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Eine junge Frau hält einen negativen Corona-Schnelltest in der Hand.

© Nicolas Armer/dpa

„Zentraler Baustein der Pandemiebekämpfung“: Berlins Koalition will Schnelltests für jeden zum Selbstgebrauch

Rot-Rot-Grün will auf Initiative der Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel Corona-Tests für alle. Erste Studien unterstützen das. Aber ist es so einfach?

Morgens noch schnell ein Stäbchen in die Nase schieben, dann Duschen, Pausenbrote einpacken und 30 Minuten später zeigt der Test an, ob es heute in die Schule gehen kann. So stellen sich einige Experten die Zukunft mit Corona-Schnelltests vor. Am Dienstag hat sich auch die rot-rot-grüne Koalition darauf geeinigt, diesen Weg zu gehen.

In einem gemeinsamen Antrag, der am Donnerstag im Abgeordnetenhaus verabschiedet werden soll, wird Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) aufgefordert, „unverzüglich die tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen“ für Heimtests zu schaffen. Die sogenannten Antigen-Tests sollen künftig niedrigschwellig – leicht anwendbar und günstig – für zu Hause zur Verfügung stehen, heißt es in dem gemeinsamen Papier.

Besonders die Grünen hatten in den vergangenen Tagen für einen massiven Ausbau der Schnelltests geworben, sehen sie als „einen zentralen Baustein der Pandemiebekämpfung“, wie Grünen-Fraktionsvorsitzende Silke Gebel am Montag sagte. Sie hat ein Strategiepapier verfasst, das dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt: „So können die Tests neben dem Einsatz als Massenschnelltest auch in den Alltag integriert werden und beispielsweise vor dem Gang in den Supermarkt ein Abstrich gemacht werden“, schreibt Gebel darin.

Die Antigen-Tests seien ein entscheidender Vorteil im Vergleich zur ersten Coronawelle im Frühjahr 2020; in Frankreich und Österreich hätte sich bereits gezeigt, dass die Tests gut angenommen werden. Als zentral für Massentestungen sieht Gebel die „Zulassung der Schnelltests als Heimtest“.

So könnten auch Schlangen vor Test-Zentren verhindert werden, wie sie in Berlin über die Feiertage zu sehen waren. Bisher sind Selbsttests in Deutschland nur in Ausnahmefällen erlaubt, etwa für Lehrkräfte. Gebel warnt: „Ein Schnelltest ist kein Freischein, den Lockdown zu umgehen, aber er bietet eine erweitere Sicherheit.“

Verschiedene Studien bescheinigen den Schnelltests Potenzial

Im November hatte ein Team um den Charité-Virologen Christian Drosten eine Vorabstudie veröffentlicht, die den Tests großes Potenzial bescheinigte: „Die unmittelbare Verfügbarkeit von Testergebnissen könnte neuartige Gesundheitskonzepte ermöglichen, bei denen die Entscheidung über eine Isolation auf dem Testen der Infektiosität und nicht der Infektion basieren“, heißt es darin.

Allerdings gelten die Antigen-Test noch immer als ungenauer als PCR-Tests. Sie weisen nicht das Virus-Erbmaterial nach, sondern Proteinfragmente des Coronavirus. Ob ein Schnelltest anschlägt, hängt davon ab, wann ein Patient sich testen lässt und wie hoch die Viruslast in diesem Moment ist. Sie können jedoch geeignet sein, schnelle und klare Ergebnisse zu liefern, ab wann eine Person ansteckend ist – ihre Qualität wird immer besser.

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Trotzdem warnt etwa der Berufsverband Deutscher Laborärzte (BDL) vor den Tests. Die in Deutschland zugelassenen Antigen-Tests unterschieden sich „erheblich in der Qualität“, hieß es im Dezember. Hinsichtlich Sensitivität und Spezifität – also falsch-negativer und falsch-positiver Ergebnisse – könnten sie nicht mit PCR-Tests mithalten.

Verfügbarkeit und Schnelligkeit gleichen geringere Sensitivität aus

Werden Tests falsch durchgeführt oder verlassen sich Menschen auf ein veraltetes negatives Ergebnis, könnte sie das in falscher Sicherheit wiegen, kritisieren Experten. Der „Goldstandard“, schreibt auch das Team des Charité-Virologen Drosten, bleibt der PCR-Test.

Um Perfektion geht es den Verfechtern der Massenschnelltests aber kaum. Die Initiative „Rapidtests“ um den Biophysiker Jonas Binding etwa erklärt in einem Positionspapier: „Das möglichst frühzeitige Durchbrechen von Infektionsketten durch Identifikation von infektiösen Personen ist eine sehr wirksame Maßnahme zur Infektionskontrolle.“ Zu dem Ergebnis kommt auch eine Modellierungsstudie aus Harvard: Die Frequenz und Schnelligkeit der Antigen-Tests könne ihre geringere Sensitivität mehr als ausgleichen. Kürzlich fand eine Studie heraus, das bei guter Anleitung fast jeder einen Antigen-Test selbst durchführen kann.

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Weil eine Freigabe der Schnelltests für den Hausgebrauch bislang in der Medizinprodukte-Abgabeverordnung des Bundes nicht vorgesehen ist, beantragen das Hersteller bislang auch kaum. Deshalb fordert Berlins rot-rot-grüne Koalition nun „unverzüglich“, das zu ändern.

Grünen-Fraktionsvorsitzende Silke Gebel schreibt in ihrem Strategiepapier: „Aufgrund von Bundesbestimmungen ist es aktuell noch nicht möglich, die Schnelltests selbst durchzuführen. Damit ist ein möglicher und wichtiger Baustein der Pandemiebekämpfung nicht einsatzfähig.“

Silke Gebel ist seit 2016 gemeinsam mit Antje Kapek Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie ist außerdem europapolitische Sprecherin.
Silke Gebel ist seit 2016 gemeinsam mit Antje Kapek Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie ist außerdem europapolitische Sprecherin.

© promo

Auch die Grünen auf Bundesebene fordern, die Abgabe von Schnelltests in Apotheken für den Selbstgebrauch. Schnelltests sollten auch in die nationale Teststrategie aufgenommen werden. Bislang reagiert das Bundesgesundheitsministerium verhalten auf derartige Vorstöße. Der Schwerpunkt der Test-Strategie liege im medizinischen Bereich, sagte eine Sprecherin.

Auch in anderen Städten wird über mehr Schnelltests nachgedacht

Doch nicht nur in Berlin wird über mehr Antigen-Tests nachgedacht. Die Notärztin Lisa Federle, Initiatorin der Tübinger Teststrategie, fordert, den sogenannten Tübinger Weg bei der Teststrategie auf Deutschland auszuweiten. Bis genügend geimpft ist, müssten weit mehr Schnelltests durchgeführt werden.

Um die besonders gefährdeten Älteren vor dem Corona-Virus zu schützen, sollten alle, die mit ihnen zu tun haben, sich vor einem Kontakt kostenlos testen lassen können - ob es die Physiotherapeuten und Fußpfleger sind oder die Enkelkinder. „Selbst die Nachbarin sollte sich unkompliziert und schnell testen lassen können, ehe sie zum Kaffee vorbeischaut“, sagte die Ärztin dem Magazin "Kommunal".

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Solange die Tests noch nicht für zu Hause zu gebrauchen sind, will die Koalition in Berlin sie gezielt einsetzen: Der Senat „weitere Konzepte entwickeln“, heißt es in dem Koalitionsantrag, „um regelmäßige, auch flächendeckende Schnelltests in bestimmten Sektoren zu ermöglichen“.

Vorstellbar sind regelmäßige Tests in allen Schulen

Vorstellbar sei, dass in Schulen dreimal in der Woche das Lehrpersonal getestet werde, sagte Silke Gebel dem Tagesspiegel. Dafür müssten Schnelltests von der Bildungsverwaltung zur Verfügung gestellt werden. „In der Zukunft soll es Schnelltests als Heimtests aber auch für Schülerinnen und Schüler geben.“

Das unkontrollierte Wachstum zahlreicher Schnelltest-Anbieter in Berlin wird dagegen immer kritischer gesehen. „Der Wildwuchs an Schnellteststellen ist ein Politikversagen“, sagte Gebel. Auch die Berliner Amtsärzte kritisieren das scharf: Der Meldepflicht beim Gesundheitsamt kämen viele Zentren nur „deutlich verzögert oder unzureichend“ nach, heißt es in einem Schreiben der Amtsärzte an die Senatsverwaltung für Gesundheit, das dem Tagesspiegel vorliegt.

Die Amtsärzte bitten dringend darum, verbindliche Rahmenbedingungen für den Betrieb von Covid-19-Schnelltest-Zentren festzulegen. Anders als die rot-rot-grüne Koalition plädieren sie aber dafür, dass Tests ausschließlich von medizinischem Fachpersonal vorgenommen werden. Die Gesundheitsverwaltung äußerte sich auf Anfrage nicht zum Vorstoß der Koalition.

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