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Illegale Freiluftpartys in Berlin: Zu wild gefeiert

Jedes Wochenende steigen in Berlin illegale Freiluftpartys und Open-Airs. Immer mehr Leute tanzen mit. Und die Macher sind mit dem Ansturm oft überfordert.

Sonntag um neun klingelt der Wecker. Ludwig Schöller* greift sich seine Laptoptasche, klemmt ein Mischpult unter den Arm und fährt los. Ein hundert Kilogramm schwerer Baustellengenerator, Lautsprecher, Verstärker und Getränke müssen in den Miet-Lkw gehievt werden. Ziel: Görlitzer Park. Hier will der 24-Jährige einen Open-Air-Rave abhalten. Auf Facebook haben rund 200 Personen ihre Teilnahme angekündigt. Vielleicht werden es auch 1000. Vielleicht beendet aber auch die Polizei das illegale Spektakel frühzeitig.

Unangemeldete Musikveranstaltungen in aller Öffentlichkeit erleben derzeit einen Boom. Nicht nur in Berlin. In vielen Städten Europas versammeln sich Jugendliche zum Feiern unter freiem Himmel. Die Facebook-Seite „Open-Airs Berlin“ hat 62 000 Fans, „Open-Airs in Berlin“ sogar 100 000. Und hier liegt das Problem. Es sind zu viele geworden, die auf solche Partys gehen wollen, und zu viele, die sie organisieren. Jede Party wird zum Risiko für die Veranstalter und die Parks stoßen an ihre Belastungsgrenze.

Elmar & Tim* lernten sich im Dunstkreis des Fusion-Festivals kennen und veranstalteten vor 13 Jahren Open Airs unter dem Namen „Reclaim the park“. Sie gehörten damit zu den Ersten. „Wir wollten nicht nur eine schöne Zeit haben, es gab auch politische Aspekte“, erzählt Elmar. „Ganz bewusst sind wir in den öffentlichen Raum gegangen, um einen Anteil daran einzufordern“, sagt er. Bis zu 600 Leute reihten sich ein. Damit sich ein Park erholen konnte, wechselten sie die Orte. Getränke wurden nicht verkauft, der Müll eingesammelt. „Wir hatten eigentlich nie Probleme mit der Staatsmacht“, sagt Tim. „Die Beamten waren meistens kooperativ und wollten nur sichergehen, dass wir spätestens um 22 Uhr aufhörten. Als sie dann mal mit einer Hundertschaft im Görli anrückten, staunten sie, dass die Musik bereits aus war und alle gemeinsam aufräumten.“

Heute hinterlassen einige Veranstalter hingegen den Park nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“. Am vorigen Montag lagen im Schlesischen Busch wieder Schnapsflaschen, Zigarettenstummel und Konfetti auf der Wiese, das Ergebnis vom Wochenende. Doch nicht immer sei Ignoranz der Grund, meint Tim. Viele seien auch einfach überfordert, da wegen Facebook schwer einzuschätzen sei, wie viele Personen kommen. Am Ende schafften sie es nicht mehr, den Müll einzusammeln. Hans Panhoff (Grüne), Umweltstadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg, ärgert die Rücksichtslosigkeit: „Am 1. Mai hatten wir wieder erhebliche Müllmengen im Görlitzer Park und auf dem Spreewaldplatz wegen unangemeldeter Musikveranstaltungen.“ Der Bezirk bleibe auf den Kosten sitzen. Die Besucherzahlen vergrößerten sich, immer mehr Müll falle an. Das Problem sei schwer in den Griff zu bekommen, da bis 22 Uhr das personell unterbesetzte Ordnungsamt zuständig sei, nicht die Polizei. „Wenn dann Hunderte tanzen, können Sie die Party kaum noch verhindern“, sagt er.

Elmar von „Reclaim the park“ hat die Hoffnung aufgegeben, dass sich das Problem mit dem Müll in den Griff bekommen lässt. „Vor einigen Jahren erklärten sich noch spontan Leute bereit, beim Aufräumen zu helfen, obwohl sie gar nicht mitgefeiert haben. Sie wollten nicht, dass die Open Airs unterbunden werden.“ Aber die Zahl der verdreckten Veranstaltungen habe immer mehr zugenommen. 2009 gab es bis zu zehn gleichzeitig. Daraufhin luden die Betreiber der „Restrealität“, einem Internetforum, in dem viele der Partys angekündigt werden, zum Krisentreffen. Sie verabschiedeten einen Veranstalter-Knigge, in dem das Müllsammeln zur ersten Raverpflicht erklärt wurde. Veranstalter, die sich nicht an die Regeln halten, sollten gesperrt werden.

Es wird immer schwieriger, geeignete Orte zu finden

„Dieses Treffen hat nur wenig gebracht“, sagt Tim. „Jedes Jahr kommen zehn neue Gruppen voller Tatendrang nach Berlin und wollen einen Park bespielen.“ Viele hätten mit den Partys die Möglichkeit, vor einem größeren Publikum aufzulegen, da sie in den regulären Clubs nicht gebucht werden. Ludwig Schöller gibt zu, dass es auch bei ihm darum gehe, als DJ bekannter zu werden. Aber die Motivation, ein Open Air auf die Beine zu stellen, sei dennoch ähnlich wie bei den Machern vor zehn Jahren. Allerdings sei es immer schwieriger geworden, einen Ort zu finden, an dem sich keiner gestört fühlt. Und dort feierten dann, wie etwa an der Stadtautobahn in Neukölln, gleich drei Crews gleichzeitig. „Ein wenig ist es schon so, dass viele Parks totgespielt wurden“, sagt Schöller.

Die Polizei hat hingegen keine Zunahme illegaler Musikveranstaltungen festgestellt, heißt es auf Anfrage. Es bestehe daher auch keine Veranlassung, die Kontrollen zu verstärken. „Treten dennoch Fälle auf, würden diese im Rahmen des üblichen Streifendienstes behandelt“, teilt sie mit. Viele Veranstalter haben hingegen andere Erfahrungen gemacht: „Heute kommt die Polizei sehr viel schneller und greift rigoroser durch“, sagt Schöller. „Und weil man vermeiden will, dass die Anlage beschlagnahmt wird, bricht man dann ab.“

Dass nicht alle Open-Air-Veranstalter ihre Umwelt schädigen wollen, zeigt auch das Beispiel von Susi & Sabine*, die ab 2005 „Wir sind Park“ organisierten. Über 1000 Besucher kamen damals zu den illegalen Partys im Treptower Park oder im Märchenwald hinter dem Tempodrom. „Zwei Tage haben wir anschließend die Folgen beseitigt“, sagt Susi. Dabei seien Zigarettenstummel und kaputte Schnapsgläser am nervigsten gewesen. „Diese Einwegschnapsgläser aus Plastik zersplittern in tausend Teile“, sagt sie. 2010 entdeckte Susi stabilere Shotgläser. „Wir hatten viel weniger Arbeit beim Aufräumen und auch die Verletzungsgefahr sank“, sagt sie. „Gelöst hatten wir auch anfangs das Zigarettenproblem”, erzählt sie weiter. Von Fotolabors bekamen sie kostenlos leere Kleinbildfilmdosen, die sie mit „Asche für die Tasche“-Etiketten bedruckten. „Das funktionierte relativ gut, aber leider machte dann auch das letzte Großlabor für Filmentwicklung dicht“, sagt sie. Wünschenswert wäre es, wenn es gratis Hosentaschenascher von der Industrie gäbe.

Auch Ludwig Schöller könnte die Aschenbecher gut gebrauchen. Sein Open Air im Görlitzer Park war ein voller Erfolg. Die Polizei ließ ihn bis 22 Uhr gewähren. Nun pickt er mit Freunden den Müll auf. Schnipsel für Schnipsel. Im Grund hat er 14 Stunden gearbeitet, ohne Geld zu verdienen. Dennoch: Er wird es wieder tun. Martin Hildebrandt

(*Name geändert)

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