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Erlebnis Kino. Gemeinsam mit seinem Sohn leitet Andreas Schaffer (rechts) die Kinoplattform „We want Cinema“. Wer genügend Freunde über soziale Netzwerke mobilisiert, kann seinen Film auf der großen Leinwand sehen – für 7,50 Euro.

© Christian Mang

Kino als soziales Netzwerk: Wünsch Dir Deinen Film!

30 Jahre lang hat Andreas Schaffner Filmrollen geschleppt, damit ist es nun vorbei. Nun hat er die Website "We want Cinema" gegründet, mit der sich jeder seinen Lieblingsfilm ins Kino holen kann.

Ein Februartag während der Berlinale, irgendwann in den Neunzigern: Vor dem Zoo Palast in Charlottenburg stürzt sich ein Reporter auf den Erstbesten, der das Kino verlässt. Welcher Film ihm denn am besten gefallen habe, will der Journalist wissen. Die Antwort des Mannes fällt anders aus als erwartet: „Der, der nicht so schwer war.“ Der Interviewte heißt Andreas Schaffner und außer den Filmrollen, die er von Kino zu Kino schleppt, hat er mal wieder nicht viel von den Filmfestspielen gesehen.

Schaffners Anekdote ist nur eine von vielen. Mehr als 30 Jahre lang drehte sich im Leben des Berliner Logistikers alles um die Filmrolle. Doch diese Ära geht nun zu Ende: Die Rollen sterben aus und damit auch Schaffners Job. Doch der 56-Jährige hat längst einen Plan B entwickelt für seine Zukunft – und der könnte wegweisend für die ganze Branche werden. In diesem Monat ging seine Version der niederländischen Online-Plattform „We Want Cinema“ in Berlin an den Start. Auf wewantcinema.de darf das Publikum künftig mitbestimmen, was in den Berliner Kinos läuft. Mehr als 1000 Filme führt Schaffner bereits im Katalog, darunter Klassiker ebenso wie aktuelle Filme. Fast täglich kommen 40 bis 50 neue Titel dazu. Der Nutzer wählt seinen Wunschfilm aus, legt Datum, Uhrzeit und Spielort fest und kauft die erste Karte. Per Facebook, Twitter oder Mail kann er nun seine Freunde zu dem Event einladen. Mit jeder Zusage wird zugleich ein Ticket gekauft, zum Einheitspreis von 7,50 Euro. Wenn innerhalb von zwei Wochen genügend Teilnehmer zusagen, findet das Event statt. Falls nicht, wird das Geld zurückerstattet. Mit Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ feiert das Konzept am heutigen Dienstag Premiere im Alhambra Kino in Mitte.

25 Berliner Kinos haben sich Schaffners Plattform bereits angeschlossen

Den Erlös teilen sich Film-Verleih, Kino und Plattform-Betreiber. Die großen Kino-Ketten hätten den Deal trotzdem abgelehnt, sagt Schaffner. Die Gewinnspanne war ihnen wohl zu gering.

Umso begeisterter zeigten sich viele kleinere Kinos. „Die Digitalisierung hat unverschämt viel Geld verschlungen“, erklärt Schaffner. Nicht nur die Anschaffung der neuen digitalen Projektoren, auch ihr Betrieb ist teuer. Gleichzeitig stagnieren die Besucherzahlen oder gehen sogar zurück. In manchen Programmkinos bleiben die Projektoren abends immer öfter dunkel, weil kaum jemand gekommen ist.

25 Berliner Kinos haben sich Schaffners Plattform bereits angeschlossen. Zwar interessieren sich Kinobetreiber aus der ganzen Bundesrepublik für die zusätzlichen Einnahmen aus der Social-Cinema-Seite. Schaffner will sich im Moment aber lieber auf Berlin und Umgebung konzentrieren. Das ist sein Pflaster: Hier weiß er, wie das Publikum tickt.

Seitdem der ehemalige Pädagogik-Student Mitte der Achtziger versehentlich in den Vorführraum des Kino Arsenal stolperte, spielte sich sein Leben zwischen Berlins Filmprojektoren ab. In seinem Filmlager in Babelsberg stapeln sich heute auf 1000 Quadratmeter Fläche mehr als 16 000 Filmkopien. Doch wer weiß, wie lange noch. Denn neben den ratternden Projektoren laufen heute leise summende Scanner mit. Unermüdlich bannen sie die 35mm-Streifen auf handliche Festplatten. Was nicht digitalisiert wird, verschwindet für immer von der Bildfläche. „Da wird gerade ein Schatz zerstört“, klagt Schaffner.

Junge Produzenten sollen ihre Filme ins Kino bringen können

Gleichzeitig eröffne die Digitalisierung völlig neue Möglichkeiten, von denen die Kinos in Zeiten der wandfüllenden TV-Geräte auch Gebrauch machen sollten, meint Schaffner. „Das Kino muss sich neu erfinden“, sagt er, und glaubt, darin auch ein Rezept gegen die Kino-Verdrossenheit der Leute gefunden zu haben. Das Filmtheater sollte wieder zu einer Attraktion werden, ein Gemeinschaftserlebnis, auf das man sich freuen könne.

An Ideen mangelt es ihm nicht, was die neue Plattform dazu beitragen könnte. Er stellt sich Serien-Events vor, mit Klassikern wie den Winnetou-Filmen oder der Science-Fiction-Reihe „Zurück in die Zukunft“. Durch Kooperationen mit Fernsehsendern sollen es bald auch die erfolgreichen TV-Serien aus Amerika auf die Kino-Leinwand schaffen.

Und natürlich soll auch seine Leidenschaft gepflegt werden, die Geheimtipps des Filmgeschäfts, die es schwer haben gegen die großen Blockbuster, sollen auf seiner Plattform gefördert werden. Liebhaber des Trash- und Kunstfilms werden auf ihre Kosten kommen, verspricht Schaffner. Junge Produzenten ohne Verleih sollen ihre Filme über seine Plattform ins Kino bringen können, wenn sie nur genügend Zuschauer mobilisieren. Am Ende werde das Publikum auf jeden Fall für so manchen viralen Hit in den Kinos sorgen, prophezeit Schaffner: „Da werden Filme durch die Decke gehen, von denen das niemand erwartet hätte.“

Seine Erfahrung nämlich sagt: „Diese Branche ist so verrückt.“ Und die nährt sich immerhin aus 30 Jahren Filmgeschäft.

Die WWC-Premiere findet am heutigen Dienstag um 20 Uhr im Kino Alhambra, Seestraße 94, in Wedding statt. Kurzentschlossene können sich schnell noch auf www.wewantcinema.de registrieren und eine Karte vorbestellen. Einige Reserve-Tickets gibt es auch an der Abendkasse.

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