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So stellen sich die Aktivisten eine Gedenkstelle vor dem Kanzleramt vor.

© Alexander Lehmann / Zentrum für politische Schönheit

Update

Zentrum für Politische Schönheit: Aktivisten wollen tote Flüchtlinge vor Kanzleramt beerdigen

Die Initiatoren der kontroversen Mauerkreuz-Aktion wollen tote Flüchtlinge vor das Kanzleramt bringen, um damit auf das Massensterben vor Europas Küste aufmerksam machen. Die Polizei reagierte gelassen.

Die Mitglieder des „Zentrums für Politische Schönheit“ wissen, wie man Politik inszeniert. Zum Jahrestag des Mauerfalls im November 2014 hatten die Künstler die weißen Kreuze zum Gedenken an die Mauertoten demontiert und an die EU-Außengrenzen getragen, um auf das Leid und Sterben von Flüchtlingen hinzuweisen. Die Aktion wurde bundesweit wahrgenommen und kontrovers diskutiert – zumal die Kreuze offenbar nur zwischengelagert und nicht ins Ausland gebracht worden waren.

Jetzt startet die politische Künstlergruppe ihre nächste Kampagne, die noch mehr Aufmerksamkeit provozieren dürfte. Im Mittelpunkt diesmal: offenbar echte Leichen. Das Zentrum will „die toten Einwanderer Europas vom Mittelmeer in die Schaltzentrale des europäischen Abwehrregimes – in die deutsche Hauptstadt“ bringen, ließ es verlauten. Am heutigen Dienstag um 10 Uhr werde man „die ersten beiden Opfer der militärischen Abriegelung Europas“, eine aus Syrien geflüchtete Frau und ihr Kind, auf dem muslimischen Friedhofsfeld in Berlin-Gatow beerdigen.

Die Bestattung sei offiziell angemeldet und vom Friedhof abgesegnet worden. „Sie sollen am Ziel ihrer Reise ihre Würde zurückbekommen“, sagte Justus Lenz, der am Montag spontan vom Hausmeister zum Pressesprecher des Zentrums befördert worden war. „Es wird eine muslimische Zeremonie geben. Das ist mit ihren Angehörigen so abgesprochen.“ Ein Sprecher des Friedhofs bestätigte, dass für diese Zeit eine Beerdigung geplant ist, allerdings gebe es keinen öffentlichen Aushang, weswegen er keine Namen nennen dürfe.

Aktivisten heben ein Grab auf Sizilien aus.
Aktivisten heben ein Grab auf Sizilien aus.

© Manuel Ruge / Zentrum für Politische Schönheit

Kokain im Blut

Bereits am vergangenen Freitag ist ein Kleintransporter mit Kühlsystem aus der sizilianischen Stadt Augusta auf seinem Weg nach Berlin von der bayerischen Verkehrspolizei gestoppt worden; die Verkehrspolizeiinspektion Freising bestätigte das. Die Weiterfahrt habe sich verzögert, weil sich im Blut des Fahrers – ein 53-jähriger italienischer Bestatter – Reste von Kokain gefunden hätten. Weil außerdem das Siegel an einem Sarg beschädigt war, wurden die Särge am Münchener Flughafen durchleuchtet – so schildern es die Aktivisten.

Sie gehen von einer gezielten Kontrolle aus. „Es ist schon erstaunlich, dass ausgerechnet unser Fahrzeug herausgezogen wurde. Aber wir werden ja auch schon seit Jahren ’neugierig’ von den Behörden beobachtet“, sagte Lenz. „Unser Anwalt ist auf dem Weg, um das zu klären.“ Die Papiere für den Transport seien jedenfalls in Ordnung gewesen und der Kokaintest negativ: Die Fahrt sei fortgesetzt worden.

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Gedenkstätte vor dem Kanzleramt?

Mit der Beerdigung am Dienstag ist die Aktion „Die Toten kommen“ aber nicht vorbei. „Weitere Termine gibt das Zentrum aufgrund der politischen Sprengkraft und der zu erwartenden Repressionen kurzfristig bekannt“, hieß in der Erklärung der Künstlergruppe. Am Sonntag soll jedenfalls ein „Marsch der Entschlossenen“ zum Kanzleramt ziehen, der „die toten Einwanderer“ dort „abliefert“ und den Vorplatz „in eine Gedenkstätte“ verwandele. Mit dieser Aktion wollen die Initiatoren „den toten Einwanderern Europas die letzte Ehre“ erweisen.

Die Berliner Polizei reagierte zunächst gelassen. „Wir kennen den Aufruf und haben die Streifen im Regierungsviertel informiert“, sagte Sprecher Stefan Redlich. Das Zentrum habe für den Sonntag von 14 bis 16 Uhr eine Demonstration mit 500 Teilnehmern angemeldet, die von der Neuen Wache aus über Unter den Linden zum Kanzleramt ziehen will.

Inwieweit bei der Aktion am Sonntag tatsächlich tote Flüchtlinge zum Einsatz kommen, ist unklar. Bei der Mauerkreuz-Aktion hatten die Künstler offenbar statt der „echten“ Kreuze Kopien an die EU-Außengrenzen gebracht. „Wir werden sehen, was die sich ausgedacht haben und dann reagieren“, sagte Redlich, „Im Vorfeld zu spekulieren bringt erfahrungsgemäß wenig.“ Laut eigenen Angaben haben die Aktivisten weitere Leichen für die Aktion am Sonntag auf den Weg gebracht.

Anonyme Gräber

„Wir haben zehn menschenunwürdige Grabstätten geöffnet und die Toten exhumiert“, erklärte der künstlerische Leiter Philipp Ruch. Auf der Website der Organisation waren Bilder zu sehen, auf denen Leichen aus einem Grab auf Sizilien ausgegraben wurden. „Es ist mittlerweile schwer, sich in der Nähe der EU-Außengrenzen aufzuhalten, ohne auf Tote zu stoßen“, sagte Lenz. Die Existenz anonymisierte Gräber an den EU-Außengrenzen bestätigt die Organisation Pro Asyl etwa für die griechische Evros-Region oder die italienische Insel Lampedusa, wo die Bürgermeisterin Giusi Nicolini 2013 angesichts der angeschwemmten Leichen in einem offenen Brandbrief klagte: „Wie groß muss der Friedhof auf meiner Insel noch werden?“

Die ertrunkenen, verdursteten, erfrorenen oder sogar tot geschlagenen Körper würden in Plastiksäcke gestopft und samt ihrer Papiere vergraben oder in Lagerhallen geschafft, sagt Lenz. „Die Behörden wollen sie unsichtbar machen. Das werden wir verhindern.“ Wegen der beiliegenden Pässe sei es kein Problem, die Toten zu identifizieren und die Angehörigen zu erreichen. „Das macht aber niemand, weil es Bürokratie bedeutet“, vermutet Lenz.

Das Zentrum für politische Schönheit sammelt unterdessen auf einer Website Geld, um weitere Leichen zu überführen. Am Montag hatten die Aktivisten innerhalb weniger Stunden schon deutlich mehr als 14900 Euro eingenommen – diese Summe benötigen sie nach eigenen Angaben für den Transfer eines toten Flüchtlings.

Auf Twitter wurde die Aktion der Künstler überwiegend positiv aufgenommen. Der Hashtag #dietotenkommen war in den Vormittagsstunden einer der häufigsten in Deutschland:

Einen Vortrag von Philipp Ruch und Stefan Pelzer können Sie hier sehen:

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