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ARCHIV - Die Habseligkeiten eines Obdachlosen liegen am 26.11.2017 unter einer Eisenbahnunterführung am Hauptbahnhof in Hannover (Niedersachsen). Am 10.01.2017 stellt Caritas in Berlin die Ergebnisse der Studie "Menschenrecht auf Wohnen" vor. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

© dpa/Hauke-Christian Dittrich

Zwischen Kuchen und Wohnungsbau: Im Berliner Hofbräuhaus diskutieren Abgeordnete mit Obdachlosen

Der CDU-Mann will eine Spekulanten-Steuer, der FDP-Vertreter Bürokratieabbau beim Kältebus: Bei einer Veranstaltung in Mitte trafen Politiker auf Armutsbetroffene.

Von Gabrielle Meton

Aus dem hinteren Teil des Berliner Hofbräuhauses ertönen Stimmen. In der gemütlichen Atmosphäre des bayerischen Hauses könnte man meinen, es sei ein freundlicher Kaffeeklatsch. Doch hier werden die Kuchenstücke zwischen Berliner Politikern und Bedürftigen geteilt. Im Obergeschoss des Hofbräuhauses am Alexanderplatz hat der soziale Träger Gebewo eine Tagesstätte für Wohnungslose eingerichtet. Normalerweise werden hier zur Mittagszeit warme Mahlzeiten serviert. Bei der Veranstaltung „Wir kommen wählen“ waren in dieser Woche jedoch auch fünf Politiker:innen zu Gast.

Alle Parteien, die im Abgeordnetenhaus vertreten sind, sind anwesend – bis auf die AfD, an die sich die Veranstalter nicht wenden wollen. Fünf große Tische sind für die Veranstaltung reserviert. Einer davon ist nur für Frauen bestimmt. An einem anderen sitzen auch Übersetzer für Polnisch, Rumänisch, Russisch und Bulgarisch.

Um die Tische herum haben jeweils knapp zehn Freiwillige, Kleinrentner, Bürgergeldempfänger und Wohnungslose auf Holzbänken Platz genommen. Die Regeln sind einfach: Jeder der anwesenden Politiker diskutiert 20 Minuten lang mit den Teilnehmern eines Tisches, bevor er durch eine Klingel und die Moderatoren zum nächsten Tisch weitergeleitet wird.

Man darf mit menschlichen Grundbedürfnissen nicht spekulieren. Weder mit Wohnraum noch mit Essen.

Ralf-Axel Simon, Obdachlosenaktivist

„Wir kommen wählen“ ist eine Initiative der Landesarmutskonferenz Berlin. Im Jahr 2011 ins Leben gerufen, fanden derartige Diskussionen bereits bei mehreren großen Wahlen statt – auf europäischer Ebene, bei der Bundestagswahl oder zur Berliner Abgeordnetenhauswahl 2016. Das Ziel: Politiker:innen in Einrichtungen für Menschen mit sozialen Schwierigkeiten zu bringen, um die Stimmen der am meisten Benachteiligten zu hören und einen Dialog zu schaffen. 

„Man darf mit menschlichen Grundbedürfnissen nicht spekulieren. Weder mit Wohnraum noch mit Essen“, sagt an einem der Tische ein Mann mit einem langen weißen Bart. Mit einem roten Stirnband in seinem halblangen weißen Haar wirkt Ralf-Axel Simon fast wie ein Weihnachtsmann. Auf seinem Sweatshirt steht: „Man kann sie nicht zwingen, die Wahrheit zu sagen, aber man kann sie zwingen, noch unverschämter zu lügen“.

Er ist ehemaliger Religionslehrer, Schachspielmeister und -verkäufer, Gefangenen- und Obdachlosenaktivist. „Vor Jahrzehnten, fast Jahrhunderten“, hätte er vielleicht an der Gesellschaft etwas verändern können, meint Ralf-Axel Simon. Heute hofft er bei dem Treffen nur, dass er „bei einigen etwas anzündet“.

Björn Wohlert, CDU-Sprecher für Soziales und Integration, regt an Simons Tisch an, dass eine Spekulationssteuer eingeführt wird, wenn die Eigentümer leerstehender Wohnungen zu lange warten, bis die Mieten steigen, bevor sie verkaufen. „Wie es im Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet“, sagt Wohlert. Um den Leerstand zu bekämpfen, sollten die Bezirke daher aus seiner Sicht in der Lage sein, Ersatzvornahmen einzuführen. Wenn dies nicht passiere, liege es daran, dass die CDU nicht in der Regierung sei. „Und ich hoffe, dass sie es nie sein wird!“, erwidert Ralf-Axel Simon. Der Tisch lacht, der Politiker lächelt höflich. 

Am Frauentisch schlägt der FDP-Kandidat im Bezirk Steglitz-Zehlensdorf, Tobias Bauschke, vor, die Bezirksämter abzuschaffen und die Verwaltung weiter zu zentralisieren. Auch die Berliner Kältehilfe brauche nach seiner Ansicht weniger Bürokratie und mehr Digitalisierung – um beispielsweise den riesigen Telefonaufwand der Kältebusse zu verringern. Eine Vertreterin der Koordinierungsstelle der Kältehilfe sitzt am Tisch und ist skeptisch, ob diese Idee in die Praxis umgesetzt werden kann. 

Konsens mit Regierungsparteien

Bei den Vertretern der derzeitigen Regierungsparteien ist die Stimmung lockerer. Die Ideen des Moabiter Grünen-Abgeordneten Taylan Kurt für sozialen Wohnungsbau und Armutsbekämpfung sind ohnehin Konsens. Die Vertreterin der Linken, Elke Breitenbrach, verteidigt die Bilanz ihrer Partei und erklärt ihre Leitlinien für die Zukunft: Es gehe nicht nur darum, neue Wohnungen zu bauen, sondern vor allem darum, wo und wie man bauen solle. Die SPD wird durch den Abgeordneten des Wahlkreises Treptow-Köpenick II, Lars Düsterhöft, repräsentiert.

Am Ende der Veranstaltung können die fünf Politiker mit einigen Ideen nach Hause gehen. Unter anderem: die Einrichtung von Toiletten in U-Bahnstationen, Beschwerdestellen für Obdachlose in den Bezirken und die Umgestaltung des aus Sicht einiger zu groß gewordenen Berlin-Passes.

Ralf-Axel Simon ist allerdings pessimistisch: „Die Politiker sind nur hier, weil die Gebewo sie einlädt. Den Rest des Jahres meiden sie uns.“ Am 12. Februar wird er trotzdem zur Wahl gehen.

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