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50 Prozent der Berliner Haushalte sind Single-Haushalte. Für sie könnte das Alleinsein die größte Herausforderung während der Coronavirus-Pandemie werden.

© imago images / Westend61

Zu Hause bleiben in Coronavirus-Zeiten: Allein mit sich zu Hause – eine Horrorvorstellung?

Der Kühlschrank ist voll, die Tür zu, und nun? Unser Autor hat vorgefühlt, was insbesondere Singles erwarten könnte.

Man hat sich informiert und tut es weiter. Per Live-Ticker beobachtet man das Virus. Da hat man sich guten Rat eingeholt und ihn zum Gesetz erklärt. Man hat all denen, die auf die Vorräte im Supermarkt um die Ecke wirklich angewiesen sind, weil sie keine weiten Strecken gehen und keine Lasten tragen können, alles vor der Nase weggehamstert.

Zuletzt hat man seine Wohnung betreten und die Tür hinter sich zugemacht. Wenn am PC der Lüfter schon so lange läuft, dass man ihn nicht mehr wahrnimmt und dann plötzlich ausgeht, diese Art Stille erfüllt jetzt den Raum.

Hier wird man in nächster Zeit sein, mit seinen Vorräten, vielleicht Siri oder Alexa und vor allem sich selbst, weil man nur noch raus geht, wenn man wirklich muss.

[Verfolgen Sie alle Entwicklungen rund um die Coronavirus-Pandemie in unserem Newsblog für Berlin.]

Zumindest die zahlreichen Singles, die in Berlin immerhin knapp 50 Prozent aller Haushalte ausmachen. „Was nun andererseits die Menschen gesellig macht, ist ihre Unfähigkeit, die Einsamkeit, und in dieser sich selbst, zu ertragen“, kommentiert Schopenhauer.

Und diesem Selbst begegnet man hier ständig. Zum Beispiel beim Händewaschen. Wer sich wäscht, spaltet sich in jemanden, der wäscht und jemanden, der gewaschen wird (sagt wiederum Hegel).

Nicht zufällig steckt in der Verzweiflung eine Zwei. Allein mit sich sein – für viele die ultimative Horrorvorstellung. „Wie jemand, der durchs Fenster ins immer dichtere Dunkel starrt, / Das zurückstarrt ins immer dichtere Dunkel in ihm,“ dichtet Ales Steger.

[Behalten Sie den Überblick: Corona in Ihrem Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihren Bezirk. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de]

Dabei könnte es, wenn man darüber nachdenkt, doch so schön sein. Quality-Time mit sich. Sich mal verwöhnen, sich selber Gutes tun. Sich ein wenig besser kennenlernen. Wie klingt eigentlich die eigene innere Stimme, wer kann sie beschreiben?

Viele werden feststellen, dass es, also das Selbst, ziemlich unterhaltsam sein kann. Es trifft nämlich meistens genau den eigenen Humor, kann einem jeden Wunsch von den imaginären Lippen ablesen und ist meistens auch ganz seiner Meinung. Aber zum Glück nicht immer, es kann sich auch mal querstellen, damit keine Langeweile aufkommt.

[Ein paar Tipps, um sich zu Hause die Langeweile zu vertreiben, haben wir hier für Sie.]

Zum Beispiel bei selbst auferlegten Vorsätzen, wie dem Frühaufstehen, vorgezogenem Frühjahrsputz oder der Steuererklärung. Aber auch bei angenehmen Vorhaben. Endlich mal das eigene Bücherregal besser kennenlernen, damit es nicht mehr bloße Deko ist oder, grandiose Idee, endlich mal wieder Briefe an fast vergessene Freunde und Verwandte schreiben?

Gut möglich, dass es keinen Bock hat, mürrisch wird und träge. Kein Weltuntergang, erfahrungsgemäß ist man mit sich selbst weit nachsichtiger als mit anderen.

[Lesen Sie hier einen Essay zur Frage, warum es uns so schwer fällt, auf Gemeinschaftserlebnisse zu verzichten.]

Dass das Selbst dies tut, kommt außerdem nicht von ungefähr. Bei dem ganzen Programm, mit dem man es sonst so durch den Alltag peitscht, kommt es nämlich meistens zu kurz. Will man ihm nun weißmachen, dass all die abgesagten Termine durch einen militärischen Heimdrill ersetzt gehören, setzt es sich verständlicherweise zur Wehr.

Sportprogramm, endlich was für den Bauch tun? Achtsamkeitstraining? Es gibt Apps für alle Arten der Selbstoptimierung, von Yoga über Eigengewichtstraining zum Hirnjogging, für schnelleres Lesen, Erinnern, Problemlösung. Für alles das, was auch da draußen immer schon gefordert wird.

[Die wichtigsten Fragen zum Corona-Virus klären wir fortlaufend hier für Sie.]

Stattdessen erkennt das Selbst die Gelegenheit, sich endlich mal wieder in Telekinese zu üben: Dinge so stark mit seinem Blick zu fokussieren, dass man sie mit bloßer Geisteskraft durch den Raum bewegt.

Gleichschwebende Aufmerksamkeit zu entwickeln und ein Feuerwerk des Fantastischen aus den tiefsten Tiefen des Selbst zu entfachen. Seine knarzenden Dielen genauer kennenzulernen, ein sinnliches Verhältnis zu den Zwischenräumen seiner vier Wände zu entwickeln.

Da zieht plötzlich eine Wolke vor dem Fenster vorüber, aus dem Nichts ist sie am Firmament aufgetaucht und rast vorüber, während der Kaktus auf dem Fensterbrett eindeutig wächst, wie das Haar, die Fingernägel – das Leben ist eine permanente Baustelle! Und archäologische Ausgrabungsstätte zugleich. Betreten normalerweise verboten.

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