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Das Schönste am gegenseitigen Briefeschreiben ist der Moment der Ungewissheit - wann kommt der nächste an, was wird drinstehen?

© imago/JOKER

Was macht die Familie?: Ungewöhnliche Brieffreundschaften pflegen

In den Zeiten von Chatnachrichten und Mails hat die Tochter unserer Redakteurin das Briefeschreiben entdeckt. Die Mutter erinnert sich an Luftpost aus der DDR.

Der erste Brief, den meine 8-jährige Tochter in ihrem Leben erhielt, kam kurz nach ihrer Geburt an: die Steuer-Identifikationsnummer. So grüßt das Finanzamt. Schon bald folgte das Mitgliedsschreiben von Werder Bremen. Danach passierte lange Zeit nichts. Er ist ja ein bisschen auf der Strecke geblieben, der klassische Brief – überholt von den vielen Chat-Nachrichten und E-Mails. Das Schlimmste, was man einem anderen Menschen in dieser Hinsicht antun kann, sind allerdings Sprachnachrichten. Wer will sich minutenlang mit zahlreichen „Ähms“ und „Ahs“ gespickt anhören, warum es bei der Verabredung fünf Minuten später werden kann?

Meine Tochter sah mich meistens Rechnungen, amtliche Schreiben, Urlaubskarten oder Einladungen zu Geburtstagen und Hochzeiten aus dem Briefkasten holen. „Mama, wann hast du zuletzt einen richtigen Brief an jemanden geschrieben?“ Ich überlegte kurz: Es war noch gar nicht allzu lang her. Man könnte sagen, es handelte sich um einen „klassischen“ Liebesbrief; inspiriert von Paul Celan und Ingeborg Bachmann. Er hat auch zum Erfolg geführt, also zwischenzeitlich jedenfalls.

Die herrliche Ungewissheit war es, die den Zauber ausmachte

„Ich möchte so gern wieder mal Post bekommen“, jammerte mein Mädchen. Wie passend, dass ihre gleichaltrige Freundin in Bremen ähnlich dachte. „Du hast Post!“, rief ich neulich. Aufgekratzt wie zu Weihnachten riss meine Tochter mir den Umschlag aus der Hand, öffnete ihn und las hastig vor. Ich habe die Erlaubnis, zu zitieren: „Liebe L., ich wollte Dir einfach mal schreiben. Wie ist die Lage bei Euch? Uns geht es gut.“ Unverzüglich formulierte mein Mädchen eine Antwort: „Liebe F., uns geht es gut. Ich bin in den Herbstferien in Bremen. Rufe mich oder meine Oma an. Wir können es besprechen. Ich freue mich auf Post und Besuch. Deine L. Bitte schreibe auch weiter.“

Der Reiz war nicht der Inhalt der Schriftstücke, sondern das Warten auf diesen Moment, bis endlich der Umschlag im Kasten liegt. Diese Zeit dazwischen, die herrliche Ungewissheit ist es, die – wie immer im Leben – den Zauber ausmacht.

1986 ließ ich einen Heliumballon mit meiner Adresse steigen

„Der Brief muss ja ganz von Bremen nach Berlin“, sinnierte meine Tochter. Da fiel mir wieder die Geschichte meiner eigenen, ungewöhnlichen Kinder-Brieffreundschaft ein. Es war 1986, als ich bei einem Volksfest in Bremen eine Postkarte mit meinem Absender an einem Heliumballon steigen ließ. Monate später erhielt ich einen Brief – aus der DDR. Von einer Indira K. Das Mädchen, nur vier Jahre älter als ich, hatte den Ballon in einem Kornfeld gefunden. Er war bis in die Nähe ihres Heimatortes Hagenow im heutigen Mecklenburg-Vorpommern geflogen.

Indira und ich schrieben uns über knapp vier Jahre immer mal wieder hin und her: wie wir lebten (sie hatte vier Brüder), was unsere Hobbys waren (Fußball), welche Musik wir hörten (ich: Bruce Springsteen, sie: Modern Talking). Dann schlief der Kontakt ein. Einen richtigen Grund gab es, wenn ich mich richtig erinnere, nicht.

„Was wohl aus dem Mädchen geworden ist?“, fragte meine Tochter. Ich hatte den gleichen Gedanken. Vielleicht sollten wir uns demnächst mal auf die Suche begeben.

Wie schreibe ich einen Brief? Dies lernen Grundschüler zum Beispiel im Internet unter www.lernfoerderung.de.

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