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Zeitgenössisches Wandbild in Kreuzberg.

© Paul Zinken/dpa

Neues Gutachten zum Mietendeckel: Zweifel an rückwirkendem Mietenstopp

Der Senat legte den 18. Juni 2019 als Stichtag für den Mietendeckel fest, das ist möglicherweise nicht haltbar. Für Mieter gilt dennoch: Keine Panik!

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die Berliner Mieter können sich derzeit nicht darauf verlassen, dass der vom Senat geplante fünfjährige Mietenstopp rückwirkend zum 18. Juni 2019 gilt. Laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes (WPD), das die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus in Auftrag gab, "sprechen gewichtige Gründe dafür, dass eine Rückwirkung einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten wird".

Ob das Bundesverfassungsgericht oder der Berliner Verfassungsgerichtshof den Stichtag 18. Juni tatsächlich kippen wird, darauf wollen die Juristen des Landesparlaments sich allerdings nicht festlegen. Dies sei angesichts der uneinheitlichen Rechtsprechung in Karlsruhe in vergleichbaren Fällen "nicht sicher zu prognostizieren".

Der rot-rot-grüne Senat hatte am 18. Juni ein Eckpunktepapier zum Berliner Mietendeckel beschlossen, aus dem inzwischen ein Gesetzentwurf wurde, der in den nächsten Wochen vom Abgeordnetenhaus beraten und voraussichtlich im Februar oder März 2020 verabschiedet wird. Vorgesehen ist ein befristetes Mietenmoratorium, das Ende 2020 durch die Möglichkeit ergänzt werden soll, überhöhte Mieten zu senken. Wenn es nach dem Senat geht, gilt der gesetzliche Mietenstopp rückwirkend zum Stichtag 18. Juni 2019. Die CDU wollte wissen, ob das juristisch haltbar ist.

Rückwirkende Gesetze sind der Ausnahmefall

Das neue Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes geht davon aus, dass der Erlass rückwirkender Gesetze nur in Grenzen zulässig ist. Zumal es sich beim Berliner Mietendeckel, jedenfalls mit Blick auf die Vermieter, nicht um ein "rein begünstigendes Gesetz" handelt. Ausnahmen seien aber laut Bundesverfassungsgericht möglich, wenn "zwingende Gründe des allgemeinen Wohls" für eine Rückwirkung sprächen. Etwa um "Ankündigungs- und Mitnahmeeffekte" zu vermeiden. Oder auch dann, wenn die Bürger zum Zeitpunkt des gesetzlich festgelegten Stichtags mit einer gesetzlichen Neuregelung rechnen mussten.

Trotzdem sind die Parlamentsjuristen skeptisch, dass eine Rückwirkung des Mietenstopps rechtens ist, da es sich beim Mietendeckel um einen Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Eigentumsrecht handelt. Außerdem komme es darauf an, wie viel Zeit zwischen dem Stichtag (18. Juni 2019) und dem Inkrafttreten des neuen Mietengesetzes (Anfang 2020) liege. Es sei nämlich nicht Sache der Regierung, das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren vorwegzunehmen. Die frühzeitige Ankündigung eines Stichtags durch den Senat könne das Entscheidungsrecht des Abgeordnetenhauses relativieren. Jedenfalls dann, wenn das verabschiedete Gesetz ganz andere Vorgaben vorsehe als "regierungsamtlich angekündigt" war.

Demnach könnte ein Verfassungsgericht laut WPD-Gutachten zu dem Schluss kommen, dass nicht der vom Senat festgelegte Stichtag, sondern der "Zeitpunkt der Einbringung des Gesetzes in das Abgeordnetenhaus" maßgebend für die Rückwirkung des Mietenstopps sei. Das Fazit der Juristen: Der 18. Juni als Beginn es Mietenmoratoriums sei "risikobehaftet".

Mieten vor Gericht: Maßgebend ist der Zeitpunkt des Urteils

Abgesehen davon müssen sich Mieter und Vermieter auf Folgendes einrichten, sobald das Mietengesetz gilt und es zu Rechtsstreitigkeiten im Einzelfall kommt: "Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Mieterhöhungsverlangens durch ein Zivilgericht ist die Rechtslage zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung maßgebend." Und jene Mieter, die nach dem 18. Juni im Vertrauen auf den Mietendeckel ihre Zustimmung zu einer Mieterhöhung unter Vorbehalt erklärten, müssen laut WPD davon ausgehen, dass dieser Vorbehalt juristisch unwirksam ist.

In Panik müssen Mieter aber nicht geraten. Sollte sich der Mietendeckel als verfassungswidrig erweisen, müssen Mieterhöhungen frühestens ab dem dritten Monat "nach Zugang eines rechtmäßigen Erhöhungsverlangens" gezahlt werden, sagen die Parlamentsjuristen.

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