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Im „Pflege & Wohnen Schillerpark“ in Berlin-Wedding sind bereits rund 110 Menschen aus der Ukraine eingezogen.

© Simon Schwarz/TSP

Zoff wegen Pachtzins: Berliner Seniorenheim wird in Flüchtlingsunterkunft umgewandelt

In Wedding müssen rund 100 Seniorinnen und Senioren eine Pflegewohneinrichtung verlassen. Stattdessen ziehen Geflüchtete aus der Ukraine ein. Was ist passiert?

In Berlin-Wedding sollen Senior:innen aus einer Pflegewohneinrichtung ausziehen, damit dort geflüchtete Menschen unterkommen können. Insgesamt betrifft die Umnutzung des „Pflege & Wohnen Schillerpark“ in der Müllerstraße etwa 100 Bewohner:innen. Das Magazin „Focus“ hatte zuerst über den Fall berichtet.

Bereits im September 2022 erfuhren die Bewohner:innen von der Schließung. Die Hälfte der Personen ist laut dem Betreiber bereits ausgezogen, die andere Hälfte werde das Heim bis Ende des Jahres verlassen. Im Februar sind 110 Menschen aus der Ukraine in einen Teil der Einrichtung gezogen, teilt ein Sprecher der Senatsverwaltung für Soziales dem Tagesspiegel mit.

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Vermieter des Geländes ist das Paul Gerhardt Stift (PGS). Die Johannesstift Diakonie hat die Räumlichkeiten gemietet und betreibt die Pflegewohneinrichtung. Beides sind diakonische Einrichtungen. „Wir bedauern, dass die Einrichtung geschlossen wird“, sagt Lilian Rimkus, Sprecherin der Johannesstift Diakonie, dem Tagesspiegel. „Es wird aber kein Bewohner und keine Bewohnerin auf die Straße gesetzt.“

110
Geflüchtete aus der Ukraine sind bereits in die Einrichtung gezogen.

Ihr Arbeitgeber bemühe sich darum, die Senior:innen in anderen Einrichtungen unterzubringen. Ein Teil der Personen habe dieses Angebot angenommen. Dem „Focus“ sagte Rimkus, viele hätten dies wegen der „fehlenden räumlichen Nähe zu Angehörigen“ jedoch abgelehnt.

Angekratztes Mietverhältnis

Das Paul Gerhardt Stift dementiert am Montag eine Darstellung in dem Bericht, wonach es Eigenbedarf angemeldet habe. Eine Kündigung habe das Kirchenstift nicht ausgesprochen. Stattdessen hätten Vermieter und Heimbetreiber schon im Dezember 2021 beschlossen, dass die Johannesstift Diakonie das Gebäude nur bis Ende 2024 nutzen werde. Der Heimbetreiber habe 2022 dann darum gebeten, das Ende vorzuziehen.

2006 hatten die Vertragspartner einen Pachtvertrag geschlossen, dieser war auf 25 Jahre ausgelegt. Doch offenbar war das Mietverhältnis zerrüttet. „Nach unterschiedlichen Vorstellungen bezüglich der nach den Miet- und Pachtverträgen vereinbarten Pachtzinserhöhungen wurde vom PGS der Wunsch geäußert, das Gelände an der Müllerstraße künftig für eigene Aktivitäten zu nutzen“, teilt die Johannesstift Diakonie am Montag mit.

Die vorzeitige Beendigung hat laut Johannesstift-Sprecherin Rimkus „nur zwischen zwei Unternehmen stattgefunden“. Das Paul Gerhardt Stift teilt wiederum mit, die Umnutzung des Pflegeheims „rührt aus den bestehenden Strukturen sowie den Bedarfen des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)“.

Viele Geflüchtete und kaum Platz in den Kommunen

Seit dem 24. Februar 2022 sind in Berlin rund 380.000 Geflüchtete aus der Ukraine angekommen, hinzu kommen weitere Asyl- und Schutzsuchende. Weil das Land Berlin nicht genügend eigene Kapazitäten zur Unterbringung hat, schließt es auch Verträge mit konfessionellen und privaten Partnern.

Die Grünen-Politikerin Catrin Wahlen, Sprecherin für Inklusion und Senior:innen, sagt, man könne davon ausgehen, dass das Land Berlin für die Unterbringung „ungefähr 25 bis 30 Euro pro Tag und pro Person“ zahlt. Der CDU-Abgeordnete Björn Wohlert, Sprecher für Soziales und Integration, bestätigt diese Zahl.

Ist es deshalb lukrativer, Geflüchtete statt Senior:innen unterzubringen? Im „Focus“-Bericht heißt es, es gelte in Kirchenkreisen als „offenes Geheimnis“, dass man mit Flüchtlingsheimen mehr Geld verdienen könne als mit dem Betrieb eines Altenpflegeheims. Catrin Wahlen von den Grünen bezweifelt dies.

Zum Vergleich: Pflegewohneinrichtungen erhalten von der Pflegekasse je nach Pflegegrad einen festen Geldbetrag. Bei der Pflegestufe 5 sind das etwa 2000 Euro pro Monat. Der Eigenanteil kommt obendrauf, dieser unterscheidet sich von Heim zu Heim.

Schutzbedürftige nicht gegeneinander ausspielen

Das Paul Gerhardt Stift weist den Vorwurf der finanziellen Bereicherung von sich: „Die Umnutzung des Pflegeheims war keine wirtschaftliche Entscheidung.“ Außerdem habe das Kirchenstift erst „nach dem vorzeitig geänderten Vertrag“ entschieden, in der Pflegewohneinrichtung Geflüchtete unterzubringen.

Das bestätigt ein Sprecher der Sozialverwaltung. Das Objekt sei dem LAF erst „vor einigen Wochen als leer stehende Unterkunft von unserem Kooperationspartner angeboten“ worden. Der Tagessatz, den das Land Berlin für die Einrichtung bezahle, bewege sich „im absolut üblichen Rahmen“.

Der CDU-Politiker Sven Rissmann, dessen Wahlkreis in Wedding liegt, sagt, man dürfe schutzbedürftige Menschen nicht gegeneinander ausspielen. „Ich habe etliche Zuschriften erhalten. Die Menschen in meinem Wahlkreis sind empört“, sagt er. In Wedding gebe es „an jeder Ecke Herausforderungen“, erzählt Rissmann. Noch mehr traumatisierte Menschen auf einem Fleck könnten dazu führen, „dass der Kiez kippt“.

Die Grünen-Politikerin Wahlen warnt ebenfalls davor, Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen. Sie glaubt nicht, dass die Entscheidung, das Gelände umzunutzen, aus finanziellen Gründen erfolgt sei.

Die Bewohner:innen des Hauses und ihre Angehörigen haben sich laut Rimkus von der Johannesstift Diakonie nicht beschwert, die Entscheidung aber bedauert. „Es ist natürlich trotzdem nicht schön, wenn man mit 100 Jahren umziehen muss.“

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