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Freuen sich auf Spenden: Leiter Ulrich Davids und Bewohner des Hauses Nostitz im Speisesaal.

© Sven Darmer

Weihnachtsspendenaktion „Menschen helfen!“ 2021/22: Der Sucht zum Trotz ein schönes Leben

Das Projekt "Haus Nostitz" ist eine niedrigschwellige Anlaufstelle für wohnungslose Menschen mit Alkoholismus. Jetzt benötigt es Spenden.

Auch in diesem Jahr bittet der Tagesspiegel bei der Weihnachtsaktion „Menschen helfen!“ um Spenden der Leser. Wie bei jeder Spendenrunde wollen wir auch mit der 29. Aktion bei jenen Problemen und Krisen helfen, über die wir im Jahresverlauf öfter berichtet haben: Corona-Pandemie, Obdachlosigkeit in Berlin, Klimakrise weltweit, humanitäre Krise in Afghanistan. Wir stellen in unserer Spendenserie einige Projekte stellvertretend für alle 42 vor, für die wir Gelder sammeln. Heute: das Haus Nostitz der Neuen Chance gGmbH.

Manfred, 53, hat seinen Rhythmus. „Ich war zweieinhalb Monate trocken. Jetzt trinke ich wieder, aber nur zwei Mal im Monat: immer am Ersten und am Fünfzehnten.“ Er sei zehn Jahre lang immer wieder wohnungslos gewesen, sagt er während des Mittagessens im fast leeren Gemeinschaftsraum des Projekts Haus Nostitz. Er habe mal in der einen Einrichtung gelebt, mal in der anderen, mal auf der Straße. Doch seine Sucht konnte er nicht überwinden: „Aus dem Betreuten Wohnen bin ich wegen des Alkohols geflogen.“

Im Haus Nostitz in Berlin-Kreuzberg finden Männer wie er Zuflucht, ja, ein Zuhause – trotz und mit ihrer Abhängigkeit. „Wir betreuen Männer, die ihr Leben nicht mehr verändern wollen oder können“, sagt Ulrich Davids, der Leiter der Einrichtung, die 46 Plätze bereithält. Eine Abstinenz hätten gerade einmal zwei Leute innerhalb der zehn Jahre geschafft, die er nun dort tätig sei.

Das Wohnprojekt arbeitet seit seiner Gründung durch den Pfarrer der Heilig-Kreuz-Gemeinde Joachim Ritzkowsky im Jahr 1998 suchtakzeptierend, anders als viele vergleichbare in Berlin. „Das heißt natürlich nicht, dass sie hier saufen können bis zum Umfallen.“ Es gehe darum, den Betroffenen ein würdevolles, geregeltes Leben zu ermöglichen, erklärt Davids – im Rahmen ihrer Möglichkeiten. „Dafür ist auch die Hygiene ganz wichtig. Wir haben immer ein Auge drauf, dass sich alle regelmäßig waschen und ihre Zimmer ordentlich halten.“

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Gerade dieser zentrale Bestandteil des Arbeitsansatzes ist nun bedroht. Denn vor drei Jahren nisteten sich Bettwanzen im Haus ein. „Die sind schwer rauszubekommen“, sagt Sozialpädagoge Davids. Mehrmals sei ein Schädlingsbekämpfer da gewesen. Ergebnis: Die bisherigen Holzmöbel müssen raus, weil sie einen optimalen Nährboden für die Insekten bieten. Stattdessen werden nun nach und nach Betten, Schränke und Kommoden aus Stahl beschafft. Bisher habe das knappe Budget das allerdings nur in sechs der 46 Zimmer erlaubt, sagt Ulrich Davids. Für die restlichen 40 Wohnungen erhofft sich das Haus Nostitz Spenden von den Tagesspiegellesern.

Manfred findet die neuen Möbel übrigens gar nicht so gut, erzählt er lachend: Die Betten seien so tief, er möge keinen Stahl. Am Nebentisch macht sich Jürgen, 73 Jahre alt, auf den Weg in sein Zimmer. Er geht langsam, am Rollator, spricht verwaschen, aber schaut mit wachem Blick. Er sei einmal Krankenpfleger gewesen, früher, erzählt er, und muss ebenfalls lachen. „Jetzt lebe ich hier und werde hier sterben, das muss man ganz nüchtern betrachten.“ Trinken tue er nur nachmittags. Und zwar eine festgelegte Menge: „Danach ist Schluss, mehr gibt es nicht.“

Wenn das Leben zu Ende geht

Im Haus Nostitz bekommen die Männer nicht nur Hilfe im Alltag, bei Hygiene, Behördengängen, Tagesgestaltung sowie dem kontrollierten Konsum von Alkohol, sondern werden auch medizinisch versorgt, gepflegt und beim Sterben begleitet. „Einige sind 80 Jahre alt oder 85. Das ist aber am oberen Ende“, sagt Davids. In der Regel erreichten die Männer ein Lebensalter zwischen 50 und 60 Jahren, seien nach teils jahrzehntelanger Obdachlosigkeit und Alkoholsucht gezeichnet von Lebererkrankungen, Knochenabbau oder dem Korsakow-Syndrom, das demenzähnliche Hirnschädigungen umfasst. Im „Grab mit vielen Namen" auf dem Jerusalemsfriedhof finden sie ihre letzte Ruhe.

Die Obdachlosen, die neu dazu kämen, würden immer jünger: 35, 40 Jahre alt, vielfach nicht nur von Alkohol abhängig, sondern auch von anderen Drogen. „Die haben 20 Jahre auf der Straße gelebt und sind einfach am Limit. Die können nicht mehr.“ Es dauere sehr lange, zu ihnen ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Aber mit Erfolg: „98 Prozent unserer Bewohner haben sich gegen Corona impfen lassen“, erzählt Leiter Davids stolz. Es habe nicht einen Fall seit Ausbruch der Pandemie gegeben. „Die Versuchung war natürlich groß zu sagen: Ist doch egal, wir stecken uns sowieso an. Da sind wir immer wieder dazwischengegangen. Es ist eben nicht egal!“

Gemeinsam Weihnachten feiern

Viele der Bewohner hätten keinen Kontakt mehr zu Familie und Freunden. Umso wichtiger sei die Gemeinschaft im Haus. Fünf- bis sechsmal im Jahr gibt es ein Plenum, auf dem Bewohner ihre Interessen artikulieren und Konflikte regeln können. Die zuvor organisierten Ausflüge, Schach- und Skatturniere seien durch Corona nicht mehr möglich gewesen, bedauert Davids. Letztes Jahr habe man das traditionelle Weihnachtsessen (Buletten und Würstchen) in mehreren Etappen ausgeben müssen, anstatt zusammen zu feiern. Dieses Jahr werde es wohl ähnlich laufen. Jeder Bewohner darf sich etwas zu Weihnachten wünschen – auch die Geschenke werden aus Spenden finanziert.

Das Spendenkonto: Empfänger: Spendenaktion Der Tagesspiegel e.V.. Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse IBAN: DE43 1005 0000 0250 0309 42. BIC: BELADEBE Bitte Namen und Anschrift für den Spendenbeleg gut leserlich notieren. Auch Online-Banking ist möglich.

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