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Ohne Anspruch auf Notbetreuung darf man Kinder unter zwei Jahren erst ab 20. Juli wieder in die Kita bringen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Weitere 30.000 Kinder müssen in Berlin betreut werden: Zu riskant – Kitas protestieren gegen Senatsvorgaben

Ab diesem Donnerstag sollen alle Vorschulkinder und ihre Geschwister betreut werden. Viele Einrichtungen halten das für unmöglich.

So viel Ärger war selten. Selbst der sonst im Ton eher moderate Dachverband der Kinder- und Schülerläden machte seinem Ärger Luft: Die Kitas würden „vor eine unmögliche Aufgabe gestellt – und dabei alleingelassen“, lautete die Analyse der Vertretung von 800 kleinen Einrichtungen in der Stadt. Was war geschehen?

Eigentlich etwas Erfreuliches: Berlins Kitas sollen sich wieder allmählich öffnen. Als Nächstes sind ab diesem Donnerstag die Kinder dran, die im Sommer in die Schule kommen sowie deren Geschwister, was einem Plus von rund 30.000 Kindern entspricht: Sie alle haben Anspruch auf vier Stunden am Tag oder 20 Stunden pro Woche.

Der Haken: Etliche Kitas sehen sich nicht imstande, in kleinen festen Gruppen die Abstands- und Sicherheitsregeln einzuhalten – vor allem dann nicht, wenn sie einen großen Anteil von Kindern haben, die bisher schon Anspruch auf eine ganztägige Notbetreuung haben. Davor hatten auch Stadträte schon gewarnt.

Bei den sogenannten Notbetreuten handelt es sich um Kinder von Eltern, die in ihren Berufen unabkömmlich sind – „systemrelevant“. Diese Gruppe war in den letzten Wochen erheblich ausgeweitet worden. Dann kamen noch die Alleinerziehenden als Anspruchsberechtigte hinzu. In der Folge landeten viele Kitas schon Ende April am Limit, was bedeutet, dass sie kaum imstande sind, weitere Kinder aufzunehmen. Jedenfalls dann nicht, wenn sie die Abstandsregeln befolgen, denn es gibt nicht nur ein Raum- sondern auch ein Personalproblem, da rund 30 Prozent der Erzieher krank oder als Risikogruppe im Homeoffice.

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Ein Aufschrei der "Systemrelevanten"

Vor diesem Hintergrund eröffnete die Senatsverwaltung für Jugend den Kitaträgern am Montag die Option, „dass auch bei Eltern aus systemrelevanten Berufen die bisher vereinbarten Betreuungszeiten in der Notbetreuung eingeschränkt werden müssen.“ Dies aber führte sofort zu einem Aufschrei der „Systemrelevanten“: Schon stand die Befürchtung im Raum, dass Krankenschwestern nicht mehr voll einsatzfähig wären – was sicherlich nicht beabsichtigt war, aber als mögliche Konsequenz beschworen wurde.

Hin und Her bei den Vorgaben

Die Folge: Die Behörde von Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) schickte binnen eines Tages ein neues Schreiben an Hunderte Kitaträger. Dort war dann zu lesen, dass Eltern aus systemrelevanten Berufsgruppen weiterhin einen erweiterten Anspruch hätten. Mit ihnen solle vor Ort in den Kitas im Einvernehmen geklärt werden, welchen Bedarf sie genau haben.

Dieses neue Schreiben von Dienstag führte dazu, dass die Träger ihre gerade erst erstellten Gruppenpläne wieder einstampfen mussten – und nur 48 Stunden Zeit haben, um bis Donnerstag neue „sichere“ Pläne zu machen.

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Etliche Kitaleiter und Träger sehen sich nicht imstande, dieser Aufgabe gerecht zu werden, ohne bewusst gegen die Sicherheitsvorgaben zu verstoßen: „Entweder muss die Gruppe der Anspruchsberechtigten für den erweiterten Zugang weiter reduziert werden oder das Prinzip der kleinen Gruppe muss aufgegeben werden und der Regelbetrieb wieder eingeführt werden“, schlussfolgerte der Verband der kleinen und mittelgroßen Kitas. Das aber bedeute, „die einschlägigen Informationen von Unfallkasse und Berufsgenossenschaft zu ignorieren“, wie Geschäftsführer Lars Békési meint.

Wohlfahrtsverband greift Scheeres Verwaltung an

Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband schickte am Mittwoch eine geharnischte Mitteilung herum. Sie gipfelte in der Feststellung, dass das Berliner Kita- System „nicht wegen sondern trotz der öffentlichen Verwaltung“ qualitativ sehr gut und leistungsfähig sei.

Schon zeichnet sich ab, dass es am Donnerstag zu Reibereien zwischen Kitas und Eltern kommen dürfte, wenn klar ist, wie die knappen Betreuungsressourcen aufgeteilt werden: Viele Eltern warten seit Monaten auf die Kiitaöffnung und rechnen nicht damit, dass sie sich mit nur vier Stunden zufriedengeben sollen. Zudem dürfte es viele Fragen geben, wenn Eltern sehen, dass sie – etwa als Selbständige – nur einen vierstündigen Anspruch haben, während etwa „Systemrelevante“ ihre Kinder ganztags betreuen lassen können, obwohl nur ein Elternteil „systemrelevant“ beschäftigt ist und das andere Elternteil jede Menge Zeit hätte.

Eine Hotline für Streitfälle

Dass es hier Konflikte geben wird, die Kitaleiter allein nicht lösen können, ist auch der Jugendverwaltung klar, weshalb sie ab 9 Uhr eine Hotline für Eltern schalten will. Sprecherin Iris Brennberger gibt allerdings zu bedenken, dass dennoch „viele Entscheidungen nur vor Ort und unter Berücksichtigung der Personal- und Raumsituation sowie der tatsächlichen Zahl der Kinder, die betreut werden sollen, getroffen werden können“. Sie setzt auf „möglichst einvernehmliche, solidarische Lösungen“.

Etliche Träger haben versucht, diese Lösungen auf die Schnelle zu finden. So berichtet die „Kita International“ des Trägers Kant-Kindergärten in Dahlem, dass es eine Umfrage unter den Eltern gegeben habe, wie diese 20 Stunden angeboten werden sollen. Die Eltern hätten sich für 2,5 Tage pro Woche ausgesprochen, berichtet Geschäftsführerin Franziska Wagner. Der Vorteil dieser Variante bestehe darin, dass es für die Kinder ein Mittagessen gibt.

Ein Wachdienst soll für Abstand sorgen

Um das alles organisieren zu können, habe sie allerdings die Eltern auf Montag vertrösten müssen. Außerdem hat Wagner für die ersten vier Wochen einen Ordnerservice angeheuert: Er soll dafür sorgen, dass die 100 erwarteten Eltern nicht in das Gebäude kommen und auch nicht in Trauben auf dem Hof zusammenstehen.

Landeselternsprecherin Corinna Balkow rät Eltern, die mangels knapper Betreuungszeit verzweifeln, sich an Mokis zu wenden, einen öffentlich geförderten mobilen Kinderbetreuungsservice „für Eltern mit besonderen Arbeitszeiten“.

Die Kitahotline des Senats ist ab diesen Donnerstag von 9-15 Uhr unter 030/90227-6600 erreichbar.

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