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Mittagessen im Klassenzimmer der Kurt-Schumacher-Grundschule in Berlin Kreuzberg am 16. Dezember 2019.

© Stefan Weger / TSP

Schulöffnungen in der Corona-Krise: Warum höchste Vorsicht geboten ist

Statt einer gefährlichen Brachial-Öffnung der Schulen, sollten bestimmte Elterngruppen bevorzugt werden. Alleinerziehende zum Beispiel. Ein Gastbeitrag.

Es ist richtig, dass sich der Berliner Senat sich an die Vorgaben des Bundes hält und die Schulen bis auf die Abiturjahrgänge erst einmal geschlossen bleiben. Denn: Es kann nicht sein, dass hier ein epidemiologisches Experiment mit den Familien von Schulkindern und mit ihren Lehrern gemacht wird.

Gerade in Großstädten sind viele Eltern „alte Eltern“. Das Durchschnittsalter der Eltern (bei Erstgeburt) liegt in Berlin höher als in jedem anderen Bundesland. Viele Schüler haben Eltern, die über 50 Jahre, zum Teil auch über 60 Jahre alt sind. Darunter finden sich zahlreiche Vorerkrankte.

Soll deren Gesundheit einfach aufs Spiel gesetzt werden?

Das Gleiche gilt für Lehrer. In Berlin liegt das Durchschnittsalter von Lehrern bei 47 Jahren. Mehr als die Hälfte - 55 Prozent - der Lehrer in Berlin ist älter als 50 Jahre. Nur Thüringen hat einen höheren Altersdurchschnitt.

Fast eine Großveranstaltung: Grundschulen mit 600 Kindern in Berlin

Der Vorschlag nach schneller Öffnung wirkte zudem inkonsequent mit Blick auf andere Regelungen: Während nach wie vor strenge Kontaktsperren bestehen, findet zeitgleich in der Schule täglich eine Großveranstaltung statt?

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In Berlin gibt es einige Grundschulen, die von über 600 Kindern besucht werden. Dass Grundschüler ausreichend Abstand zu einander halten könnten, beim morgendlichen Betreten der Schule, des Klassenzimmers, in den Pausen (Spielen mit zwei Metern Abstand?) oder beim gemeinsamen Essen, ist nicht realistisch.

Selbst bei Verteilung der Kinder auf zwei Gruppen - vormittags und nachmittags - wie angeregt wurde, treffen viel zu viele Kinder aufeinander. Zurecht hat der Verband Bildung und Erziehung (VBE) dies vehement kritisiert. Eine Teilung aller Klassen sei logistisch kaum möglich und würde doppeltes Personal erfordern.

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Dem Argument der Leopoldina, dass ältere Schüler eher mit digitalen Lernaufgaben umgehen können, ist leicht zu entgegnen: Ebenso können sie viel besser Abstand halten. Auch Schutzmasken könnten älteren Schülern eher zugemutet werden als Grundschülern.

Auch für Kinder von Alleinerziehenden könnte man die Schulen zuerst öffnen

Apropos Hygiene: Berliner Schulen sind leider oft sehr unhygienische Orte. Versäumnisse vor der Corona-Krise rächen sich jetzt. Dass binnen kürzester Zeit allen Schülern genügend Waschbecken mit warmen Wasser, Spender mit Seife und Desinfektionsmitteln zur Verfügung gestellt werden können, muss man bezweifeln.

Ein Lösungsvorschlag: Statt einer epidemiologisch gefährlichen Brachial-Öffnung der Schulen sollte die Liste der systemrelevanten Berufe erweitert werden. Damit hätten mehr Eltern die Möglichkeit, ihrer Arbeit nachzugehen, ohne parallel dazu ein Homeschooling stemmen zu müssen.

Hintergründe zum Coronavirus:

Die Notbetreuung könnte für diejenigen stärker geöffnet werden, die nächste Woche wieder ihre Arbeit aufnehmen und im Handel oder Dienstleistungsbereich Präsenzpflicht haben. Zu überlegen wäre auch, Alleinerziehende zu berücksichtigen. In Berlin sind zwölf Prozent der Kinder anspruchsberechtigt, aber weniger als sechs Prozent wurden von ihren Eltern in die Notbetreuung gegeben.

In den Grundschulen betrug ihr Anteil sogar nur 1,7 Prozent. Sandra Scheeres hatte mit deutlich mehr Anmeldungen gerechnet. Hier wäre noch Luft nach oben, um Eltern mit großen Vereinbarkeitsproblemen zu unterstützen.

Auch Anfang Mai muss genau evaluiert werden, wie die Infektionsrate in Berlin aussieht und ob eine allgemeine Schulöffnung dann schon stufenweise anvisiert werden kann. Nichts wäre verheerender als ein Rückschlag, der eine neuerliche Schließung der Schulen nach sich zöge.

Tanja Dückers, geboren 1968 in Berlin, ist Schriftstellerin, Literaturwissenschaftlerin und Journalistin.

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