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Die kleine Ziegelmauer an der Spreeseite des Reichstags ist ein Geschenk des polnischen Parlaments an den Bundestag.

© Andreas Conrad

Wie ein paar Ziegel Touristen verwirren: Achtung, das ist wirklich nicht die Berliner Mauer!

Besucher verwechseln ein Stück Ziegelmauer am Reichstag ständig mit der Berliner Mauer. Dabei hat sie eine ganz andere spannende Geschichte.

Ist das etwa die Berliner Mauer? Klar, ein kleiner Rest nur, aber war die nicht aus Beton? Während es sich bei dem etwas mehr als mannshohen Teilstück an der Nordost-, also der Spreeecke des Reichstagsgebäudes doch um eine leicht verwitterte Ziegelmauer handelt. Ein Überbleibsel der ersten Bauphase des „antifaschistischen Schutzwalls“?

Schon viele Ortsunkundige, zumal die des Deutschen nicht mächtigen Touristen aus aller Welt, dürften sich diese Frage gestellt haben. Und selbst die deutsche Familie, die an diesem sonnigen Julitag auf Sightseeing-Tour daran vorbeischlendert und erst mal stehen bleibt, bekennt, sich für einen Augenblick unsicher gewesen zu sein.

Aber dann haben sie die beiden Schilder gelesen, eines mehr pathetisch und daher in Bronze, das zweite informativ und in Plastik, und wussten Bescheid.

Das Stück Ziegelmauer, einer der unbekannteren Gedenkorte der Stadt, entstammt demnach der Danziger Werft und gehörte zu jener Mauer, die Arbeiterführer Lech Walesa, später Friedensnobelpreisträger und Staatspräsident, am 14. August 1980 überkletterte, um den Streik zu organisieren, der zur Gründung der Gewerkschaft „Solidarnosc“ führte.

Seit 2009 steht das Mauerstück dort, an der prominenten, bei Touristen beliebten Ecke zwischen Reichstag und Spreeufer und damit sehr nah am ehemaligen Verlauf der Berliner Mauer. Die Bronzeplakette rühmt auf Deutsch und Polnisch „den Kampf der ,Solidarnosc‘ für Freiheit und Demokratie und den Beitrag Polens zur Wiedervereinigung Deutschlands und für ein politisch geeintes Europa“.

In der Nähe des Reichstags steht ein Stück Geschichte. Mit der Berliner Mauer hat der Ziegelwall aber nichts zu tun.
In der Nähe des Reichstags steht ein Stück Geschichte. Mit der Berliner Mauer hat der Ziegelwall aber nichts zu tun.

© Paul Zinken/dpa

Die zweite, ausführlichere Tafel bleibt einsprachig, was dem immer internationaleren Berliner Publikum ganz und gar nicht gerecht wird.

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Das fand auch der Kölner FDP-Bundestagsabgeordnete Reinhard Houben, den sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Peter Ittenbach auf die vielen Touristen hingewiesen hatte, die sich vor der Mauer, vermutlich aus Unkenntnis ihres wahren Charakters, fotografierten.

„Nur“ ein Jahr dauert es, bis ein neues Schild aufgestellt wird

Houben schrieb daher vor genau einem Jahr an seinen Parteifreund und Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki und regte an, die Tafel um eine englische Übersetzung des Textes zu ergänzen. Über Kubicki landete der Vorschlag beim zuständigen Ältestenrat, fand auch dort Zustimmung, und so wird an diesem Mittwoch das alte einsprachige Informationsschild ab- und ein neues mit demselben Text, nun aber zweisprachig, angeschraubt.

Kein des Englischen mächtiger Tourist soll mehr glauben, er stehe hier vor einem Rest der berühmt-berüchtigten Berliner Mauer. Nach rund einem Jahr wird dieser Prozess nun also abgeschlossen, das ist in Berlin kurz, allein schon angesichts der Tatsache, dass sich das Mauerstück auf Landesboden und damit in bezirklicher Zuständigkeit befindet.

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Beim Denkmal selbst hatte es mehr als doppelt so lange gedauert. Im Oktober 2007 war vom Büro des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) bestätigt worden, dass es seit längerer Zeit Gespräche zwischen dem deutschen Parlament und seinem polnischen Gegenstück, dem Sejm, gebe, in der Nähe des Reichstags ein Denkmal für die polnische Gewerkschaft Solidarnosc und ihren Beitrag zur Einheit Europas aufzustellen.

Aus den Gesprächen kristallisierte sich binnen knapp zweier Jahre die Mauerlösung heraus: Am 17. Juni 2009, ein durch den Volksaufstand in der DDR 1953 geschichtsträchtiges Datum, wurde das Stück Mauer der Danziger Leninwerft als Geschenk des Sejm an den Bundestag übergeben. Damals waren die beiden Parlamentspräsidenten Norbert Lammert und Bronislaw Komorowski zugegen. Ähnlich feierlich wird es morgen nicht zugehen, es bleibt beim Schrauben. Die Touristen wird es dennoch freuen.

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