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Ein Herz für die Stadt. Der "Zug der Liebe" im vergangenen Jahr.

© Maurizio Gambarini/dpa

Techno-Parade in Berlin: „Zug der Liebe“ geht die Puste aus

Am heutigen Sonnabend tanzen wieder Tausende zu Techno durch die Straßen - vielleicht letztmalig. Warum das schade ist - Gastbeitrag eines Techno-Veterans.

Zum vierten Mal findet am Samstag der „Zug der Liebe“ statt, eine Techno-Liebesparade mit 15 Liebestrucks von Clubs und Veranstaltern, House und Technomusik und je nach Wetterlage zwischen 25.000 und 50.000 Teilnehmern wie in den Vorjahren. Für viele Teilnehmer ist der Zug der Liebe eine zeitgemäße Variante der Mutter aller Paraden, der Love Parade, die vor 12 Jahren das letzte Mal in Berlin stattfand und um die Siegessäule durch den Tiergarten zog. Dabei erhebt der Zug der Liebe den Anspruch, ganz anders zu sein.

Für mehr Mitgefühl und eine bessere Welt

Die Love Parade verlor ihren ehemaligen Status als politische Veranstaltung Anfang des Jahrtausends – er wurde ihr per höchstrichterlicher Entscheidung aberkannt und sie musste fürderhin Müll- und Sicherheitskosten als kommerzielle musikalische Veranstaltung selbst zahlen, was maßgeblich zu ihrem Niedergang und dem späteren Verkauf an McFit-Unternehmer Rainer Schaller beitrug. Der Zug der Liebe ist – was den politischen Anspruch angeht – über jeden Zweifel erhaben.

Anders als in den Vorjahren demonstriert man dieses Jahr nicht für ein zentrales Motto wie „Gegen Pegida und AfD“ oder für „Mehr Pressefreiheit“, sondern für ein buntes Potpourri von politischen Forderungen für „mehr Mitgefühl und eine bessere Welt“.

Sie reichen von der Forderung nach „kulturorientierter Senatspolitik“, „Erhalt der vielfältigen Musik- und Tanzveranstaltungen“ bis hin zu „nachhaltiger Stadtentwicklung“ und dem „Erhalt von Grünflächen“ in der Stadt. Jeder Liebestruck-Macher unterstützt mit seinem Lovemobil zudem einen gemeinnützigen, zumindest aber mildtätigen Verein.

Die Begünstigten sind so vielfältig wie die politischen Ansprüche: das Spektrum reicht von der Clubkommission über kommunale Jugendeinrichtungen bis zur Tiertafel. Manchem Lifestyle-Raver, der sich in den 90ern von Love-Parade-Motti wie „Let the Sun Shine in Your Heart“ angesprochen fühlte, sind die vielen politischen Transparente des Zugs der Liebe gar ein wenig zu viel. „Plakat hochhalten stört Tanzvergnügen“ meint Alt-Raverin Sina G. (37) und beschreibt damit treffend einen Unterschied zwischen dem Zug der Liebe und der Love Parade.

Zieht auch der Zug der Liebe bald weiter?

Tatsache ist: Die Love Parade hat das Image Berlins und auch Deutschlands nachhaltig verändert. Die Love Parade war ein lebensfrohes, völkerverbindendes Ereignis, bei dem erstmals Deutsche und Polen, Deutsche und Israelis, Gäste aus aller Welt zur neuen Musik einer neuen Zeit gemeinsam tanzten. Das war vor der Love Parade schlicht undenkbar gewesen.

DJ Westbam, der einzige DJ, der neben Dr. Motte auf allen Berliner Love Parades auflegte, stellt in seinem 2013 erschienenen Buch „Macht der Nacht“ auch den Zusammenhang zum Sommermärchen zur Fußball-WM 2006 her – die Love Parade war nicht nur für ihn Wegbereiter für ein neues, positives Deutschlandbild einer auf einmal als gastfreundlich und lebensfroh wahrgenommenen Nation.

Während die Stadt Berlin die Images der Love Parade gerne für das Stadtmarketing verwendete und Hotellerie, Einzelhandel und Veranstalter am Love-Weekend über Rekordumsätze von weit über 500 Millionen Mark jubelten, gelang es auf der anderen Seite nicht, die Veranstaltung langfristig in der Stadt zu halten. Dieses Schicksal könnte schlussendlich auch den Zug der Liebe ereilen.

Fehlende Einnahmen machen Organisation schwierig

Dieser versteht sich zwar gar nicht als legitimer Love-Parade-Nachfolger, sondern eher als eine lebensbejahendere Alternative zur Fuckparade, aus deren Umfeld der Miterfinder der Demonstration, Martin Hüttmann, stammt – die Probleme bei der Paradenorganisation sind allerdings gar nicht so grundverschieden. Denn Paraden sind zunächst einmal Veranstaltungen, die eine Menge Organisation erfordern, Kosten verursachen und die – anders als Festivals – keinerlei Einnahmen generieren. Der Zug der Liebe verzichtet auf Sponsoring von Markenartiklern.

Zwar gibt es beim Zug der Liebe keine Probleme mit überbordenden Kosten für Müll und Sicherheit. Doch das Problem ist die chronische Überlastung der Organisatoren, die mit dem wachsenden Erfolg ihres Events an die Grenzen ihres ehrenamtlichen Engagements stoßen.

Schon haben sie angekündigt, dass nach 2018 auch mit dem Zug der Liebe Schluss sein soll, da bisher Spenden und eine Zuwendung des Musikboards Berlin nicht ausreichend sind, um eine bis zwei Stellen für die Organisatoren zu bezahlen. Rein historisch würde es der Stadt Berlin gut stehen, hier mit Geldern aus den Töpfen der Kulturförderung für Abhilfe zu sorgen.

Jürgen Laarmann

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