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Berlins Schulen haben seit 2015 viele eigene Konzepte für Willkommensklassen entwickelt..

© Manfred Thomas

Schulunterricht für geflüchtete Kinder: Willkommensklassen dürfen nicht der einzige Weg sein

Die Ukraine will keine Integration, sondern ihre Kinder schulisch auf die Rückkehr vorbereiten. Deutschland sollte flexible Lösungen finden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Susanne Vieth-Entus

Schrille Töne waren das, was die ukrainische Generalkonsulin den deutschen Kultusministerinnen und -ministern auf deren jüngster Sitzung zu hören gab: Die „so genannten Integrationsklassen“ würden für die ukrainischen Kinder „eine Wand des Unverständnisses, das Gefühl der Minderwertigkeit und des geringen sozialen Schutzes bedeuten“, hielt Iryna Tybinka dem Gremium in ihrer Rede vor.

Stattdessen erhob sie die Forderung nach einem Unterricht, wie er in der Ukraine üblich ist. Denn andernfalls würden die zurückkehrenden Kinder und Jugendlichen nach ihrer Rückkehr vor dem Problem stehen, dass ihnen der Stoff fehle für den Anschluss an ihre Klassen.

Die politische Botschaft hinter dieser Forderung ist klar: Die ukrainische Regierung will den Glauben an ein baldiges Kriegsende und die zeitnahe Rückkehr in die Heimat transportieren. Die Abkehr vom ukrainischen Bildungssystem hin zu einer Festlegung auf das deutsche Curriculum würden dazu nicht passen.

Abgesehen von dem martialischen Grundton der gar nicht diplomatischen Rede ist die Botschaft wichtig: Es geht nicht um ein zweites „2015“. Nicht alles, was bei der Aufnahme von Geflüchteten aus Syrien oder Afghanistan galt, dient als Blaupause für 2022.

Der Wunsch nach einer Rückkehr wird groß sein

Die Flucht vor einem – bis heute herrschenden – Diktator oder vor den Taliban ist etwas anderes als die Flucht vor einem Krieg, der nach jetzigem Stand nicht Jahre dauern wird. Mithin dürfte unter den Ukrainern die Gruppe, die sich schnellstens in die Heimat zurückwünscht, wesentlich größer sein als damals unter den Syrern oder Afghanen.

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Dennoch wird es unter den Hunderttausenden Minderjährigen, die bisher nach Deutschland kamen, sehr viele geben, deren Familien nicht zurück wollen oder können. Viele Ukrainer saßen schon vor dem Krieg auf gepackten Koffern oder hangelten sich in Deutschland ohne Arbeitserlaubnis von Touristenvisum zu Touristenvisum. Keiner kennt ihre Zahl.

Zudem weiß niemand, welche territorialen Folgen eine künftige Friedensordnung haben und in welcher Geschwindigkeit der Wiederaufbau zerstörter Straßen und Häuser gelingen wird. Aus diesen Faktoren aber ergeben sich höchst unterschiedliche Konsequenzen für die Rückkehr – und mithin sehr divergierende Erwartungen an die hiesigen Schulen.

In der Ukraine funktioniert die Online-Schule

Jene Familien, die ganz in Deutschland bleiben wollen, werden sehr dankbar sein für rasch organisierte Integrationsklassen, die in Berlin seit 2013 "Willkommensklassen" genannt werden. Wer aber auf dem schnellsten Wege zurück in die Heimat strebt, tut gut daran, die vielfältigen Onlineangebote der ukrainischen Bildungseinrichtungen zu nutzen: Ihre Schulbücher sind digitalisiert, für die höheren Jahrgänge gibt es – eine Coronafolge – eine Online-Schule. Da ist die Ukraine weiter als Deutschland, und es wird nicht lange dauern, bis man diese Ressourcen hier nutzen kann.

Zwischen diesen beiden Polen – Integration in das deutsche Schulsystem hier, Verbleib im ukrainischen Unterricht dort – entwickeln sich gerade zahlreiche Zwischenlösungen. Kreative Kollegien zimmern neue Stundenpläne, die sich den Bedürfnissen derer, die da kommen, anpassen: Wer kurz vor dem Schulabschluss steht, für den muss – natürlich – ein Weg gefunden werden, online den fehlenden Stoff zu bekommen und dann die Prüfungen ablegen zu können. Schon sind Behörden und Hilfsorganisationen dabei, ukrainische Lehrkräfte zu finden, die auch analogen Unterricht anbieten – für diejenigen, die zurück wollen, aber auch für diejenigen, die hier bleiben.

„Alles was Kindern Struktur gibt, ist gut“.

Länder wie Berlin, die die Förderung der Herkunftssprachen auf ihrer Agenda haben, können jetzt beweisen, dass sie es ernst meinen mit diesem politischen Ziel. Dazu gehört dann auch, dass Ukrainisch rasch als zweite Fremdsprache anerkannt wird, um den Jugendlichen nicht das Erlernen einer zusätzlichen Sprache zuzumuten.

Das alles sind allerdings erst die übernächsten Schritte. Was hier und heute wichtig ist: rasch schulische Angebote zu schaffen. „Alles was Kindern Struktur gibt, ist gut“, gibt ein Berliner Schulleiter angesichts der überquellenden Bahnhofshallen als Devise aus. Recht hat er. Darum muss es losgehen. Jetzt.

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