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Ganz schön schnell: E-Scooter erobern die Städte.

© Roland Weihrauch/dpa

Zukunft der Mobilität in Berlin: „E-Tretroller sind eine wackelige Angelegenheit“

Obergrenzen und Gebühren? Berlins Verkehrssenatorin schließt das für E-Scooter nicht aus. Ein Gespräch über neue Mobilität und eine Stadt ohne Verbrennungsmotoren.

Von
  • Sabine Beikler
  • Christian Hönicke

Die Grünen-Politikerin Regine Günther ist seit Ende 2016 Berliner Senatorin für Umwelt, Verkehr und Umweltschutz.

Frau Günther, sind Sie schon mal E-Tretroller gefahren?
Ja. Es ist ein eigenes Fahrgefühl, ich habe Berlin aus einer anderen Perspektive erlebt. Aber die Tretroller haben auch Nachteile. Es ist eine sehr wackelige Angelegenheit. So ein Roller ruckelt bei Unebenheiten auf der Fahrbahn stark. Und nur mit einer Hand am Lenker zu fahren, ist ein enormes Risiko.

Wie viele E-Tretroller fahren seit Einführung Mitte Juni in Berlin?
Nach unseren Informationen sind es 4800 bis 5000.

Das ist die Schätzung vom RBB in Kooperation mit Radforschung.org. Warum müssen die Anbieter Ihnen ihre Zahlen nicht preisgeben?
Dafür gibt es derzeit keine gesetzliche Grundlage.

Sie rechnen dennoch damit, dass bald mindestens 8000 Tretroller durch Berlin fahren. Andere Städte wie Wien führen Obergrenzen ein. Wollen Sie das auch?
Wir sammeln jetzt erst einmal Erfahrungen. Im August sprechen auch wir mit den Anbietern, wie ein besseres Miteinander gewährleistet werden kann. Ob letztlich eine Obergrenze speziell auch für E-Tretroller notwendig werden könnte, wird sich zeigen. Eine eventuelle Steuerung hängt auch von komplexen rechtlichen Fragen ab.

Von welchen denn?
Handelt es sich bei den Leihrollern um eine Sondernutzung des Straßenraumes, können wir regulierend eingreifen. Handelt es sich um eine verkehrliche Nutzung im Rahmen des Gemeingebrauchs, ist unser Handlungsspielraum deutlich kleiner. Und dann ist es auch eine verkehrspolitische Frage.

Wie antwortet die Verkehrssenatorin?
Diese Frage ordnet sich ein in das größere Bild: wie wir alle neuen Sharing-Angebote und Verkehrsströme zukünftig steuern und welchen Beitrag sie zur Verkehrswende leisten können. Dazu gehören E-Tretroller, Leihfahrräder, aber perspektivisch auch andere Mobilitätsformen. Um das Potenzial genau abschätzen zu können, müssen wir erst mal Erfahrungen sammeln – auch hinsichtlich des konkreten Nutzerverhaltens.

Der grüne Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel, und die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow fordern eine Sondernutzungsgebühr für das Aufstellen von Leihrollern und -rädern auf öffentlichem Straßenland.
Wir sind darüber im Gespräch. Und wir sind uns einig, dass wir offensichtlich negative Auswirkungen und regelwidrige Nutzungen minimieren wollen.

Muss dazu die liberale „Berliner Linie“ im Umgang mit dem öffentlichen Raum verschärft werden? Die sollte einst die lokale Wirtschaft stärken. Jetzt nutzen sie globale Unternehmen aus, um Profit zu machen.
Der öffentliche Raum ist ein begrenztes Gut. Das Beispiel E-Tretroller zeigt aufs Neue deutlich, dass die Nutzungsrechte dringend und grundlegend neu verteilt werden müssen. Das treiben wir mit dem Mobilitätsgesetz voran.

Regine Günther ist seit 2016 Verkehrssenatorin in Berlin.
Regine Günther ist seit 2016 Verkehrssenatorin in Berlin.

© Mike Wolff

Verkehrsminister Scheuer hat gesagt, Berlin habe sich nicht auf die Roller vorbereitet und keine Verleihzonen eingerichtet. Außerdem werde nicht kontrolliert.
Das ist nicht richtig. Natürlich werden Verstöße in Berlin kontrolliert. Und wir haben den Anbietern unsere Vorgaben mitgeteilt: So dürfen beispielsweise nicht mehr als vier E-Tretroller an einem Standort pro Anbieter abgestellt werden. Sie dürfen auch niemanden behindern.

Die Praxis sieht anders aus – es gibt viele Konflikte auf den Gehwegen.
Die Klärung der neuen rechtlichen Fragen braucht praktische Erfahrungen und deswegen etwas Zeit. Und das nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Städten. Mit denen sind wir im Austausch. Im Übrigen war es Herr Scheuer, der die Roller viel weniger reglementieren und sie auch auf Gehwegen fahren lassen wollte. Das haben die Länder auch auf unsere Initiative hin verhindert.

Fuss e.V. kritisiert, Berlin werde nun von der autogerechten zur „radgerechten Stadt“ umgebaut. Sind Fußgänger für Sie Verkehrsteilnehmer zweiter Klasse?
Natürlich nicht. Ich will eine wirklich gerechte Verteilung der begrenzten Flächen. Es ist nicht das Ziel, nur den Radverkehr dominieren zu lassen, aber natürlich möchten wir die Radverkehrsinfrastruktur grundlegend verbessern und ausbauen. Genauso werden wir auch die Situation der Fußgänger verbessern. Deshalb legen wir in Kürze den entsprechenden Teil des Mobilitätsgesetzes vor.

Ist Ihr Ziel eine autofreie Innenstadt?
Mein politisches Ziel ist der Umbau Berlins von einer autogerechten zu einer menschenfreundlichen Stadt. Wie viele Autos dann in der Stadt noch fahren werden, müssen wir sehen. Privatautos sollten minimiert sein – der vollständige Verzicht auf das Auto ist mit Blick auf Rettungswagen, soziale Dienste, Polizei oder Handwerk wohl schwierig.

Aber Sie haben doch gesagt: Wir möchten, dass die Berliner ihre Autos abschaffen.
Ich habe gesagt, dass wir die Voraussetzungen schaffen möchten, dass die Berlinerinnen und Berliner ihr Auto abschaffen können. Wichtig ist dabei zunächst, attraktive Alternativen bereitzustellen, denn es geht ja nicht um Verzicht auf Mobilität. Dem ÖPNV kommt dabei eine besonders wichtige Rolle zu – er soll das Rückgrat der neuen Mobilität sein. Besonders vordringlich ist es aus Gründen des Klimaschutzes, sich schnellstmöglich vom Verbrennungsmotor zu trennen.

Paris will das bis 2030 schaffen. Ist das auch Ihr Ziel in Berlin?
So früh wie möglich. In den letzten zehn Jahren sind hier wichtige Entwicklungen verschlafen worden. Andere Städte waren schneller. Wir müssen vieles enorm schnell nachholen. Meine Vorstellung ist, dass Berlin 2030 ganz anders aussieht als heute. Das ist der Fixpunkt. Auch mit Blick auf den Verbrennungsmotor.

Die Menschen am Stadtrand sind aber weiter aufs eigene Auto angewiesen.
Das ist eine große Herausforderung. Gerade in den Außenbezirken besteht beim Ausbau des Umweltverbundes viel Nachholbedarf. Wir haben zusammen mit dem Land Brandenburg das Projekt „i2030“ gestartet, mit dem wir die beiden Länder durch neue Schienenverbindungen enger vernetzen wollen. Wir schaffen fast überall mindestens einen 10-Minuten-Takt. 20 Minuten auf die S-Bahn zu warten, ist nicht attraktiv.

Die Menschen müssen auch zu den Bahnhöfen kommen. Wie wollen Sie Leihfahrzeuganbieter in die Außenbereiche kriegen? Selbst der BVG-Berlkönig fährt nur in der Innenstadt.
Uns ist sehr klar, dass moderne Mobilitätslösungen in den Außenbezirken und für Pendler oft andere Ansätze erfordern als in der Innenstadt. Sharing-Angebote können hier nur durch Ausschreibung oder Fördermittel verfügbar gemacht werden. Auch der Einsatz von Rufbussen ist dort eine interessante Option.

Bisher fahren die E-Tretroller fast nur im S-Bahn-Ring.
Mit den Anbietern werden wir über ein verstärktes Angebot von E-Tretrollern in Außenbezirken sprechen. Für die letzte Meile ist es eine interessante Ergänzung des ÖPNV-Angebots. Wir wissen noch nicht, wie viele Autofahrer hier auf E-Roller umsteigen. Aber selbst wenn sie nur den ÖPNV entlasten, wäre mir das recht.

Wie wollen Sie Berlin noch menschenfreundlicher umbauen?
Wir diskutieren derzeit, welche großen Plätze für Menschen wieder zugänglicher gemacht werden können. Paris hat beispielsweise acht Plätze identifiziert, die umgestaltet werden sollen. Die Denkmäler auf diesen Plätzen werden derzeit mit bis zu sechs Autospuren umrundet und quasi abgeriegelt, die Plätze haben keinerlei Aufenthaltsqualität mehr.

Der Ernst-Reuter-Platz soll wieder ein echter Platz werden?
Der Ernst-Reuter-Platz könnte eines dieser Projekte sein oder auch der Platz an der Urania. Das sind Verkehrsinseln inmitten autobahnähnlicher Straßen. Das wollen wir ändern. Wir wollen diese wichtigen Orte für Fußgänger zugänglich machen. Dabei werden wir die vielen Fahrspuren reduzieren und attraktive Wege und Orte für Fußgänger schaffen.

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