Wenders“.

© Splitter-Verlag

Comic „Das Storyboard von Wim Wenders“: Im Kopf des Filmemachers

Der Kanadier Stéphane Lemardelé gibt in seinem Comic „Das Storyboard von Wim Wenders“ anschauliche Einblicke in die Denk- und Arbeitsweise des Regisseurs.

Wenn Wim Wenders ein neues Filmprojekt startet, scheint ihn nichts aus der Ruhe bringen zu können – bis zu dem Moment, wenn die ersten Filmaufnahmen beginnen. „Ich mag die Dreharbeiten nicht besonders“, sagt der Regisseur. „Man hat Angst, die Kontrolle zu verlieren.“ Erst wenn die Aufnahmen im Kasten sind und er mit den Bildern im Schnittraum sitze, finde er wieder Ruhe: „Da bin ich im Paradies, ohne Ängste.“

Das Geständnis ist einer der vielen Einblicke in die Denk- und Arbeitsweise des Regisseurs, die sich in der Comic-Erzählung „Das Storyboard von Wim Wenders“ finden. Geschrieben und gezeichnet hat sie der Kanadier Stéphane Lemardelé, der 2014 mit Wenders in Québec als Storyboard-Zeichner an den besonders komplexen Eröffnungsszenen von dessen dort gedrehtem Film „Every Thing Will Be Fine“ zusammengearbeitet hat.

Stéphane Lemardelé und Wim Wenders haben 2014 und 2015 für einige Wochen zusammengearbeitet.

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Auch wenn diese Zeit nur einige Wochen betrug, vermittelt Lemardelé doch ein bemerkenswert fundiertes Bild des Filmemachers und seiner Profession. Dafür verbindet der Zeichner Passagen aus Gesprächen, die Wenders mit ihm und anderen Team-Mitgliedern wie dem Set-Designer bei der gemeinsamen Arbeit geführt hat, mit Zitaten aus Essays und Vorträgen des Regisseurs („Paris, Texas“, „Der Himmel über Berlin“), von dem zuletzt der Dokumentarfilm „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ im Kino zu sehen war.

Wim Wenders skizziert in dieser Szene für Stéphane Lemardelé, wie er sich bestimmte Kameraeinstellungen vorstellt.

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Zahlreiche Ortswechsel machen die Lektüre des Buches auch visuell abwechslungsreich: Es gibt Arbeitstreffen im kleinen Kreis in Montréaler Büros, Team-Besuche in Cafés und Restaurants, mehrere Ausflüge zum Drehort der ersten Filmszenen an einem vereisten und schneebedeckten Québecer See, zudem mehrere Studio-Drehtage und zwischendurch auch ein paar Passagen, in denen der Zeichner das Erlebte daheim verarbeitet.

Im Comic zitiert der Zeichner Künstler wie Edward Hopper, die Wim Wenders als Vorbilder verehrt.

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Lemardelé erzählt in Form eines gezeichneten Tagebuchs, wie er als Storyboard-Künstler angeheuert wird und dann zusammen mit Wenders und anderen Mitgliedern des Filmteams die Ideen des Regisseurs in Skizzenform visualisiert, damit alle Beteiligten die Bildausschnitte, Kameraperspektiven und Positionen von Schauspielern und Requisiten vor Augen haben. Später darf er dann auch bei den Dreharbeiten als Zuschauer dabei sein und das Gesehene dokumentieren.

Zahlreiche Szenen spielen am Drehort im winterlichen Québec.

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Zum Glück für den Zeichner und auch für die Leserinnen und Leser dieses Buches beschränkt sich der Austausch des Zeichners mit Wenders nicht auf die Arbeit am aktuellen Film. Immer wieder spricht der Regisseur auch ausführlich über andere Themen wie seine Inspirationsquellen, seine von Film zu Film wechselnden Arbeitsmethoden, sein Verhältnis zu anderen Kunstformen – er sieht das Kino als „Erweiterung der Malerei“ – oder seine ambivalente Einstellung gegenüber modernen Technologien wie der Digitalfotografie und dem 3-D-Film.

Wenders und Lemardelé bei einem der vielen Arbeitstreffen der beiden.

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Zeichnerisch setzt Lemardelé das auf eine handwerklich souveräne und stilistisch vielschichtige Weise um, die „Das Storyboard von Wim Wenders“ künstlerisch über das Niveau vieler anderer Dokumentarcomics hebt. Die Haupt-Erzählung besteht aus meist querformatigen Panels in realistischem Stil.

Inspiriert von Edward Hopper und Andrew Wyeth

Mit ihren warmen Farben, ihrem kräftigen Licht und ihrem leichten Hang zu Abstraktionen erinnern sie an zwei amerikanische Maler, die Wenders verehrt und die er zu seinen Inspirationsquellen zählt: Edward Hopper und Andrew Wyeth.

Hier vermittelt der Zeichner, wie aus ersten Skizzen und Fotos ein Storyboard entsteht, das dann die Grundlage für die Filmaufnahmen ist.

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Dazu kommen als zweite Bildebene grobe Bleistiftskizzen, mit denen Wenders und Lemardelé sich über Bildideen austauschen. Eine dritte zeichnerische Ebene sind dann die ausgearbeiteten Storyboard-Passagen, auf denen akkurat ausgeführt ist, was später auf den Filmaufnahmen zu sehen sein soll. Eine vierte Ebene vermitteln einzelne Szenenbilder aus Filmen von Wenders und seinen Vorbildern, die illustrieren, wie er arbeitet und wer ihn in seiner Karriere auf welche Weise geprägt hat.

Stéphane Lemardelé: Das Storyboard von Wim Wenders, aus dem Französischen von Harald Sachse, Lettering Malena Bahro, Splitter-Verlag, 152 Seiten, 29,80 Euro

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Bemerkenswert ist, wie sympathisch und nahbar Wenders in diesem Buch erscheint, von Star-Allüren keine Spur. Der Regisseur hat dem Zeichner für die deutsche Ausgabe zudem ein sehr freundliches Vorwort geschrieben, in dem er dessen Werk ganz zu Recht als „einzigartiges Buch über das Filmemachen“ lobt.

In seinem Vorwort schreibt Wenders auch, dass es neben der Malerei, der Fotografie und dem Film noch eine weitere Kunstform gebe, die er liebe und die ihn stark geprägt habe: „Alles, was es über das Erzählen einer Geschichte in einer Abfolge von Einstellungen oder Kadrierungen zu lernen gibt, habe ich schon als Kind aus Comics gelernt; letztendlich ist das die Grammatik des Filmemachens.“

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