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Spielend verarbeiten. Mit Tieren und Figuren lassen Psychologen Kinder und Eltern in der Beratungsstelle Familienkonstellationen nachstellen. Wenn ein Kind den Vater dann mit zwei Löwen darstellt, muss sich wohl etwas ändern.

© picture alliance / dpa

Familie: Welches Spielzeugtier ist Papa?

Pro Bezirk gibt es mindestens zwei Familienberatungsstellen. Psychologen helfen Eltern und Kindern dort etwa im Trennungsfall oder bei Schulproblemen.

Die Gestalt sieht aus wie ein Marsmensch. Aus dem kugelrunden Kopf ragt eine Art Antenne, sie hat nur ein Auge, und das glotzt einen intensiv an, dafür steht das Wesen aber sehr stabil, auf drei Beinen nämlich. Drei solcher Gestalten hat ein Kind gemalt, das Thema lautete: „Male eine seltsame Familie“. Das Bild hängt im Flur der Erziehungs- und Familienberatungsstelle (EFB) des Jugendamtes Marzahn-Hellersdorf. Hier hängen viele Kinderbilder zu verschiedenen Themen, immer sind sie in sogenannten Kreativ-Workshops entstanden. Die gehören zum System der Beratungsstelle. Eltern gestalten mit ihren Kindern an einem Wochenende Bilder. Einmal pro Jahr bieten Peter Müller, der Leiter der Einrichtung, und seine Mitarbeiter solch einen Workshop an. Fünf bis sechs Familien verteilen sich dann in den hellen Räumen, im zweiten Stock des Einkaufszentrums Corso in Marzahn. Gut möglich aber auch, dass am Workshop-Samstag nur die Mutter mit dem Kind malt und am Sonntag der Vater.

Alle Beratungen sind kostenlos

Eltern, die Trennungsprobleme haben, die klären müssen, wie sie ihren Umgang mit dem Kind oder den Kindern pflegen und gestalten, machen einen beträchtlichen Teil der Klienten und Besucher aus, die zur Erziehungs- und Beratungsstelle kommen. „Gefühlt die Hälfte aller Menschen, die kommen, haben Probleme wegen der Trennung“, sagt die Kindertherapeutin Irmtraud Stenzel. In realen Zahlen ist es vielleicht ein Drittel der Besucher, aber bei 2000 Hilfesuchenden pro Jahr ist das auch eine Menge. Sieben Psychologen, Kindertherapeuten und Sozialarbeiter arbeiten in der Beratungsstelle. Alle Beratungen sind kostenlos und verbunden mit dem Thema Kind.

Im sogenannten „Umgangsraum“ der Beratungsstelle treffen Kinder aus Trennungsfamilien mit jenem Elternteil zusammen, das nicht das Sorgerecht besitzt. Dort stehen ein großes Puppenhaus und ein Schloss, auf dessen Zinnen gelbe Fahnen wehen, farbige Sitzkissen sind zu einer Kuschelecke zusammengelegt. Hier soll in einer entspannten Atmosphäre ein möglichst unverkrampfter Kontakt stattfinden.

Jeder Bezirk hat mindestens zwei Beratungsstellen

„Familienberatungsstellen leisten einen wichtigen Beitrag, Entwicklungsrisiken für die nachwachsende Generation früh zu erkennen, sie abzumildern oder ihnen vorzubeugen. Erziehungs- und Familienberatung hat deshalb eine besondere Funktion und familienpolitische Bedeutung im gesellschaftlichen und sozialen Leben unserer Stadt“, so Jugendsenatorin Sandra Scheeres.

In jedem Berliner Bezirk gibt es mindestens zwei klassische Erziehungs- und Beratungsstellen mit einem multiprofessionellen Team aus Psychologen, Kinder- und Jugendtherapeuten und Sozialpädagogen – eine kommunale und eine in freier Trägerschaft. „Die Familienberatungsangebote sind primär Aufgabe der Bezirke, nicht des Senats“, heißt es bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft.

Es fehlen Beraterstellen

„Das stimmt insofern nicht, als Ratsuchende sich auch in einem anderen Bezirk beraten lassen können“, sagt Psychologin Christiane Langela vom Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft für Erziehungsberatung. Sie kritisiert: „Wir sind in ganz Berlin unterversorgt mit Erziehungsberatungsstellen. 13 Beraterstellen auf 100 000 Einwohner müsste es eigentlich geben, davon haben wir nicht mal die Hälfte erreicht. Die Beratungsstellen müssten mit Beratern aufgestockt werden. Jeder freie Träger darf zurzeit nur eine bestimmte Fallzahl pro Jahr bedienen – das müsste aufgehoben werden. Man kann so etwas doch nicht im Vorhinein deckeln.“ Wie viele Berater es in jedem Bezirk gibt, sei allerdings sehr unterschiedlich.

„An sich haben wir eine ziemlich engagierte Familienberatung“, sagt Marianne Burkert-Eulitz, familienpolitische Sprecherin der Berliner Grünen. „Aus meiner Erfahrung als Familienanwältin weiß ich aber, dass das Angebot an Familienberatung nicht ausreicht. Es gibt lange Wartezeiten. Eltern treffen Vereinbarungen bei Gericht, sie bemühen sich etwa um zeitnahe Umgangsvereinbarungen, können die dann aber nicht umsetzen, weil sie keinen Termin dafür bekommen.“

Jeder Träger schiebt eine Bugwelle vor sich her

Bernhard Huf, Paar- und Familientherapeut, Sozialarbeiter und Leiter der Familienberatungsstellen der Caritas in Mitte und Wilmersdorf, sagt dazu: „Jeder Träger schiebt eine gewisse Bugwelle vor sich her. Der Bedarf ist groß. Das hängt damit zusammen, dass Familienberatung ein sehr niedrigschwelliges Angebot ist – man kann einfach anrufen und einen Termin vereinbaren. Wir haben aber den Anspruch, dass jeder Anrufer innerhalb von zehn bis vierzehn Tagen einen Termin bekommt. Das klappt in der Regel. Außerdem haben die Beratungsstellen der Caritas wie alle anderen auch noch eine offene Sprechstunde, zu der man unangemeldet kommen kann.“

Dass es bei sogenannten gerichtsanhängigen Verfahren manchmal länger dauere, liege auch daran, dass der zweite Elternteil in ein Gespräch einwilligen muss, sagt Huf. „Außerdem ist die Umsetzung schwieriger, in der Regel geht man bei solchen Gesprächen mit zwei Kollegen rein.“ In seine Beratungsstellen kommen auch Paare aus anderen Bezirken. Sogar gleichgeschlechtliche Paare nehmen die Hilfe der katholischen Caritas in Anspruch. „Auch religiöse Zugehörigkeit spielt keine Rolle für uns“, sagt Huf.

Einige Eltern sind hochaggressiv

Auch in die Marzahner Beratungsstelle kommen sehr unterschiedliche Familien. „Am schwierigsten sind Eltern, die hochaggressiv sind“, sagt Beratungsstellenleiter Peter Müller. In solchen Fällen finden die Sitzungen ohne die Kinder statt. Manchmal werden in der hitzigen Atmosphäre auch noch Vorwürfe über sexuellen Missbrauch ausgesprochen. Wenn diese plausibel wirken, wird das Jugendamt eingeschaltet. Dann hat die eigentlich vereinbarte Vertraulichkeit ein Ende. „Die optimale Konstellation“, sagt Maraike Wittbrodt, eine Sozialarbeiterin und Familientherapeutin, „ist eine Familie, die entspannt ist und vernünftig Fragen zum Kind klärt.“ Zum Beispiel: Wer erhält wann das Besuchsrecht? Wann darf jenes Elternteil, das nicht das Sorgerecht besitzt, mit dem Kind telefonieren? Die Experten geben etwa auch Tipps, wie die Eltern damit umgehen können, wenn ein Kind bei der Übergabe weint. Die Atmosphäre in der Einrichtung in Marzahn kommt solchen Gesprächen entgegen. Die Räume sind gemütlich, kindgerecht eingerichtet, es gibt warme Farben, der Flur hat ockergelbe Streifen an der Wand. Die Beratungsstelle ist 2014 umgezogen, zwei Standorte wurden zusammengelegt, es gibt jetzt in Marzahn nur noch zwei Beratungsstellen statt wie bisher drei. Aber die Mitarbeiter sind zufrieden mit dieser Einrichtung.

Oft geht es auch um Lernhilfe

Und in diesen Räumen geht es ja nicht bloß um hitzig diskutierte Trennungsthemen und Streit ums Kind, die Themenpalette reicht von Lernhilfe für Kinder bis zur Bewältigung von Trauer nach einem Todesfall in der Familie. „Oft geht es auch bloß darum, Menschen einfach zuzuhören“, sagt Irmtraud Stenzel. Oder Eltern kommen mit Kindern, die eine Lernschwäche haben. Eine Rechtschreib-Problematik zum Beispiel. „Die Nachfrage nach Lerntherapie ist exorbitant angestiegen“, sagt Müller. Lerntherapie bei der öffentlichen Einrichtung EFB bedeutet, dass die Helfer sich in der Woche zwei Stunden mit Eltern und Kind hinsetzen und überlegen, wie sie die Schwäche verringern, aber auch wie die Kinder mit ihrem Handicap umgehen können.

Dann gibt es aber auch das Beratungszimmer der Kindertherapeutin Stenzel, in der ganz viele Tiere auf einem Tisch stehen. Mit den Tieren können Kinder und Eltern ihre Familiensituationen nachstellen: „Wir arbeiten viel mit Symbolen.“ Stenzel erzählt von einem Mädchen, das den Part des Vaters mit zwei Löwen darstellte. Und von einem Vater, der das Thema „Männlichkeit“ darstellen sollte. Er baute nebeneinander eine Bodybuilder-Figur, eine Vogelspinne und einen Adler mit aufgerissenem Schnabel und ausgebreiteten Schwingen auf.

Es gibt keine Regeln, wie lange man maximal die EFB aufsuchen darf. Maßstab ist der Bedarf an Hilfe und Beratung. Es gibt Eltern und Kinder, die kommen drei Jahre lang, immer wieder. „Wir haben auch Leute, die kommen zwei Jahre gar nicht und sind dann wieder da“, sagt Irmtraud Stenzel. „In 75 Prozent aller Fälle brauchen die Menschen nach unserer Beratung keine Hilfe von anderen Einrichtungen“, sagt Müller.

BERATUNGSSTELLEN

Ratsuchende können sich an eine der etwa 30 Berliner Erziehungs- und Familienberatungsstellen der Jugendämter und freien Träger wenden. Eine Beratung können Erziehungsberechtigte, Paare sowie Kinder und Jugendliche in Anspruch nehmen, auf Wunsch auch anonym. Eine Liste der Beratungsstellen findet sich unter www.efb-berlin.de/ratsuchende/erziehungsberatungsstellen. Man kann dort auch nach Beratungsstellen in den Bezirken suchen, nach Trägern und Beratungssprachen geordnet – von Aserbaidschanisch bis Ungarisch.

FRAGEN

Die Ratsuchenden können allgemeine Fragen zu Entwicklung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen stellen sowie Fragen zu Verhaltensauffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen. Oft suchen Paare Hilfe bei Trennungen – oder in der Pubertät.

SPEZIAL-BERATUNG

In Kreuzberg gibt es eine besonders auf Trennungs- und Scheidungssituationen spezialisierte Beratungsstelle. Am Mehringdamm 50 bietet der Verein „Zusammenwirken im Familienkonflikt“ professionelle und interdisziplinäre Beratung und Hilfe für Menschen in Familienkonflikten, bei Trennung und Scheidung an. Unter der Telefonnummer 86 10 195 können Hilfesuchende einen Termin vereinbaren. Weitere Informationen unter www.zif-online.de.

IM INTERNET

Berlin ist beteiligt am bundesweiten Projekt zur Beratung im Internet – einem Projekt der Bundeskonferenz für Erziehungs- und Familienberatung e.V. Unter der Internetadresse www.bke-elternberatung.de können sich Eltern online von „ausgebildeten Fachkräften“ kostenlos beraten lassen. Auf dem Portal kann man aus unterschiedlichen Angeboten wählen: die Einzelberatung (vergleichbar mit Mail-Beratung); die „Offene Sprechstunde“ (Einzelchat); den Gruppenchat oder den Themenchat; das Forum. Die gleichen Möglichkeiten gibt es auch beim Online-Beratungsangebot für Kinder und Jugendliche, das man unter www.bke-jugendberatung.de abrufen kann. Für beide Angebote muss man sich registrieren.

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