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Klimakämpfer. Christian Küttner hält die Bedingungen in der Siedlung für optimal, um den Klimawandel „von unten“ zu bekämpfen.

© Mike Wolff

Protest in Zehlendorf: Wie eine Siedlung gegen Klimawandel und steigende Mieten kämpft

Das Viertel soll bis 2030 klimaneutral sein. Doch einige Bewohner haben dafür keine Zeit. Sie kämpfen einen ganz anderen Kampf.

Christian Küttner blickt durch die breite Fensterfront, die Abendsonne scheint hinein. „Wenn es hier nicht klappt, wo sonst?“, fragt er. Küttner wohnt seit 20 Jahren in der Zehlendorfer Waldsiedlung. Eine Ansammlung schmaler Reihenhäuser mit Flachdächern, entworfen in den 20er Jahren vom Bauhaus-Architekten Bruno Taut für Menschen mit geringem Einkommen.

Sie wirkt hier, im wohlhabenden Zehlendorf, ähnlich unangepasst wie Küttner selbst. Und wie das Klimaprojekt, das er gemeinsam mit Ute Scheub, der Vorsitzenden des Nachbarschaftsvereins, initiiert hat. Der Plan ist ehrgeizig: Bis 2030, zum 100-jährigen Bestehen der Häuserzeilen am U-Bahnhof Onkel Toms Hütte, soll die Siedlung klimaneutral sein. Die Stadt Berlin, die als erstes Bundesland die Klimanotlage ausgerufen hat, konnte sich gerade mal auf eine CO2-Reduktion von über 85 Prozent bis 2050 einigen.

Küttner, Informatiker, 59 Jahre alt, sitzt aufrecht, konzentrierter Blick. Wenn er über Klimaschutz redet, klingt es, als könne alles gelingen – wenn man nur will. „Den Klimawandel können wir nur von unten stoppen“, sagt er. Die Bedingungen in der Siedlung hält Küttner für optimal.

Er öffnet die Glastür zur Terrasse und führt in einen leicht verwilderten Garten. Der Großstadtlärm ist ein entferntes Rauschen, es riecht nach nassem Laub und Erde. Küttner geht mit großen Schritten über feuchtes Gras und Kiefernnadeln in den Nachbargarten und zeigt ein Hochbeet aus Holz. Er hat es gemeinsam mit seiner Nachbarin gebaut.

Links und rechts gibt es keine Zäune, viele der angrenzenden Grundstücke sind frei zugänglich, wenn auch längst nicht alle. „Das Projekt funktioniert, weil wir auf ein enges Netzwerk zurückgreifen können“, sagt Küttner. „Die Leute packen mit an, die Türen stehen immer offen.“

Mehr Zeit in gemeinschaftliche Aufgaben investieren

Papageiensiedlung nennen die Bewohner das farbenfrohe Häuserensemble gerne, Küttners Fassade ist grün, die Fensterrahmen gelb-rot. „Wenn ich daran denke, dass wir unsere CO2-Emissionen auf weniger als eine Tonne pro Jahr bringen müssen, seh ich gar keinen anderen Weg“, sagt Küttner.

Weniger als eine Tonne Kohlenstoffdioxid pro Kopf und Jahr, diesen Wert gibt der CO2-Rechner des Umweltbundesamts als Ziel an. Bisher emittierten die Deutschen durchschnittlich 11,6 Tonnen CO2, Küttners Emissionen liegen bei sechs Tonnen. „Um das zu schaffen, müssten wir alle weniger arbeiten und mehr Zeit in gemeinschaftliche Aufgaben investieren“, sagt er.

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Innerhalb weniger Monate führten Küttner, Scheub und ihre Mitstreiter Anfang des Jahres eine Befragung unter den Bewohnern durch, veranstalteten eine Zukunftswerkstatt und bildeten vier Arbeitsgruppen für die Themen Garten, Mobilität, Energieeffizienz und altersgerechtes Wohnen.

Bewohner zeigen Fachwissen und Interesse

Für die Umfrage informierten sie per Flyer und Mail 800 von insgesamt 1.900 Haushalten. Etwa 100 Fragebögen kamen zurück. Das Ergebnis: Viele der Bewohner wünschen sich eine ökologische Lebensweise, viele bringen Fachwissen mit. 75 Personen gaben an, sich für das Klimaprojekt zu interessieren.

Daraus entstanden sind regelmäßige Arbeitsgruppen mit etwa fünf bis acht Leuten. Sie entwickeln Ideen für eine klimafreundlichere Siedlung: weniger Autos, mehr Fahrräder, gemeinschaftlichen Gemüseanbau und energieeffiziente Gebäude. Küttner ist in der Energiegruppe aktiv.

„Wir haben groß gedacht“, sagt er. Bis 2030 sollen auf 1.000 Dächern Photovoltaikanlagen installiert sein. Gut die Hälfte aller Dächer in der Siedlung. Küttner zählt die Vorteile auf. Er spricht routiniert, wie jemand, der diesen Vortrag schon oft gehalten hat: Versiegelte Flächen wie Dächer ließen sich doppelt nutzen, die Anlage produziere sofort Ökostrom, langfristig rentiere sich die Investition, sagt er.

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30 Prozent seiner Arbeitszeit steckt Christian Küttner nicht in seine Softwarefirma, sondern in diese ehrenamtliche Arbeit. Auch Barbara von Boroviczeny widmet einen großen Teil ihrer Zeit ehrenamtlichem Engagement. Nur ihre Ziele sind völlig andere. In Toms Kaffeerösterei in der überdachten Ladenstraße am U-Bahnhof Onkel Toms Hütte übertönt das Mahlen der Kaffeebohnen die Gespräche, draußen rauschen alle fünf Minuten Züge vorbei.

Barbara von Boroviczeny ist in der Papageiensiedlung geboren, seit mehr als 20 Jahren wohnt sie als Mieterin wieder in ihrem Elternhaus. Die Rentnerin, 77 Jahre alt, setzt sich seit Jahren gegen steigende Mieten und Verdrängung ein. Nach der Privatisierung der ehemals städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gehag, die Eigentümerin der Siedlung ist, gründete von Boroviczeny 2005 mit zwei anderen Frauen eine Mieterinitiative.

2007 übernahm die Deutsche Wohnen die Gehag. Seitdem ist Barbara von Boroviczeny ständig auf Veranstaltungen, Demos und auch mal vor Gericht unterwegs. Sie ist Bezirksleiterin des Berliner Mietervereins in Steglitz-Zehlendorf und aktiv in der Kampagne „Deutsche Wohnen und Co enteignen“.

Die Not der Mieter hat sie politisiert

Sie versinkt fast in den großen roten Sesseln des Cafés, den Kampfgeist sieht man der schmalen kleinen Frau mit den kurzen, silbrig-weißen Haaren nicht sofort an. Vor der Rente hat von Boroviczeny im Theater und in einem kulturwissenschaftlichen Verlag gearbeitet.

Die schwierige Lage der Mieter in der Siedlung hat sie erst spät politisiert. Sie spricht mit fester Stimme, alle Fakten hat sie sofort parat. „Hier einen gemeinschaftlichen Umweltgedanken zu etablieren, ist wahnsinnig schwierig“, sagt von Boroviczeny. Die Mieter hätten existenzielle Ängste. „Die wissen nicht, ob sie die nächste Mieterhöhung zahlen können oder gehen müssen.“ In der Siedlung bilden sie die Mehrheit: 800 Eigentumshäuser gibt es, die restlichen 1100 Wohneinheiten werden vermietet.

Mit den umweltbewussten Hauseigentümern hat Barbara von Boroviczeny selten Kontakt. Von ihrem Sessel am Fenster aus winkt sie vielen älteren Passanten zu. Von Boroviczeny kennt sie von früher, als noch ein Großteil der Bewohner in der Mieterinitiative aktiv war.

Mietenkämpferin Barbara von Boroviczeny.

© Mike Wolff

Viele seien inzwischen zu alt dafür. Und die Zugezogenen hätten kein Interesse, sagt von Boroviczeny. Wer heute einzieht, könne sich die hohen Mieten leisten. Der soziale Zusammenhalt unter den Mietern, sagt sie, bröckele langsam. Früher habe es viel mehr Engagement gegeben.

Die Mieterinitiative startete 2006 eine Kampagne für umweltfreundliche Gasanbieter wie Lichtblick oder Naturgas, viele Anwohner wechselten daraufhin zu ökologischen Versorgern. Dann übernahm die Deutsche Wohnen und ersetzte das Gas durch Fernwärme.

Die Wohnungsgesellschaft gibt an, dass sie den Primärenergiebedarf der Siedlung durch Sanierung und Fernwärme um 58 Prozent senken konnte. Doch der Primärbedarf entspricht nicht dem tatsächlichen Energieverbrauch der Konsumenten, er umfasst zusätzlich die Energiemenge, die bei Gewinnung, Umwandlung und Verteilung entsteht. „Für die Mieter ist es teuer, weil mit der Umstellung auf Fernwärme die Mieten erhöht wurden“, sagt von Boroviczeny. „Und aus ökologischer Sicht ist es widersinnig.“

Papageien-Siedlung als Pilotprojekt

Sie legt ein Schwarz-Weiß-Foto auf den Tisch, eine Straße der Siedlung im Winter. Der Schnee ist in schmalen Streifen quer zur Straße weggetaut, dort, wo die Fernwärmeleitungen verlaufen. Ihre Stimme klingt jetzt empört. „Statt mit Gas heizen wir jetzt mit Braunkohle, und wir heizen die Straße gleich mit.“

„Ich kann mir vorstellen, dass das hier eine Art Pilotprojekt zum Nachahmen wird“, sagt Christian Küttner. In seinem Wohnzimmer haben sich an diesem Dienstagabend die Sprecher der vier Arbeitsgruppen versammelt, es gibt gesalzene Nüsse und Studentenfutter, es wird viel gelacht. Küttner redet am meisten, über ehrenamtliches Engagement, die Probleme mit der Bezirksverwaltung, den Stand des Projekts.

Die Gruppe überlegt, wie sie möglichst viele Leute erreichen kann. 1.000 Flyer für eine große Klimademo haben Freiwillige da schon verteilt, auch in den Mietshäusern. Sie hätten dort keine gute Erfahrungen gemacht, Aushänge seien sofort abgerissen worden, erzählt Ute Scheub. Ein Anrufer habe sie erst kürzlich beschimpft: Sollen wir jetzt etwa alle zu Fuß gehen? Und dann aufgelegt.

„Deutsche Wohnen lässt keinen Freiraum für andere Themen“

Er habe ja Verständnis für die Situation der Mieter, sagt Küttner und zieht eine Augenbraue hoch. „Aber wir sind ja keine politische Organisation, die irgendetwas vorschreibt.“ Mit gutem Beispiel voran, das ist sein Credo: Am Treppengeländer in seinem Hausflur hängt ein selbstgebasteltes Plakat, das in einem der Klima-Workshops entstanden ist. „Wir wollen spätestens ab 2022 unser Privatauto abschaffen“, steht darauf. Und: „Wir wollen uns bis 2020 eine PV-Anlage auf unser Dach montieren lassen.“ Die Photovoltaikanlage wurde Anfang Dezember eingebaut.

Mietaktivistin Barbara von Boroviczeny glaubt, dass es mehr braucht, um alle Bewohner zu erreichen. „Eine Hausverwaltung wie die Deutsche Wohnen lässt keinen Freiraum für andere Themen“, sagt sie. „Das nimmt den Mietern jede Motivation.“

Das Ziel: „Eine andere Welt“

Am Abend nach der Demo stehen Küttner und Scheub im Gemeindesaal der Ernst-Moritz-Arndt-Kirche direkt hinter dem U-Bahnhof. Sie wollen den Tag gemeinsam mit Demonstranten und Interessierten ausklingen lassen. Küttner, schwer beschäftigt, gibt Anweisungen, baut den Beamer auf. Scheub prostet den Anwesenden mit einem Glas Rotwein zu. Ihre Wangen sind gerötet.

Auch Barbara von Boroviczeny ist gekommen, um sich das Projekt zumindest einmal anzusehen. Sie sitzt in einer der vorderen Stuhlreihen, während die Gruppen ihre bisherigen Ergebnisse vorstellen. Auf der Bühne geht es um die Photovoltaikanlagen und um Terra Preta, fruchtbare Erde, die aus Bioabfällen gewonnen wird und CO2 bindet. Die Gruppe für klimafreundliche Mobilität will zehn Haushalte dazu bewegen, zehn Wochen lang das Auto stehen zu lassen. „Eine andere Welt“, wird Barbara von Boroviczeny dazu später sagen.

Birke Carolin Resch

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