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Preisgekrönt und heiter. Viktoria Däschlein-Geßner, Professorin für Anorganische Chemie an der Ruhr-Universität Bochum, mit Postdoktorand
Dr. Sébastien Lapointe. Die Chemie, so fand die Wissenschaftlerin schon als Schülerin, hat die besten Antworten auf die Frage, warum etwas funktioniert – und wie.

© RUB, Marquard

Chemie, die begeistert: Die Moleküldompteurin

Viktoria Däschlein-Geßner, Professorin für Anorganische Chemie an der Ruhr-Universität Bochum, erhält den Klung-Wilhelmy-Wissenschafts-Preis 2022.

Von Catarina Pietschmann

Optimal verläuft eine chemische Reaktion, wenn sie folgende Kriterien erfüllt: Gibt man Molekül A und Molekül B zusammen, entsteht nur das gewünschte Produkt C – und nicht noch D, E und F, die am Ende abgetrennt werden müssen. Die Reaktion läuft vollständig ab. Also A und B werden zu 100 Prozent in C umgewandelt, und nichts bleibt übrig. Die Reaktionsbedingungen sind energiesparend mild, am besten, indem man alles nur kurze Zeit bei Raumtemperatur verrühren muss. Sollten Katalysatoren nötig sein, dann bitte möglichst hocheffiziente, spezifische, die ungiftig und ressourcenschonend sind.

Soweit der Idealfall – doch der ist leider die Ausnahme. Manche Moleküle sind so extrem reaktiv, dass mit ihnen kaum zu arbeiten ist. Sie machen allerlei Firlefanz auf Kosten des gewünschten Produktes, dessen Ausbeute dann eher mager ausfällt. Aufwendige Reinigungsschritte sind notwendig, und ein Teil der meist kostspieligen Reagenzien landet, chemisch vermurkst, im Sondermüll. Auch Katalysatoren lassen häufig noch einige Wünsche offen. Denn klassische Metallkatalysatoren sind meist entweder giftig – etwa, wenn sie Nickel oder Palladium enthalten – oder sehr kostbar, wie Gold und Platin.

Auch für die Industrie ist das Molekül-Design interessant

Viktoria Däschlein-Geßner, Professorin für Anorganische Chemie an der Ruhr-Universität Bochum, dreht gleich an beiden Stellschrauben. Durch gezieltes Moleküldesign bändigt sie „hyperreaktive“ Moleküle, damit diese genau das tun, was die Chemikerin will. Zum anderen entwickelt sie sogenannte carbanionische Ylid-substituierte Phosphane als filigrane Anhängsel, sogenannte Liganden, für Metallkatalysatoren, die deren Reaktivität so leiten und anstacheln, dass für die homogene Katalyse nur noch ein Bruchteil der bisherigen Menge davon eingesetzt werden muss oder Reaktionen selektiver oder überhaupt erst möglich werden.

Das macht eine ganze Reihe von Reaktionen, die auch für die Industrie interessant sind, viel schneller und effizienter. Vor allem solche, bei denen Kohlenstoff-Kohlenstoff- oder Kohlenstoff-Stickstoff-Bindungen geknüpft werden. Und so entstehen nun oft schon innerhalb weniger Minuten die gewünschten Moleküle – und das bei nur 20 Grad Celsius.

Für ihre Forschung wird Viktoria Däschlein-Geßner am 10. November an der Freien Universität Berlin mit dem Klung-Wilhelmy-Wissenschafts-Preis 2022 ausgezeichnet. Die mit 50 000 Euro verbundene Ehrung wird im jährlichen Wechsel – nach Auswahl des Preisträgers oder der Preisträgerin durch zwei Fachkommissionen der Freien Universität – an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Chemie und der Physik verliehen. Sie gehört zu den höchstdotierten privat finanzierten Preisen für junge deutsche Spitzenforschende. Die Jury ehrt Viktoria Däschlein-Geßner „für ihre zukunftsweisende Forschung im Bereich der synthetischen und mechanistischen Anorganischen Chemie sowie der Katalyse“.

Viktoria Däschlein-Geßner stammt aus einer Arbeiterfamilie und wuchs in einem kleinen Dorf in „badisch Sibirien“ auf, einer ländlich geprägten Region im Norden Baden-Württembergs. Naturwissenschaften waren bereits in der Schule ihre Lieblingsfächer. „Bei der Frage, warum Dinge funktionieren und wie, hatte ich immer das Gefühl, dass die Chemie die besten Antworten parat hat“, sagt die 39-Jährige. Nach dem Abitur beginnt sie ein Chemiestudium in Marburg, wechselt zum Hauptstudium dann nach Würzburg.

Als Chemiker wissen wir, wie bestimmte Verbindungen reagieren – und auch, wo wir drehen können, um bestimmte Reaktivitäten zu erzielen.

Viktoria Däschlein-Geßner

Ihr Interesse an der Katalyse wird durch Professor Carsten Schmuck geweckt, „der wunderbare Vorlesungen zur Asymmetrischen Synthese und Katalyse hielt“. Hochreaktive Moleküle, speziell Lithium-organische Verbindungen, werden zum Thema ihrer Doktorarbeit. Nach einem Forschungsaufenthalt im kalifornischen Berkeley baut sie im Rahmen des Emmy-Noether-Nachwuchsprogramms der Deutschen Forschungsgemeinschaft ihre erste eigene Gruppe auf, habilitiert sich und wird 2016 auf eine Professur an der Ruhr-Universität Bochum berufen.

„Als Chemiker wissen wir, wie bestimmte Verbindungen reagieren – und auch, wo wir drehen können, um bestimmte Reaktivitäten zu erzielen“, erzählt sie. Durch den Austausch bestimmter Molekülgruppen, den Substituenten, gelingt es ihrem Team, die Elektronen in einem Molekül gezielt so zu verschieben, dass die gewünschte Aktivität erzielt wird. Carbanionische Verbindungen wie die Phosphor-Ylide eignen sich dafür besonders. Ylide werden auch als „inneres Salz“ bezeichnet, denn weil der Phosphor darin nicht wie üblich drei, sondern vier Substituenten trägt, verhält sich das Molekül wie ein Dipol.

Das Phosphoratom ist positiv geladen und schiebt quasi seine überzähligen, nicht bindenden Elektronen auf den Kohlenstoff nebenan. Der wird dadurch zum Carbanion – also negativ geladen. Dadurch wird dieses Kohlenstoffatom besonders reaktiv und Ylide zu sehr kraftvollen Reagenzien. „Als solche benutzt man sie bisher meist. Wir betrachten Ylide jedoch aus einem anderen Blickwinkel und setzen sie als wirksame Substituenten bei anderen Molekülen ein – mit dem Ziel, diese nach unseren Wünschen elektronisch zu manipulieren“, erklärt Viktoria Däschlein-Geßner.

Nur die vielversprechendsten Molekülvarianten werden synthetisiert

Den „Carbanionen-Effekt“ nutzen die Forschenden auch, um Katalysatoren zu verbessern. Bei vielen chemischen Reaktionen wird Palladium als Katalysator eingesetzt, meist als Phosphan-Komplex. Wenn diese Phosphane (Phosphor-Kohlenstoff-Verbindungen) als Anhängsel Ylide tragen, werden sie elektronenreicher und machen die Palladiumkatalyse sehr viel effizienter. „Dabei schauen wir uns zuvor im Computer an, welche Modifikationen am Katalysator welchen Effekt haben könnten.

Nur die vielversprechendsten Molekülvarianten werden dann im Labor tatsächlich synthetisiert.“ Die Ylid-substituierten Phosphane sind inzwischen schon kommerziell für Katalysatoren erhältlich. „Wir konnten zeigen, dass damit die bei der Goldkatalyse eingesetzte Edelmetallmenge – je nach Reaktionstyp – bis auf ein Fünfhundertstel reduziert werden kann und in der Palladiumkatalyse bisher unbekannte Aktivitäten und Selektivitäten erreicht werden können.“

In der Zukunft wäre „grüner Wasserstoff“ denkbar

Wohin soll ihre Forschung einmal gehen? Ein noch eher akademisches Forschungsgebiet der Arbeitsgruppe ist die Anwendung von Hauptgruppenelementen in der Katalyse. Lassen sich Verbindungen von Elementen wie Silizium oder Phosphor vielleicht so designen, dass sie einmal das tun können, was heute Palladiumkatalysatoren machen? „Das ist eine tolle Vision, denn Silizium und Phosphor sind wesentlich häufiger auf der Erde als Palladium, viel preiswerter und an keine geopolitischen Diskussionen gebunden“, sagt Viktoria Däschlein-Geßner.

Bei den Hauptgruppen-Elementen denkt sie vor allem an Reaktionen, bei denen Wasserstoff an Kohlenstoff gebunden wird, sogenannte Hydrierungen. Oder auch den umgekehrten Fall – Dehydrierungen – um beispielsweise „grünen Wasserstoff“ zu erzeugen. Doch bis solche Katalysatoren einmal einsatzbereit sind, werden vermutlich ihre Kinder, fünf und acht Jahre alt, fast erwachsen sein. Und sie selbst wird noch etliche Spiele ihres Lieblingsklubs Borussia Dortmund im Stadion bejubeln können.

Die Preisverleihung findet statt am 10. November um 17 Uhr. Informationen und Anmeldung unter: klung-wilhelmy-wissenschafts-preis.de

Für den Inhalt dieses Textes ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

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