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Kinder, die auf dem Tempelhofer Feld inlineskaten.

© dpa

Berliner Architektur: Wider das Mittelmaß!

Dogmatische Stadtnichtentwickler und radikale Aufwertungsgegner versetzen die Weltstadt in Stillstand. Statt jede Brache zu verteidigen, sollten wir unsere Kraft für gute Architektur einsetzen – auch auf dem Tempelhofer Feld

Endgültig abgestimmt wird zwar wohl erst im Mai, aber ich habe mich schon gefreut, dass es mit dem Volksbegehren zur „Tempelhofer Freiheit“ geklappt hat. Was für ein schöner Begriff: Tempelhofer Freiheit! Und wer überhaupt ist schon gegen: Freiheit? Schöne große Worte für eine tatsächlich große grüne Freifläche.

Ich habe übrigens auch gar nicht für (und nicht gegen) das Volksbegehren gestimmt. Damit stand ich in meinem familiären und befreundeten Umfeld einigermaßen einsam da, und neue Freunde mache ich mir mit dem hier Folgenden sicher auch nicht. Aber was soll’s, wir haben ja die Tempelhofer Freiheit und die Meinungsfreiheit.

Warum ich den Inhalt des Erhaltungsbegehrens nicht unterschrieben habe? Weil mir das apodiktische Veto gegen jeden nur denkbaren Bau auf dem ganzen Gelände – und zwar für jetzt und alle künftigen Zeiten – wie ein absolutes Stadtentwicklungsverbot erscheint. Ganz abgesehen davon, dass der Gegenvorschlag des Senats nur eine „Randbebauung“ am äußersten Saum der riesigen Freifläche vorsieht. Geplant sind dabei Wohnhäuser und keine Shoppingmalls.

Nervige Hysterie

Natürlich kann man sich mit guten Gründen über vieles empören, was seit der Wende in Berlin neu gebaut wurde oder in der Planung ist. Der trotz verkürztem Glasdach noch immer attraktive neue Hauptbahnhof wird derzeit zugerümpelt und sein Umfeld bis hin zum Humboldthafen verhunzt durch stupide Betonklötze. Und nicht weit entfernt das künftige Innenministerium, nur ein paar Gitter noch hinzugedacht, sieht bereits aus wie ein Monsterknast. Nein, von Solitären wie dem Kollhoff-Bau am Potsdamer Platz, der Foster’schen Reichstagskuppel, dem (für Ausstellungen freilich nicht idealen) Pei-Bau hinterm Deutschen Historischen Museum oder einigen hübschen Townhouses in Mitte abgesehen: viel tiefes Mittelmaß. Von oben.

Nun gibt es freilich auch eine neue Berliner Mittelmäßigkeit gleichsam von unten. Zu ihr gehören die inzwischen gegen jede Veränderung dogmatisch agitierenden Stadtnichtentwickler. Sie motzen gegen Schwaben, Ausländer, Touristen, Investoren (generell) – als bräuchte Berlin nicht auch frisches Geld, Ideen, Offenheit, Entwicklung. Als ginge das: die Weltstadt im Stillstand, der Kiez als Krähwinkel.

Ich verstehe ja die Aversion gegen Aufschneider, Metropolenschwätzer, spekulativen Wohnungsleerstand oder pseudohippe Dumpfbacken. Aber es grassiert mittlerweile auch: ein dogmatisches Gentrifizierungsgerede, das mir auf den Keks geht. Es wächst eine Hysterie, die schon jeden Ansatz von Normalität auf dem Wohnungsmarkt zum Spekulantenbabel erklärt – unter Bedingungen, nach denen sich ein Großteil aller anderen europäischen Großstädter sehnen würde, und bei Kaltmieten, die jemandem, der hier einen maroden Altbau saniert und bürgerlichen Wohnraum ohne Marmorbäder oder Schickimickifirlefanz schafft, selten mehr als zwei Prozent Rendite bringen.

Berlin ist und bleibt die grünste Hauptstadt Europas

Nein, Berlin ist absolut kein Mietwuchernest. Und es droht auch kein Superstuttgart. Weit entfernt! Doch bald 25 Jahre nach dem Mauerfall wollen sich viele offenbar nicht mehr daran erinnern, wie der Osten und große Teile auch des vermeintlich reichen Westens dieser Stadt früher einmal ausgesehen haben. Ich rede gar nicht von den Köpfen, nur von den Häusern, den maroden oder verwahrlosten Wohnungen. Der schöne alte Prenzlauer Berg: Er wäre ohne die Wende und die Sanierung (nicht nur durch Schwabengeister) längst zusammengefallen. Und die DDR-Obrigkeit hatte ja auch schon den Abriss beschlossen und Platte geplant. Statt Prenzlauer hätten wir heute den Pjöngjanger Berg.

Es gibt manchmal eine unheilige Allianz zwischen bewahrender, wertkonservativer Intelligenz und reaktionärer Ideologie. Aber: Berlin ist und bleibt die grünste Hauptstadt Europas – das wird sich ganz sicher auch mit ein paar Randbauten am Tempelhofer Feld nicht ändern. Und nicht jede Freizeitbrache an der Spree würde ich gegen etwas mehr gute Architektur und darin ein paar Arbeitsplätze verteidigen.

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