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Helmut Schramm, der Werksleiter des BMW Group Werks Berlin beim Tagesspiegel-Interview im Motorradwerk in Spandau. Der 54-jährige ist in Franken geboren, aber in Spandau aufgewachsen und führt die Produktion seit 2017.

© Mike Wolff

Chef des BMW-Motorradwerkes: "Wir wollen uns der Stadt Berlin mehr öffnen"

Mit 13.000 geladenen Gästen feiert BMW am Sonnabend in Berlin-Spandau den 50. Geburtstag seines Motorradwerks. Ein Gespräch mit dessen Leiter Helmut Schramm.

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Schon vor mehr als 90 Jahren wurden in den Brandenburgischen Motoren Werken („Bramo“) im Spandauer Ortsteil Haselhorst Flugzeugmotoren gefertigt. 1939 übernahm BMW das Werk und ließ nach dem Krieg, ab 1949, dort Teile für Motorräder produzieren. 1969 startete die Endmontage der BMW R60/2, was als Geburtsstunde des Berliner Motoradwerkes gilt. Am Sonnabend hatte das Unternehmen alle Mitarbeiter, deren Familien und ausgewählte Gäste zum 50. Werksjubiläum eingeladen. Rund 10.000 Gäste kamen zum spätsommerlichen Fest nach Spandau.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), der ursprünglich seinen Besuch abgesagt hatte, kam dann doch und erhielt auf der Bühne einen von Azubis gestalteten Helm mit einem Motiv „30 Jahre Mauerfall“. „Die Entscheidung des Konzerns 1969 diesen Standort zu wählen und über die vielen Jahre immer wieder an der Entscheidung festzuhalten und das Werk noch auszubauen, war und ist für unsere Stadt von großer Bedeutung“, erklärte er. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) würdigte BMW bei ihrem Besuch als „wichtigen industriellen Akteur“ in der Stadt: „50 Jahre Motorradproduktion in Berlin stehen für 50 Jahre technische Innovation und Qualität.“ Sie freue sich auch sehr, dass die Innovationskraft und Zukunftsorientierung von BMW sich nicht nur auf Motorräder erstrecke, „sondern auch Umweltschutz fest zum Unternehmensleitbild gehört.“ Der Tagesspiegel traf Helmut Schramm im Besucherzentrum, wo historische Maschinen und neuste Modelle ausgestellt sind. Über weißen Hemd trug er eine blaue Arbeiterjacke, wie sie seine Kolleginnen und Kollegen am Band tragen.

Herr Schramm, Sie leiten seit Juli 2017 das BMW Motorradwerk in Spandau, das am Wochenende 50 Jahre Motorradproduktion feierte. Im April lief das dreimillionste Motorrad vom Band. Leider fehlten an diesem Termin die Landespolitiker. Waren Sie sauer?

Nein, ich war nicht sauer. Der Regierende Bürgermeister hatte eine Grußbotschaft geschickt, die für uns sehr wertschätzend war. Wir brauchen hier im Werk nicht den großen Bahnhof. Für uns ist es wichtig, unseren Mitarbeitern die Wertschätzung gegenüber zu bringen. Und ich denke, dass wir das an diesem Tag auch mit dem richtigen Ton vermittelt haben.

Fühlen Sie sich von Rot-Rot-Grün ausreichend unterstützt?

Wir werden in der Stadt wirklich hervorragend unterstützt. Und das sage ich auch als Berliner: BMW ist an diesem Standort gut vernetzt.

Vor ein paar Monaten sagte Juso-Chef Kevin Kühnert, auch ein Berliner, dass er Konzerne wie BMW gern kollektivieren würde. Was sagen Sie dazu?

Über die Aussagen von Herrn Kühnert wurde ja ausgiebig in der Öffentlichkeit diskutiert. Ich bitte um Verständnis, dass wir uns daran nicht beteiligen und uns um unser operatives Geschäft kümmern, sowie unsere Zukunftsprojekte vorantreiben.

Helmut Schramm überreicht Berlins Regierendem Bürgermeister beim Mitarbeiter- und Familientag am Sonnabend (7. September 2019) einen Helm, den Azubis zum Thema 30 Jahre Mauerfall gestaltet haben. Müller setzt ihn noch auf der Bühne auf.
Helmut Schramm überreicht Berlins Regierendem Bürgermeister beim Mitarbeiter- und Familientag am Sonnabend (7. September 2019) einen Helm, den Azubis zum Thema 30 Jahre Mauerfall gestaltet haben. Müller setzt ihn noch auf der Bühne auf.

© www.haraldfuhr.de/BMW Group

Sie sind in Siemensstadt und Kladow aufgewachsen. Nun wird Spandau richtig ausgebaut. Siemens will für den Innovationscampus 600 Millionen Euro investieren. Wird BMW davon profitieren?

Wir pflegen mit unserem Nachbarn Siemens ein freundschaftliches Verhältnis. Die Anbindung von Spandau und Siemensstadt an den neuen Flughafen ist essenziell. Da muss Berlin schnell sein und zeigen, dass die Stadt sowas kann. Wir brauchen eine Verlängerung der S-Bahn, also die Reaktivierung der vorhandenen Trasse. Auch die Attraktivität des Bezirks nimmt deutlich zu mit dem Zuzug. In der Wasserstadt Spandau wird bis 2024 von der Gewobag ein neues Quartier gebaut. Das ist auch für unsere Mitarbeiter interessant.

BMW in Spandau ist eine Art Pilgerstätte für Motorradfans aus aller Welt.

Sie kommen sogar aus Hongkong. Und die Fans sind nicht nur Hardcore-Motorradfahrer. 20.000 Besucher, darunter ein Drittel ausländische Gäste, haben wir im Jahr, ohne dass wir Werbung machen. Wir planen einen echten Besucher-Hot Spot auf der Straßenseite für Fans und Kunden, die ihr neues Motorrad abholen wollen. Denken Sie an die vielen denkmalgeschützten Gebäude in unserem Werk. Wir feiern gerade 50 Jahre Motorradproduktion im Werk. Warum sollte man nicht mit der Historie des Ortes umgehen? Wir wollen uns der Stadt und den Kunden mehr öffnen und die Geschichte von BMW erlebbarer machen. Wir sind schon Mitglied der europäischen Route für Industriekultur. Es gibt weltweit viele Touristen, die nur nach alten Produktionsstätten suchen und diese besuchen wollen. Berlin hat Industriegeschichte.

Sie haben 2018 ein modernes Logistikzentrum eröffnet und 60 Millionen Euro investiert. BMW erwägt einen Flächenankauf. Wann wird es soweit sein?

Wir schauen, wie wir Optionen nutzen können. Mehr gibt es dazu zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu sagen. Aber es wird in diesem Kontext die eine oder andere Konzernaktivität nach Berlin kommen. Wir streben die Komplettierung der Produktionskette an.

Kevin Kühnert, Bundesvorsitzender der Jusos, der SPD Nachwuchsorganisation, dachte im Mai laut über die Verstaatlichung von Industrieunternehmen nach - und nannte als Beispiel auch BMW. In spontanen Interviews am Werkstor in Spandau stießen die Ideen auch bei Mitarbeitern auf wenig Gegenliebe.
Kevin Kühnert, Bundesvorsitzender der Jusos, der SPD Nachwuchsorganisation, dachte im Mai laut über die Verstaatlichung von Industrieunternehmen nach - und nannte als Beispiel auch BMW. In spontanen Interviews am Werkstor in Spandau stießen die Ideen auch bei Mitarbeitern auf wenig Gegenliebe.

© picture alliance/Michael Kappe

Im Werk gibt es bereits fahrerlose Transportsysteme. Wie wird sich die Digitalisierung auf die Produktion auswirken?

Wir sind schon sehr weit mit der Implementierung von Industrie 4.0. BMW arbeitet eng mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik in Berlin zusammen und haben einige neue Projekte. Wir setzen im Werk Smart Transportroboter ein. Das sind nicht nur fahrerlose Transportsysteme, sondern autonome Systeme. Und in der Zukunft werden wir Mensch-Maschine-Roboter-Systeme einsetzen. Roboter, die mit Menschen arbeiten und nicht mehr in Sicherheitskäfigen.

Werden die Roboter Mitarbeiter ersetzen?

Nein, Sie sollen die Dinge machen, die für Menschen ergonomisch sehr unangenehm oder aufwendig sind. Wir wollen eine gesunde Arbeitswelt für unsere Mitarbeiter. Die Zufriedenheit zeigt sich darin, dass wir im Gesundheitsstand konzernweit die besten sind. Wir wollen Arbeiten mit Big Data weiter professionalisieren und neue Abrufsysteme in der Logistik einsetzen.

Inwieweit kommt künstliche Intelligenz zum Einsatz?

Sie kommt zwingend zum Einsatz, denn sie ist Bestandteil dieser Systeme.

2018 produzierte BMW 130 566 Fahrzeuge pro Jahr, darunter 25 Motorradmodelle für verschiedene Sparten. Aber ein richtiges Elektromotorrad fehlt. Eben erst hat Harley Davidson die LiveWire präsentiert. Wann kommt das erste E-Motorrad von BMW?

Wir haben kürzlich die Studie BMW Vision DC Roadster vorgestellt. Die Optik ist an einem Zweizylinder-Boxermotor angelehnt. Der Antrieb ist vollelektrisch, der E-Motor selbst verhältnismäßig kompakt. So könnte ein E-Motorrad aussehen. BMW hat ja einen Elektroroller C evolution 2014 auf den Markt gebracht. Bald kommt das Nachfolgemodell. Aber auch andere Produkte sind wichtig für unseren Standort. So werden wir Ende 2020 eine völlig neue Baureihe auf den Markt bringen. Wir haben das Conceptbike R 18 vorgestellt. Dieser Big Boxer mit 1800 Kubikzentimetern wird komplett im Werk Spandau produziert. Der Rahmen des Big Boxers und das Getriebe werden hier produziert. Der Big Boxer ist made in Berlin. Und damit gehen wir natürlich in den Wettbewerb mit Harley-Davidson im Heritage- und Cruiser-Segment.

Helmut Schramm beim Rundgang durch das BMW Motorradwerk. An einer Hallenaußenwand wirbt ein riesiges Plakat für die neue "Big Boxer" auf Basis des Conceptbikes R 18. Es soll ab Ende 2020 in Berlin produziert werden. Damit will BMW Konkurrenten Harley-Davidson direkt im Markt angreifen.
Helmut Schramm beim Rundgang durch das BMW Motorradwerk. An einer Hallenaußenwand wirbt ein riesiges Plakat für die neue "Big Boxer" auf Basis des Conceptbikes R 18. Es soll ab Ende 2020 in Berlin produziert werden. Damit will BMW Konkurrenten Harley-Davidson direkt im Markt angreifen.

© Mike Wolff

Bei den E-Scootern bietet BMW den X2 City und einen kleineren Roller an. Sind das nur Spaßgeräte oder ein richtiges Verkehrsmittel?

Der Scooter durchläuft Genehmigungsprozesse und wird als Verkehrsmittel gesellschaftsfähig gemacht. Das ist kein reines Spaßgerät. Der X2 City wird in Lizenz von Kettler produziert, nicht in unserem Werk. Wir konzentrieren uns an diesem Standort auf unsere Kompetenz für große komplexe Fahrzeuge. Die Kundenwünsche werden immer individueller. Das schlägt sich auch in der Produktion nieder. Wenn wir alle Modelle nehmen einschließlich Scooter mit allen Farbvarianten, hat BMW Motorrad das komplexeste Angebot für Kunden weltweit. Das ist eine logistische und technologische Herausforderung. Die Kunden erhalten ab Werk das Fahrzeug nach individuellen Wünschen. Das erwartet der Kunde von einer Premiummarke.

Wie stellen Sie sich die Mobilität der Zukunft vor?

Eine intelligente Verknüpfung von individuellem und öffentlichem Verkehr ist wichtig. Wir haben in Berlin einen professionellen Nahverkehr. Im Gegensatz zu internationalen Metropolen liegt Berlin weit vorne. Die BVG macht einen Spitzenjob. Aber die Performance der Deutschen Bahn muss deutlich verbessert werden. Die Bahn muss Großabnehmern wie BMW Angebote unterbreiten, die stückweit attraktiv sind. Güterströme können entzerrt und auf die Abend- oder Nachtstunden verlegt werden. Mit modernen Sharingmodellen muss man zu intelligenten Lösungen kommen, um den Verkehr umzulenken.

Klimaschutz wird immer wichtiger. Die Grünen wollen bis 2030 alle Verbrennungsmotoren aus der Innenstadt verbannen. Ist das der richtige Weg?

Wir unterstützen den Klimaschutz und wir werden Mobilität verantwortungsvoll mitgestalten. Wir sind überzeugt, dass auch umweltfreundliche Industriearbeit in einer Metropole wichtig und erfolgreich darstellbar ist. Wir wollen das beweisen. Deshalb haben wir am Standort eine der größten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen des Konzerns mit einer Leistung von 9 Megawatt gebaut. Wir produzieren unseren eigenen Strom und eigene Wärme. Wir haben noch weitere Pläne.

Das Gespräch führten Sabine Beikler und Kevin P. Hoffmann

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