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Brandenburgs Gesundheitsministerin Nonnenmacher: „Wir haben die zweite Welle unterschätzt.“

© ZB

Wie geht es Brandenburg in der Coronakrise?: „Wir sind noch lange nicht dort, wo wir hin müssen“

Im Interview warnt Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher vor schnellen Lockerungen. Man habe die zweite Welle in ihrer Wucht unterschätzt.

Ministerin Nonnemacher, wollen Sie sich gegen das Coronavirus impfen lassen?
Selbstverständlich. Ich bin schon immer eine absolute Befürworterin von Schutzimpfungen gewesen. Ich selber, meine Kinder und meine ganze Familie sind gegen alles geimpft, was man sich vorstellen kann. Ich habe mich schon Ende September öffentlichkeitswirksam gegen Grippe impfen lassen. Und ich würde auch die Corona-Impfung wahrnehmen, wenn ich an der Reihe wäre.

Wer wird denn zuerst geimpft?
Wir müssen uns darauf einstellen, dass Anfang 2021 ein Impfstoff zur Verfügung steht, vielleicht auch mehrere. Da es zu Beginn nicht gleich Impfdosen für alle in ausreichenden Mengen gibt, sollen die Impfungen zunächst an priorisierten Personengruppen durchgeführt werden. Und wir orientieren uns an Empfehlungen, die die Ständige Impfkommission, der Nationale Ethikrat und die Leopoldina erstellt haben.

Demnach würden – wenig überraschend – besonders vulnerable Personen mit einem erhöhten Risiko zuerst geimpft werden, dazu Beschäftigte in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Dann wären Lehrerinnen und Lehrer und Erzieherinnen und Erzieher dran, sowie andere, die wegen ihres Berufs mit vielen Menschen zu tun haben.

Aber es ginge auch um Personen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, oder Wohnungslose. Und natürlich die Angehörigen der kritischen Infrastruktur: Wenn Gesundheitsämter, Feuerwehr und Polizei in die Knie gingen, wäre der Staat nicht mehr funktionsfähig.

Wie würde das in Brandenburg aussehen?
Wir planen zunächst mit zwei Impfzentren, eines im Potsdamer Raum und eines im Raum Cottbus. Dazu soll es mobile Teams geben, die etwa Menschen in Heimen impfen. Derzeit arbeitet mein Haus sehr intensiv an der Frage, wie wir das Impfen praktisch organisieren können – eine anspruchsvolle Aufgabe. Wir wissen noch nicht genau, wann welcher Impfstoff zugelassen wird. Wir wissen, dass alle in der Diskussion befindlichen Impfstoffe unterschiedliche Lagerungsbedingungen haben.

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Und wir operieren mit einer Vielzahl von Unbekannten. Aber wir wissen, dass wir eine Vielzahl von Menschen im Land nach den Kriterien impfen müssen. Dazu brauchen wir Partner, etwa die Kassenärztliche Vereinigung, Bundeswehr und Hilfsorganisationen. Mit denen sind wir jetzt in Gesprächen.

Worum geht es da?
Wir müssen uns zum Beispiel die Frage stellen, wo die Impfstoffe gelagert werden. Da geht es um die Kühlung bei Minus 70 oder 80 Grad. Da geht es um den Transport, aber auch darum, wie die Impfstoffe dann von wem bewacht werden. Wir haben jetzt schon Fälle in der Prignitz und in Ostprignitz-Ruppin, wo es Einbrüche in Lager mit Schutzausrüstung gegeben hat. Diese Probleme zu lösen ist hochkompliziert, es wird sehr, sehr teuer werden, viele Stränge werden parallel bedient. Das ist eine Mammut-Aufgabe. Da kann niemand heute sagen: Ich habe alles schon komplett fertig.

Wie ist denn aus Ihrer Sicht die Pandemielage in Brandenburg im Moment?
Im Moment ist die Lage noch gut beherrschbar. Natürlich können wir nicht nur gucken, wie viele Beatmungsgeräte zur Verfügung stehen oder wie viele Betten frei sind: Die Kliniken haben selbst viele Beschäftigte, die erkrankt oder in Quarantäne sind. Das schränkt die Zahl der Betten ein. Die ersten Kliniken haben Engpässe gemeldet.

In Babelsberg eröffnet am Montag ein Test-Zentrum, um die niedergelassenen Ärzte der Region zu entlasten.

© Soeren Stache/dpa

Deswegen haben wir die regionalen Netzwerke, in denen die Krankenhäuser zusammenarbeiten, wieder aktiviert. Und wir haben die Kliniken gebeten, zu prüfen, ob man planbare Eingriffe, die man ohne Schaden für den Patienten zurückstellen kann, zurückstellt.

Aber wenn die Situation noch gut beherrschbar ist: Könnte man dann nicht einfach ganz normal weitermachen?
In Deutschland sind heute schon deutlich über 3000 Intensivbetten durch Corona-Patienten belegt. Der Bundesgesundheitsminister hat davor gewarnt, dass sich diese Zahl Ende November verdoppelt haben könnte. Ich teile diese Einschätzung – denn wir sehen, dass sich die Menschen, die auf den Intensivstationen ankommen, zwei oder drei Wochen zuvor infiziert haben.

[Ursula Nonnenmacher (Grüne) ist seit 2019 Gesundheitsministerin von Brandenburg.]

Und wenn wir die sehr starke Dynamik, die wir vor einigen Wochen hatten, und die zur Schließung von Gaststätten und Kultureinrichtungen geführt hat, hochrechnen, müssen wir davon ausgehen, dass die Zahl der stationär behandelten Patienten weiter steigt.

Hat der neue Lockdown etwas gebracht?
Wir sind jetzt in einer Phase, wo wir gucken müssen, ob sich die Intensität des Anstiegs etwas abbremst. Das ist noch nicht belastbar, aber es gibt gewisse Hinweise – den R-Wert oder die Verdoppelungszeit der aktiven Fälle –, mit deren Hilfe man sagen kann: Es steigt nicht mehr so steil an.

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Am Freitag hatten wir 23.542 Neuerkrankungen in ganz Deutschland. Das ist ein neuer Rekordwert. Aber einen ähnlichen Wert hatten wir in der Vorwoche schon einmal. Wären wir noch beim Tempo der letzten Wochen, wären wir jetzt vielleicht bei 30.000 oder 40.000 Neuinfektionen am Tag – aber wir sind auch noch immer weit entfernt von Bereichen unter 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche, wo man sagen könnte, man beherrscht es und kann gut nachverfolgen.

Was erwarten Sie denn für Brandenburg von dem Treffen zwischen Kanzlerin in Länderchefs?
Es ist noch zu früh, um zu sagen: „Wir haben unser Ziel erreicht“. Man kann ja an diversen Äußerungen des Bundesgesundheitsministers ablesen, dass wir noch lange Zeit mit Restriktionen leben müssen. Diese Auffassung teile ich. Wir haben die zweite Welle in ihrer Wucht vielleicht alle etwas unterschätzt. Man wusste, sie wird irgendwann kommen. Aber dass es dann so schnell hochgeht, hat wohl einige überrascht. Wir müssen jetzt gucken, dass wir gut über den Winter kommen – und das wird ohne weitere Maßnahmen nicht möglich sein.

Halten Sie es für realistisch, dass Gaststätten in diesem Jahr noch einmal öffnen?
Wir beobachten, ob die Maßnahmen, die ergriffen worden sind, den gewünschten Effekt erreichen. Und auch wenn es dezente Hinweise in diese Richtung gibt: Wir sind noch lange nicht dort, wo wir hin müssen. Und dennoch wachsen die Begehrlichkeiten in Richtung Lockerung: Weihnachtsmärkte, Weihnachtsfeiern, verkaufsoffene Sonntage, Lockerungen im Freizeit- und Sportbereich.

Wie wird Weihnachten in diesem Jahr wohl aussehen?

© Christoph Soeder/dpa

Hier stehen wir vor einer Diskussion, die längst nicht abgeschlossen ist – zumal wir einen organisierten Widerstand erleben, der gegen die Hygieneauflagen agitiert.

Wie soll es jetzt mit den Testungen für Lehrerinnen und Lehrer weitergehen? Die Kapazitäten der Labore sind ja erschöpft ...
Wir arbeiten daran, wie wir unsere Teststrategien für Lehrer, Kitas und Pflegeheim-Beschäftigte fortsetzen. Bei den Lehrerinnen und Lehrern machen wir das mit Hilfe der Kassenärztlichen Vereinigung. Nach unseren Informationen war die Inanspruchnahme dieser Tests aber sehr überschaubar: Mir liegen noch keine abschließenden Zahlen vor, aber es waren wohl deutlich unter 20 Prozent der Lehrkräfte, die die Tests genutzt haben.

Das heißt, die meisten Lehrer haben sich nicht testen lassen?
Genau. Das Angebot der Testung von asymptomatischen Personen wurde nicht angenommen. Das müssen wir jetzt auswerten. Denn jetzt geht es um die Folgeverträge. Wir werden versuchen, in beiden Bereichen die Verträge zu verlängern, mit einer Umstellung auf die so genannten Schnelltests. Dafür ist weiterhin ein Abstrich durch geschultes medizinisches Personal nötig – aber es kann unabhängig von einem Labor in 15 bis 30 Minuten gesehen werden, ob ein Patient infiziert ist.

Wären die Schnelltests auch eine Variante für die Gastronomie, die Hotellerie oder die Veranstaltungsbranche?
Im Moment sehe ich das noch nicht. Bei dem aktuellen Infektionsgeschehen sagen wir: Die Schnelltests müssen jetzt erstmal da hin, wo sie dringend gebraucht werden – nämlich in medizinische und Pflege-Einrichtungen.

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