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Gastgeber von Welt. So lautet das Motto der Messe Berlin zum Jubiläum. Die Verluste während der Pandemie waren immens. In diesem Herbst soll das Geschäft wieder normal laufen.

© imago/Schöning

Die Messe Berlin in schwierigen Zeiten: Zurück in die Zukunft

200 Jahre wird die Messe Berlin dieses Jahr. Mit neuen Formaten will sie sich zeitgemäß präsentieren. Der Aufsichtsratsvorsitzende tritt zurück.

Am Anfang war das Ei. Die städtebauliche Konzeption des Messegeländes von der Nordseite (Palais am Funkturm) rund um den Sommergarten in Richtung Süden, wo heute der City Cube steht, hatte die Form eines Eis. Doch die Idee war nicht umzusetzen, denn das Prinzip Form follows function galt vor knapp 100 Jahren für Messehallen: riesige, viereckige Kästen, in denen anlässlich der ersten Tourismusbörse ITB in den 1960er Jahren auch mal ein Schwimmbecken eingebaut wurde.

In diesem Jahr feiert die landeseigene Messe Berlin GmbH ihren 200. Geburtstag. Messen sind Marketinginstrumente, und so ist der 200. Geburtstag ein Marketinggag. Im September 1822 initiierten ein paar Kaufleute eine Ausstellung in der Klosterstraße in Berlin-Mitte. „Messe Berlin feiert 200. Geburtstag“, heißt es deshalb heute unterm Funkturm. Mit einer „Jubiläumskampagne“ und einer teuren Broschüre macht das landeseigene Unternehmen auf sich aufmerksam. Ende September soll bei einem Festakt die Messe als „Gastgeber von Welt“ gewürdigt werden.

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Im Unternehmen wird gespottet, den Festakt habe sich Aufsichtsratschef Wolf-Dieter Wolf als Abschiedsparty gewünscht. Doch der 78-jährige Immobilienunternehmer, der seit 2017 den Aufsichtsrat führt, geht mehr oder weniger mit Schimpf und Schande vom Hof: Zwei Senatsverwaltungen prüfen Compliance-Vorwürfe. Die Umstände der Berufung Martin Ecknigs zum Vorsitzenden der Geschäftsführung Ende 2020 sind sonderbar, ebenso die Beauftragung eines Medientrainers für Ecknig und die Zahlung von sechsstelligen Tantiemen während der Pandemie an die Messe-Chefs. Am Dienstag trat Wolf zurück.

Vor 100 Jahren ging es unterm Funkturm los

Die Gegenwart ist trist, die Geschichte glorreich. Unterm Funkturm, 147 hoch, als Sendeturm gebaut und 1926 eingeweiht, ging es so richtig vor 100 Jahren los. Direkt neben dem Funkturm entstand die Funkhalle für die erste Funkausstellung. Bereits 1921 fand die erste Internationale Automobilausstellung IAA nach dem Krieg in der Automobilhalle statt, die dort stand, wo sich heute der Zentrale Omnibusbahnhof befindet. Von da aus ging es dann mit den Kraftfahrzeugen auf die AVUS (Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße), die ebenfalls 1921 eingeweiht wurde. Für eine Mautgebühr von zehn Mark durfte die Schnellstraße genutzt werden. 1924 gab es die erste Luftfahrtschau ILA, und 1930 eröffnete Albert Einstein die Funkausstellung.

Martin Pfeifer, Sicherheitsingenieur in Diensten der Messegesellschaft, erzählt Historisches am laufenden Band, wenn er Besucher über das Gelände und durch die Hallen führt und auf die Schwarzpappel aufmerksam macht: Der „Leitbaum“ des Messegeländes. Im Funkturmrestaurant wurde 1926 anderes Holz verarbeitet: kaukasisches Nussholz. Die älteste Halle (Nummer 17) stammt aus jenem Jahr; charakteristisch sind die mehrere Meter hohen Lichtbänder im oberen Drittel der Hallenwand. Heute werden die Hallen so gebaut, dass kein natürliches Licht einfällt: Aussteller setzen ihre Exponate mit Kunstlicht in Szene. Die riesige Halle 18, die an das Palais anschließt, wurde nach dem 2. Weltkrieg von den Briten, in deren Sektor das Messegelände lag, zum Tennisspielen genutzt.

190 000 Quadratmeter Hallenfläche

Aktuell stehen in mehr als zwei Dutzend Hallen und dem Kongresszentrum City Cube 190 000 Quadratmeter zur Verfügung, dazu kommt das Freigelände mit 160 000 Quadratmeter. Eine Immobilie, die Kosten verursacht. Mit der Fertigstellung der neuen Multifunktionshalle hub 27 vor drei Jahren wurde der Rundlauf zwischen den Hallen geschlossen. Jetzt sind genügend Kapazitäten vorhanden, um die Hallen nach und nach zu sanieren. Dafür gibt es einen Masterplan, dessen Umsetzung eine halbe Milliarden Euro kosten wird. Mindestens. Die Sanierung des ICC gehört nicht dazu.

Berlin gehört zu den größten deutschen Messeplätzen, und das Industrieland Deutschland ist mit 70 Ausstellungsorten der führende Standort für Leitmessen. Zwei Drittel aller globalen Branchenmessen finden in Deutschland statt, davon fünf in Berlin: Das Jahr beginnt mit der Grünen Woche, der Fruit Logistica und der Internationalen Tourismusbörse, nach der Sommerpause folgt dann im September die Ifa und alle zwei Jahre, ebenfalls im September, die Schienentechnikmesse Innotrans.

Teure Immobilien

Im letzten großen Messejahr 2018 blieb ein Gewinn von 17 Millionen Euro hängen. Insider sagen, bei einer Kalkulation, die alle Kosten berücksichtigt, sei selbst in dem Rekordjahr nur knapp ein positiver Deckungsbeitrag erreicht worden. Messegesellschaften mit ihren teuren Immobilien können kaum profitabel sein, doch Städte und Bundesländer gönnen sich das Geschäft – auch in der Pandemie. Die ITB war im März 2020 die ersten große Messe, die in Deutschland abgesagt wurde. In den ersten beiden Pandemiejahren passierte nicht viel, ein Großteil der knapp 900 Beschäftigten der Messe Berlin ging in Kurzarbeit, und das Land als Eigentümer rettete mit mehr als 100 Millionen Euro das Unternehmen. Ursprünglich geplant waren für 2020 Umsätze in Höhe von 340 Millionen Euro, es wurden dann 80 Millionen.

230 000 Beschäftigte in der Messewirtschaft

Wenige andere Wirtschaftszweige wurden so heftig von den Lockkdowns getroffen wie die Messewirtschaft mit ihren 230 000 Beschäftigten: Schließungen, Verbote und Verschiebungen von Messen und Kongressen hätten einen gesamtwirtschaftlichen Schaden von 55 Milliarden Euro verursacht, rechnet der Verband der Messewirtschaft (Auma) vor.

Die Funkausstellung Ifa ist die wichtigste Veranstaltung der Messe Berlin. 1924 fand die Ifa erstmals neben dem Funkturm statt - der damals noch im Bau war.

© REUTERS

„Der Restart hat unser Geschäftsmodell bestätigt. Das Bedürfnis nach physischem Austausch der Marktteilnehmer ist auch nach oder vielleicht gerade wegen der Pandemie ungebrochen“, freute sich die Berliner Messegeschäftsführung über die ersten Veranstaltungen im vergangenen Frühjahr. Nun wolle man sich auf die „inhaltliche Erweiterung der Wertschöpfungskette durch neue Produkte, neue Formate und geographische Expansion“ konzentrieren sowie den „Aufbau maßgeschneiderter digitaler Services“. Schwerpunktthemen des Standorts wie zum Beispiel Gesundheitswirtschaft, Kreativszene, Energietechnik, Mobilität, Optik und Start-ups will die Messe Berlin künftig stärker aufgreifen und in Veranstaltungen zum Thema machen.

Auf der Suche nach Investoren

Aber kommt die Vor-Corona-Zeit wirklich wieder? Mit Messen sei grundsätzlich kein Geld (mehr) zu verdienen, wenn die Präsenzveranstaltungen nicht digital verlängert werden, sagt Ecknigs Vorgänger Christian Göke. Das kostet aber wiederum Geld, ebenso wie die geographische Verlängerung – etwa eine ITB Asia. Göke hatte deshalb schon vor Corona einen großen Wurf geplant und mit Rückendeckung des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) Gespräche mit den Messegesellschaften in Hannover und Hamburg über eine Fusion geführt. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) stoppte das Projekt, weil er Hannover mit dem größten Messegelände hierzulande den Bedeutungsverlust als Juniorpartner der Berliner nicht zumuten wollte. Göke und Müller sprachen danach mit dem Springer-Verlag über den Einstieg ins Messegeschäft. Auch das blieb ergebnislos.

Die Zukunft der Ifa ist offen

Am 1. September will Ecknig, der vor dem Job unterm Funkturm für Siemens Immobilien managte, dem Aufsichtsrat seine strategischen Vorstellungen präsentieren. Ein Selbstläufer ist Berlin nicht mehr. Die Funkausstellung Ifa wird Anfang September immerhin mit einer Auslastung von rund 80 Prozent der Vor-Coronazeit stattfinden. Die Zukunft der wichtigsten Berliner Messe ist noch immer nicht geklärt. Wenn Ecknig keine Einigung mit dem Ifa-Rechteinhaber gfu erreicht, könnte die Funkausstellung abwandern. Der 100. Geburtstag würde dann 2024 in Frankfurt oder München gefeiert. Das wäre eine Katastrophe für den Messeplatz Berlin. Und was macht die deutsche Politik, wenn die nächste Coronawelle rollt? Nur wenn es im Herbst/Winter ein normales Geschäft gibt, wird die Branche frühestens 2024 das Niveau von 2018/19 erreichen, glaubt der Messeverband Auma.

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