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Von außen öde, von innen bunt: der Jugendclub "Potse". Am 19. Mai soll geräumt werden.

© imago/Stefan Zeitz

Jugendclub in Berlin vor dem Aus: Was an der nahenden Räumung der „Potse“ alles falsch ist

Wenn es am 19. Mai wie geplant zur Räumung kommt, siegt das Interesse privater Vermieter. Und Verlierer sind wieder einmal: die jungen Leute. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Madlen Haarbach

Die „Potse“ ist einer der ältesten Jugendclubs Berlins und eines der wenigen selbstverwalteten Jugendzentren der Stadt. Am 19. Mai droht die polizeiliche Räumung – und das, obwohl eine Alternativlösung in Reichweite zu sein scheint: ein Umzug auf den ehemaligen Flughafen Tempelhof. Ob tatsächlich und wann genau, ist allerdings nach wie vor unklar.

Der Fall der „Potse“ ist in mehrfacher Hinsicht exemplarisch. Den Jugendclub gibt es seit den 1970er Jahren in der Potsdamer Straße in Schöneberg. Seitdem änderte sich alles in der Nachbarschaft. Nobelrestaurants und Galerien öffneten, direkt über dem Jugendclub vermietet ein Unternehmen Coworking-Plätze. Die einst graue Potsdamer Straße ist mittlerweile vergoldet.

Nur die „Potse“ blieb das, was sie schon immer war: ein Ort, an dem die Jugendlichen sich selbst verwalten. Alles für alle und alles umsonst. Die Miete bezahlte der Bezirk, den Rest finanzierten Spenden.

Das Gebäude, indem die „Potse“ Mieter ist, gehörte einst der Stadt und wurde, wie so viele Wohnungen, an private Eigentümer verkauft. Aus deren Sicht passte der Jugendclub mit seinen lauten Punkpartys nicht mehr ins Viertel.

Nach langjährigen Verhandlungen und mehreren Mieterhöhungen wurde der Mietvertrag dann nicht mehr verlängert. Das Kollektiv der „Potse“ entschied, dennoch zu bleiben. Der Bezirk, weiter gegenüber dem Vermieter in der Pflicht, reichte Räumungsklage ein.

Eine Art Ersatzfamilie

Dem Club droht nun, ein weiteres Opfer der viel beklagten Gentrifizierung zu werden. Und noch für etwas anderes steht er exemplarisch: für die Unterfinanzierung der Jugendarbeit.

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401 Jugendclubs gibt es in Berlin, die meisten arbeiten unter prekären Bedingungen. Obwohl Expert:innen schon lange kritisieren, dass die Zahl der Jugendclubs zu gering sei, sind kaum neue Angebote hinzugekommen. Für die meisten der rund 60 .000 Berliner Jugendlichen, die regelmäßig Jugendclubs besuchen, sind sie nicht nur der Ort, wo sie ihre Freizeit verbringen, sondern eine Art Ersatzfamilie. Wenn sie Probleme haben, wenn die eigenen vier Wände zu eng werden, sind die Jugendclubs für sie da.

Gerade jetzt, in Zeiten von Corona, ist das wichtiger denn je. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene müssen seit über einem Jahr nicht nur ihren Schulalltag neu organisieren, sondern auch auf all die Erfahrungen verzichten, die sich kaum nachholen lassen. Der erste Kuss, die ersten Partys, kleine und große Rebellionen gegen die Erwachsenen, die Planung der eigenen Zukunft.

In Jugendclubs lernen junge Menschen auch, wie Politik funktioniert

Der Kampf um die „Potse“ war in den vergangenen Monaten für einige Jugendliche etwas, was ihnen Stabilität gab, was ablenkte vom immer gleichen Pandemiehamsterrad. Vom „Potse“-Kollektiv hieß es, eine Räumung in Pandemiezeiten wäre ein „jugendpolitisches Desaster“.

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In Jugendclubs lernen Kinder und Jugendliche, Verantwortung zu übernehmen und sich selbst zu organisieren. Sie lernen auch, wie Politik funktioniert – und das manchmal öffentlicher Druck nötig ist, um etwas zu bewegen.

Der Kampf um die „Potse“ zeigt, dass das in diesem Fall gelungen ist. Dann sollten Bezirk und Senat aber auch beweisen, dass sie diesen Kampf anerkennen – und nicht auf einer Räumung ohne klare Zukunftsperspektive bestehen. Besonders nicht nach einem Jahr, in dem Kinder und Jugendliche ihre Bedürfnisse zu oft hintan stellen mussten.

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