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Ryan ist in Wilmersdorf aufgewachsen.

© privat

Berliner Polizei stellt Ermittlungen zu mysteriösem Todesfall ein: Ryans Hinterbliebene fühlen sich im Stich gelassen

Die Umstände des Todes von Ryan Mizgaiski könnten für immer unklar bleiben. Wichtige Zeugen widersprechen sich, andere wurden von der Polizei erst gar nicht vernommen.

Vor dreieinhalb Wochen wurde die Leiche des 39-jährigen Ryan Mizgaiski in der Rummelsburger Bucht gefunden, und mit jeder weiteren Woche schwindet die Hoffnung der Hinterbliebenen, dass die Umstände seines Todes jemals aufgeklärt werden. „Es fällt sehr schwer, mit dieser Ungewissheit zu leben“, sagt Ryans Cousine Micki R. am Telefon.

Die Obduktion habe keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden gegeben, heißt es bei der Polizei. Ryan Mizgaiski, der seit dem 20. Dezember vermisst und dann wochenlang von Freunden und Angehörigen gesucht wurde, ist wohl ertrunken. Unter welchen Umständen er ins Wasser fiel, ob er geschubst wurde oder wer ihm möglicherweise hätte helfen können, ist jedoch unklar. Ein Bekannter Mizgaiskis schrieb auf Facebook von einem Handgemenge, das dem Tod vorausgegangen sei. Auch andere Menschen, die ihn kurz vor seinem Verschwinden sahen, berichten von einem Streit.

Die Berliner Polizei hat die Ermittlungen dennoch bereits beendet.

„Wir denken nicht, dass sämtlichen Hinweisen nachgegangen wurde“, sagt Micki R., die Cousine.

Tatsächlich erklären mehrere Personen, die der Polizei als mögliche Zeugen benannt wurden, unabhängig voneinander gegenüber dem Tagesspiegel, sie seien bis heute nicht befragt worden – nicht einmal kontaktiert.

Zwei fuhren los, einer kam zurück

Sicher ist lediglich, dass Ryan Mizgaiski am Tag seines Todes gemeinsam mit seinem Bekannten Marvin J. nach einer Partynacht in Friedrichshain vormittags ans nordöstliche Ufer der Rummelsburger Bucht spazierte, dort an einem Holzsteg mit einem Bewohner der dort vor Anker liegenden Boote ins Gespräch kam. Die nächsten Stunden feierten sie gemeinsam mit drei weiteren Personen auf einem Boot, hier wurde auch die gefährliche Droge Gammahydroxibuttersäure, bekannt als Liquid Ecstasy, konsumiert.

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Anschließend paddelten Ryan Mizgaiski und Marvin J. weiter zu einer sogenannten „Insel“, einer Ansammlung mehrerer zusammengeketteter Boote. Bald darauf beobachteten Zeugen, wie Marvin J. allein auf einem der Boote herumsprang und brüllte. Was in der Zwischenzeit passierte – ob beide auf der Insel tatsächlich allein waren oder ob ihnen womöglich eine dritte Person gefolgt war – ist unklar. Um dem brüllenden J. zu helfen, paddelte schließlich ein Helfer zur Insel hinüber, brachte J. zurück ans Ufer, woraufhin dieser wegrannte.

Weshalb Marvin J. in den Tagen und Wochen nach dem Vorfall weder die Polizei über das Verschwinden seines Freundes informierte noch selbst an der Bucht nach dem Vermissten suchte, ist unklar. Auch eine entsprechende Anfrage des Tagesspiegels beantwortet er nicht.

„Zentrale Fragen in diesem Fall sind offen“, sagt Micki R. „Die Vorstellung, dass er jetzt ohne weitere Ermittlungen zu den Akten gelegt wird, ist für uns Hinterbliebene furchtbar.“

Als Angehörige im Januar Mizgaiski als vermisst meldeten, ging die Berliner Polizei zunächst nicht von einer „Gefahr für Leib und Leben” des Verschwundenen aus. Schließlich habe jeder Erwachsene das Recht unterzutauchen. Wer den Kontakt zur Familie bewusst abbreche und nicht gefunden werden wolle, dem stehe dies zu.

Erst nachdem Freunde und Verwandte Mizgaiskis letzte Stunden rekonstruiert, seinen Aufenthalt an der Rummelsburger Bucht bewiesen und stark widersprüchliche Aussagen von Zeugen zusammengetragen hatten, ging der Fall von einer örtlichen Polizeidienststelle an das Landeskriminalamt in der Keithstraße.

Der Versuch, Taucher in der Bucht einzusetzen, musste nach kurzer Zeit abgebrochen werden, da sich im Wasser zu viel Schlick befand. Der geplante Einsatz eines Suchhundes wurde zunächst abgesagt, weil der Hundeführer erkrankte. Ein zweites Mal war der Wind zu stark. Am Ende war es dann der Eigentümer eines Hausboots am gegenüberliegenden Ufer der Bucht, der die Leiche fand.

Mit Ausnahme zweier Ermittler, die sie als sehr engagiert erlebt habe, könne sie wenig Positives über das Vorgehen der Polizei berichten, sagt die Cousine Micki R. Mehrfach hätten sich Beamte ihr gegenüber schroff oder genervt verhalten. Andere seien schlicht desinteressiert gewesen.

Ryan Mizgaiski wird seit dem 20. Dezember vermisst.
Mit Plakaten wie diesem suchten die Angehörigen wochenlang nach Ryan Mizgaiski.

© Sebastian Leber

Das bestätigt Marcus A., ein enger Freund der Familie, der wochenlang die Suche nach Ryan mitorganisierte: „Wir haben der Polizei immer wieder Informationen gegeben und mussten dann leider später über Umwege erfahren, dass diese Spuren nie verfolgt wurden.“ 

Man habe ihnen auch zu verstehen gegeben, es sei ein Fehler gewesen, selbst öffentlich nach Ryan zu suchen und die Medien einzuschalten. Marcus A. sagt: „Das finde ich grotesk. Hätten wir es nicht getan, hätte die Polizei doch überhaupt nicht ermittelt.“

Weil sich die Hinterbliebenen im Stich gelassen fühlen, versuchen sie selbst, Antworten zu bekommen.

„Es ist offensichtlich, dass hier nicht alle die Wahrheit sagen“  

Marvin J., der mit Mizgaiski auf die Insel paddelte und später flüchtete, ist nicht bereit, den Familienangehörigen Fragen zu beantworten. Ein anderer Mann, mit dem die beiden zuvor auf einem der Boote feierten, ist von der Rummelsburger Bucht mittlerweile in eine Wohnung in Mitte gezogen.  Marcus A. hat seinen neuen Wohnort ausfindig gemacht und ihn dort besucht. Seine Version widerspricht in einigen Punkten den Aussagen bisheriger Augenzeugen. Marcus A. sagt: „Es ist offensichtlich, dass hier nicht alle die Wahrheit sagen.“  

Gegenüber dem Tagesspiegel erklärt die Polizei jetzt, das Todesermittlungsverfahren sei ihrerseits „abgeschlossen und der Staatsanwaltschaft Berlin übersandt”. Es stehe lediglich noch das Ergebnis der chemisch-toxikologischen Untersuchung aus. 

Bereits vor mehreren Wochen haben die Hinterbliebenen bei der Staatsanwaltschaft Akteneinsicht beantragt. Marcus A. sagt, sie hätten bis heute keine Antwort erhalten.

Auch eine Presseanfrage des Tagesspiegels hat die Staatsanwaltschaft unbeantwortet gelassen. 

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