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Setzt rasch eigene Akzente - auch zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels: Berlins neue Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU).

© dpa/Michael Kappeler

Bildungssenatorin kassiert SPD-Vorgabe: Berliner Schulen müssen Bewerber doch nicht wegschicken

In ihrem ersten Brief an die Berliner Schulleitungen stellt Günther-Wünsch klar, dass Stellen, für die es Bewerbungen gibt, nicht frei bleiben müssen. Die Reaktionen sind geteilt.

| Update:

Berlins neue Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) hat in ihrem ersten Brief an die öffentlichen Schulen eine höchst strittige Entscheidung ihrer Vorgängerin Astrid-Sabine Busse (SPD) kassiert: Schulen müssen ab sofort Bewerberinnen und Bewerber nicht mehr wegschicken, sondern können alle freien Stellen besetzen. Damit reagierte die Senatorin auf die vehemente Kritik von vier Schulleitungsverbänden.

Die Kritik hatte sich dagegen gerichtet, dass Schulen nur noch 96,3 Prozent ihrer Stellen besetzen durften. Für eine Schule mit 100 Lehrkräften bedeutete das, dass sie fast vier Stellen frei lassen mussten – und zwar selbst dann, wenn sie genügend Bewerbungen hatten. Die Hoffnung der Bildungsverwaltung lautete, dass die abgewiesenen Kräfte dann eben an die Mangelschulen „umgelenkt“ werden könnten.

Wir überprüfen intensiv, wie die Steuerung der Lehrkräfte optimiert werden kann.

Katharina Günther-Wünsch (CDU), Bildungssenatorin

Diese Erwartung teilten die Schulen „aus langjähriger Erfahrung nicht“, wie sie warnten. Im Gegenteil befürchteten sie, dass die abgewiesenen Lehrkräfte eher abwandern würden, als sich gegen ihren Willen zuweisen zu lassen. Die vier größten Schulleitungsverbände monierten denn auch, die Verwaltung habe da wohl „ein Konjunkturprogramm für Hamburger und Brandenburger Schulen entwickelt“. Man benötige zwar ein „Solidarsystem“ – aber nicht derart intransparent, wie es die Verwaltung praktiziere.

Schulen erhalten mehr „Bewegungsspielraum“

In dem Brief an die Schulen, der am Dienstagmorgen verschickt wurde, schreibt die Bildungssenatorin, sie wolle den Schulleitungen auf diese Weise „mehr Bewegungsspielraum bieten“. Zeitgleich werde „intensiv überprüft“, wie die Steuerung der Lehrkräfte künftig optimiert oder auch verändert werden könne. Es komme darauf an, alle Anstrengungen zur Minderung des Fachkräftemangels „und zur Beibehaltung der Bildungsgerechtigkeit“ gemeinsam zu verstärken.

Günther-Wünsch schrieb den Schulen zudem, dass alle personellen Ressourcen – auch aus anderen Berufsgruppen – aktiviert werden sollten. Konkret bedeutet das, dass Positionen, für die keine Lehrkräfte gefunden werden können, in Stellen für Logopäden, Ergotherapeuten, Musiktherapeuten, Lerntherapeuten und pädagogische Assistenzen umgewandelt werden können. Wie berichtet wird erwartet, dass es abermals für rund 1000 Lehrkräftestellen keine Bewerbungen geben wird.

Abgeordnetes Personal soll wieder unterrichten

Auch andere Vorschläge und Kritikpunkte der Schulen werden aufgegriffen, stellte die Senatorin in Aussicht. Dazu gehört, dass sie versuchen will – sofern es der Haushalt zulässt – nicht nur für Lehrkräfte Vertretungsgelder zur Verfügung zu stellen, sondern auch auf andere Berufsgruppen wie Erzieher. „Natürlich“ werde auch die Abordnung von Lehrkräften in andere Bereiche geprüft. Sofern möglich sollten sie wieder ihrer Kernaufgabe, dem Unterricht, nachgehen, formuliert die Christdemokratin ihr Ziel.

Zwar könne der Lehrkräftemangel, der jahrelang als Problem entstanden sei, „nicht über Nacht korrigiert werden“, schreibt Günther-Wünsch zum Abschluss ihres Briefes. Die Schulleitungen hätten in ihr aber „eine Senatorin, die fest gewillt ist, die richtigen Prioritäten zu setzen und anzupacken“.

Vernunft siegt über Wunschdenken.

Sven Zimmerschied, Vereinigung der Sekundarschulleitungen

Die Verbände der Schulleitungen reagierten unterschiedlich auf den Schritt, den sie zuvor gefordert hatten. „Vernunft siegt über Wunschdenken“, kommentierte Sven Zimmerschied für Berlins Sekundarschulen den Verzicht auf das „Umlenken“ von Bewerberinnen und Bewerbern. Die Rücknahme dieser Regelung durch die neue Senatorin sei ein „durchdachter Schritt, um keine weiteren Lehrkräfte zu verlieren und in Zukunft gemeinsam mit den Schulleitungen intelligente und realistische Steuerungsmöglichkeiten zu entwickeln“.

Arnd Niedermöller von der Vereinigung der Oberstudiendirektoren (VOB) begrüßte den Beschluss „außerordentlich“. Dies sei „ein wichtiger Schritt zur Reduktion des Lehrkräftemangels“. Die Lehrkräftegewinnung für das Land Berlin werde auf diese Weise „wieder eine Gemeinschaftsaufgabe“, denn jetzt könnten alle Schulen Ihren Beitrag dazu leisten, möglichst viel gut ausgebildetes Personal an die Berliner Schulen zu holen. Zudem lobte der VOB das Vorhaben, den Einsatz von Lehrkräften außerhalb von Schulen und Unterricht, also die sogenannten Abordnungen, zu überprüfen.

Es gibt Befürchtungen, dass Lehrkräfte nun abspringen

Nicht alle Verbände sind aber froh über den Verzicht auf die „Steuerung“ bei den Lehrkräfteeinstellungen. Die Interessenvertretung Berliner Schulleitungen (IBS) hatte zwar im Vorfeld das Steuerungsverfahren kritisiert. Jetzt aber sei es zu spät, das Ganze zurückzunehmen, meinte am Mittwoch die Vorsitzende Karina Jehniche. Schließlich sei das nächste Schuljahr mitsamt den Einstellungsprozessen fast abgeschlossen.

Jehniche leitet eine Schule in Spandau - einer der Bezirke, die von der Steuerung profitieren sollten. Jehniche befürchtet, dass Lehrkräfte abspringen werden: „Überall wird der Topf wieder aufgemacht“, lautet ihre Erwartung, die von vielen Kollegen geteilt werde. Vor allem die Randregionen hätten nun „ganz schlechte Karten“. Leider habe die Senatorin - so wie zuvor ihre Vorgängerin - die Verbänden nicht genügend einbezogen.

Eine erste Idee könnte sein, ausgebildete Lehrer*innen mit der Zahlung von Zuschlägen zu einem Wechsel an Schulen mit großem Bedarf zu motivieren.

Guido Richter und Stefan Witzke, Verband der Berliner Grundschulleitungen

Der Verband der Berliner Grundschulleitungen (VBGL) reagierte erst am Donnerstag auf die Entscheidung von Günther-Wünsch. Verzögert hatte sich das Statement offenbar dadurch, dass die Einschätzungen im Verband stark auseinandergehen. Schließlich teilten die Vorsitzenden Guido Richter und Stefan Witzke mit, dass sie „generell“ die Rücknahme der Begrenzung auf 96,3 Prozent begrüßten, zumal der gewünschte Erfolg der Umsteuerung „größtenteils ausgeblieben“ sei. Speziell an den Grundschulen seien in den besonders belasteten Regionen „nicht wirklich“ mehr ausgebildete Kräfte angekommen.

Allerdings gebe es auch im VBGL Befürchtungen, dass Lehrkräfte kurzfristig von ihren Zusagen zurücktreten, „um an ihre ursprüngliche Wunschschule zu gehen“. Richter und Witzke schlugen als „erste Idee“ vor, ausgebildete Lehrkräfte mit oder ohne Beamtenstatus, durch Zuschläge – analog denen an Brennpunktschulen  – zu einem Wechsel an Schulen mit großem Bedarf zu motivieren.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatte bereits am Dienstag die Entscheidung der neuen Bildungssenatorin kritisiert und ebenfalls die Sorge geäußert, „dass bereits erfolgte Zusagen einzelner Lehrkräfte nun wieder zurückgezogen werden“, so Nuri Kiefer von der GEW-Schulleitungsvereinigung. Lehrkräfte könnten nun versuchen, „in vermeintlich besseren Schulen und Bezirken unterzukommen“.

Einzelne Schulen und ganze Bezirke, in denen besonders starker Personalmangel herrscht, werden nun extrem kurzfristig in noch größere Personalnot geworfen.

Norman Heise, Landeselternsprecher

Ähnlich reagierte der Landeselternausschuss. Bei dem Versuch, Abwanderung zu vermeiden, dürften „Schulen in Not nicht hintenüberfallen“, mahnte Landeselternsprecher Norman Heise. Zwar sei es „gerade in der pädagogischen Arbeit“ sehr wichtig, dass man sich bewusst für eine Schule entscheiden könne, anstatt von der Behörde zugeteilt zu werden. Gleichzeitig würden aber „einzelne Schulen und ganze Bezirke, in denen besonders starker Personalmangel herrscht, nun extrem kurzfristig in noch größere Personalnot geworfen“, lautet Heises Vermutung.

Die Grünen beklagen „Planungsunsicherheit“ für die Schulen

Auch die Opposition meldete sich zu Wort. „Sinnvoller wäre es gewesen, das aktuelle Verfahren zur Steuerung systematisch auszuwerten“, meinte der schulpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Louis Krüger. Dabei hätte sich dann auch zeigen können, so der Abgeordnete, ob die befürchteten negativen Erwartungen wie eine Abwanderung nach Brandenburg tatsächlich einträten. Stattdessen bestehe nun die Gefahr, dass Zusagen zurückgezogen würden. Das führe zu einer „erheblichen Planungsunsicherheit an den Schulen“, befürchtet Krüger.

Er frage sich, welche anderen Maßnahmen die Senatsverwaltung nun etablieren wolle, um dem Problem der äußerst unausgeglichenen Personalausstattungen an den Schulen zu begegnen.

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