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"Du kommst aus dem Gefängnis frei": Die Intitative "Freiheitsfonds" sammelt Spenden, um Menschen freizukaufen, die wegen Fahrens ohne Fahrschein einsitzen.

© Marc Tirl/dpa

Zum Beispiel bei Fahren ohne Ticket: Berlins Justizsenatorin will mehr gemeinnützige Arbeit statt Ersatzfreiheitsstrafen

Viele Menschen müssen in Haft, weil sie eine Geldstrafe nicht zahlen können. Das will die Senatorin ändern. Kritikern geht ihr Vorschlag aber nicht weit genug.

Von Sonja Wurtscheid

Berlins neue Justizsenatorin Lena Kreck (Die Linke) will sich dafür einsetzen, dass weniger Menschen wegen nicht gezahlter Geldstrafen im Gefängnis landen. "Jede Ersatzfreiheitsstrafe, die in Haft verbüßt werden muss, ist ein Scheitern des Systems", sagte Kreck der Nachrichtenagentur dpa. Schließlich gehe es um Straftaten, für die das Gericht eine Geldstrafe als angemessen erachtet habe. "Tat und Schuld rechtfertigen eigentlich keine Freiheitsstrafe."

Trotzdem müsste es Sanktionen geben für Menschen, die ihre Strafe nicht zahlen können. Wie genau die aussehen könnten, sagte Kreck nicht. Sie wolle mehr Möglichkeiten zum Abarbeiten von Geldstrafen schaffen und die Sozialen Dienste stärken. Gemeinnützige Arbeit ist bei Einrichtungen möglich, die eine Vereinbarung mit den Sozialen Diensten der Justiz geschlossen haben.

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Kritisiert wird immer wieder, dass Ersatzfreiheitsstrafen vor allem Menschen mit wenig Geld treffen sowie Arbeitslose, Wohnungslose und Menschen mit psychischen Erkrankungen. Das geht unter anderem aus einer Studie der Soziologin Nicole Bögelein hervor. Auch sozial isolierte Menschen sind häufig unter den Häftlingen.

Ein Großteil der Menschen, die eine Geldstrafe im Gefängnis absitzen, muss dies wegen Fahrens ohne Fahrschein tun. Insgesamt 913 Menschen hatten 2019 laut Justizverwaltung wegen unbezahlter Geldstrafen in Berliner Gefängnissen gesessen. Mehr als jeder Zweite davon (nämlich 494) saß wegen "Erschleichens von Leistungen" hinter Gittern. Unter diesen Paragrafen 265a (StGB) fällt wiederholtes Fahren ohne Fahrschein. Er war 1935 von den Nationalsozialisten eingeführt worden. Wer die Geldstrafe nicht bezahlen kann, dem droht ein Jahr Gefängnis.

Aus Sicht der Kritiker löst der Vorschlag das Problem nicht

Dass Justizsenatorin Kreck die Möglichkeiten zum Abarbeiten von Geldstrafen ausbauen möchte, geht dem Mitgründer der Initiative "Freiheitsfonds", Arne Semsrott, nicht weit genug. "Im Bereich der Ersatzfreiheitsstrafen fürs Fahren ohne Fahrschein löst der Vorschlag das eigentliche Problem nicht", sagte Semsrott dem Tagesspiegel.

"Das Problem ist, dass Menschen für einen Schaden von wenigen Euro fürs Fahren ohne Ticket Gefängnis droht, nicht die Art der Strafe. Daran ändert auch der Vorschlag nichts", betonte Semsrott. Deswegen müsse §265a abgeschafft werden; das FDP-geführte Bundesjustizministerium solle dazu einen Gesetzentwurf vorlegen. "Als Zwischenschritt dorthin könnte die Justizsenatorin die Betroffenen begnadigen und ihnen somit die vollkommen überzogenen und unverhältnismäßigen Strafen erlassen." Freiheitsfonds" sammelt Spenden, um diese Menschen aus dem Gefängnis freizukaufen. 89 Menschen kamen in Berlin so frei, die meisten davon in Plötzensee und Lichtenberg. 

Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Die Linke) will mehr Möglichkeiten schaffen, um Geldstrafen abzuarbeiten.
Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Die Linke) will mehr Möglichkeiten schaffen, um Geldstrafen abzuarbeiten.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Die Geldstrafen, zu denen die Betroffenen verurteilt werden, legen die Gerichte in Tagessätzen fest. Diese orientieren sich am Einkommen der Betroffenen; die Anzahl richtet sich nach der Schwere des Vergehens. Die Gefängnistage können – zumindest in der Theorie - durch gemeinnützige Arbeit wie Pflege von Parks und Grünanlagen ausgeglichen werden. Das spart auch der Justiz Kosten. Ein Hafttag kostete in Berlin 179 Euro (Stand 2019). Bezahlt werden sie aus Steuergeldern. 

"Wenn man jedoch keinen Wohnsitz hat oder von einer Suchtkrankheit betroffen ist" sei ein Abarbeiten meist nicht möglich, so die Rechercheergebnisse von "Frag den Staat" und der Sendung "ZDF Magazin Royale".

Justizsenatorin Kreck regte weiter an, dass auch über eine noch stärkere Begleitung der Betroffenen müsse nachgedacht werden. „Ich bin mir sehr sicher, dass man an dieser Stelle mehr erreichen kann.“ Bislang sei die Zahl derer, die wegen nicht bezahlter Geldstrafen in Haft müssten, zu hoch. "Die Menschen werden wirklich aus dem Leben gerissen." Das sei nicht im Sinne der Vermeidung weiterer Straftaten.
Aktuell sitzen in Berlin noch 233 Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe ab (Stand 12. Januar). Neue Ersatzfreiheitsstrafen müssen wegen der Corona-Pandemie im Moment nicht verbüßt werden. Die Vollstreckung ist in Berlin zunächst bis 31. März ausgesetzt. Dies war bereits mit Beginn der ersten und zweiten Corona-Welle der Fall.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte unlängst angekündigt, im Zuge von Überlegungen zu einer Entlastung der Justiz auch Strafen für Schwarzfahren zu überprüfen. Ein positives Signal, aber noch sehr vage, kritisierte Semsrott. Buschmanns Haus solle einen konkreten Gesetzentwurf vorlegen. „Wenn dieser Straftatbestand aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden würde, würden sich die Fallzahlen wahrscheinlich deutlich reduzieren“, sagte Kreck. (mit dpa)

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