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Eine Chinesin in Deutschland: Warum Berlin trotz allem so wunderbar ist

Jan Cao kommt aus China und macht gerade ein Praktikum beim Tagesspiegel. Hier berichtet sie von ihren ersten Erfahrungen in der Hauptstadt - über Bürokratie und den öffentlichen Nahverkehr. Und über die geplatzte Flughafeneröffnung.

Wenn ich zum Flughafen Nanjing fahre, verlasse ich das Haus normalerweise zweieinhalb Stunden vorher. Es dauert eineinhalb Stunden, mit dem Auto zum Flughafen zu fahren. Die Sicherheitskontrolle dauert auch sehr lang. Wenn ich nach Tegel fahren? Fünfzehen Minuten mit dem Bus und ich bin da. Sehr effizient, oder? Schade, dass der innerstädtische Flughafen geschlossen werden soll. Dabei hat das mit dem neuen Flughafen in Brandenburg nicht geklappt. Ich verstehe das nicht.

Ich komme ursprünglich aus Nanjing, China und wohne in Rhode Island, USA. Das erste, was mir in Berlin aufgefallen ist, sind die Bauarbeiten. Die Leute in Berlin beschweren sich ständig darüber. Aber ich finde, das ist kein großes Problem. Bauarbeiten bedeuten aus meiner Sicht, dass man naher Zukunft eine bessere Situation vorfindet.

Man braucht in Berlin kein Auto, um in der Stadt zu wohnen, und die U- und S-Bahn Züge sind besser als die in New York, auf jeden Fall.

Aber die deutsche Bürokratie ist so unerfreulich wie die chinesische. Ich habe mich schon zwei Mal um ein Deutsches Visum beworben. Es ist ein Albtraum. Ich musste den Termin mit dem Deutschen Konsulat in Boston einen Monat im Voraus vereinbaren. Zu diesem Termin musste ich alle Dokumente mitbringen: die Zulassung einer Universität, den Krankenversicherungsschutz, den Nachweis über meine Studienleistungen und Deutschkenntnisse, die Finanzierungsnachweis, das Flugticket, usw.. Im Konsulat wurde ich dann aber plötzlich nach anderen Dokumenten gefragt. Darauf war ich nicht vorbereitet. Also musste ich einen neuen Termin vereinbaren. Es dauerte ewig, bis ich am Ende das Visum bekam.

Dauerbaustelle Unter den Linden:

Als ich dann endlich in Berlin ankam, füllte ich noch mehr Formulare aus. Anmeldung, BVG Monatskarte, Girokonto, WLAN… aber alles klappte. Das einzige Problem, für das ich noch keine Lösung habe, ist der Waschservice. Die Waschmaschinen in unserem Haus lassen sich nämlich nur mit einer Chipkarte bedienen, die man mit Guthaben aufladen muss. Die Wohnheimverwaltung Siegmunds Hof, wo ich wohne, bietet aber nur an drei Tagen die Woche eine Sprechstunde an - für zwei bis vier Stunden. Aber die Studenten müssen jeden Tag arbeiten oder zum Unterricht gehen. Deswegen ist es sehr schwer für uns, die Wäsche zu waschen. Ich finde es unangenehm aber auch lustig: warum können wir nicht einfach die Wäscherei mit Bargeld zahlen? 

Das Berliner Nachtleben ist berühmt - und bedroht:

Warum ist Berlin trotzdem so wunderbar? Das Zauberformel heißt: niedrige Mieten, die beste Clubs der Welt,  ein Schwimmbad, das aus einem Stahlcontainer besteht, ein Flohmarkt, der auch als „Open-Air Karaoke“ funktioniert, usw. Berlin ist nicht nur billiger als Rhode Island – für eine Zweizimmerwohnung bezahlt man normalerweise 1,000 Dollar pro Monat – sondern auch billiger als China. Wahrscheinlich überrascht das viele. China soll ja angeblich viel billiger sein als Europa. Leider ist es nicht so: In Nanjing kostet eine Einzimmerwohnung zwischen 50 und 400 Euro, die meisten aber rund 200 Euro – fast so viel wie in Berlin. Das durchschnittliche Einkommen der Einwohner Nanjings beträgt aber nur 2000 Euro pro Jahr, oder 167 Euro pro Monat. 

Die besten Berliner Clubs:

Viele meiner amerikanischen Freunde lieben Berlin und möchten so lange wie möglich in Berlin bleiben, einfach wegen den Partys. Berghain, KitKat, Watergate… Die Ausländer sind verrückt nach den international bekannten Clubs. Die junge (und älteren) Nachtschwärmer gehen ins Club nach Mitternacht und feiern die ganze Nacht bis zum Morgen, manchmal sogar bis nachmittags. Außer tanzen und trinken kann man viele andere Dinge in diesen Clubs machen: schwimmen, Cupcakes essen, dumme Spiele spielen, oder einfach am Strand sitzen und Spaß haben. In Nanjing gibt nur ein paar Dance Clubs, und man feiert selten bis nach zwei Uhr. Die jungen Leute finden Karaoke, Dinner Partys und Tabletop Games interessanter als tanzen und trinken. Rhode Island ist eben langweiliger: Ein Gesetz verhindert, dass Bars und Clubs nach ein Uhr noch offen sind. 

Meine Heimatstadt Nanjing ist sehr groß – mehr als fünf Millionen Einwohner. Auf jeder Allee stehen wunderbar schöne und alte Bäumen. Viele historische Gebäude zeugen von der Ming-Dynastie und vom ehemaligen Glanz der Stadt. Aber alle Bezirke sehen ähnlich aus. Berlin hat nur 3,5 Millionen Bewohner und ist kleiner als Nanjing, aber es sieht aus wie viele kleine Städte in einer großen Stadt. Es gibt das ruhige und schöne Charlottenburg-Wilmersdorf, das „Klein-Istanbul“ Kreuzberg, das trendige und kultige Penzlauer Berg, die historische Mitte, und so weiter. Die Leute in Berlin kommen aus der ganzen Welt: meine Nachbarn sind eine Dänin, zwei Italiener, eine Polin, eine Vietnamesin, ein Schweizer, und ein Chinese, aber leider kein Deutscher. Viele Berliner können perfekt Englisch und wenn sie bemerken, dass mein Deutsch nicht so fließend ist, wechseln sie zu Englisch. 

Alle Städte haben eine gute Seite und eine schlechte Seite. Ja, es regnet jeden Tag in diesem Sommer, und der neue Flughafen ist einfach eine dumme Idee. Aber für mich ist Berlin doch sehr interessant und einzigartig. Die Stadt gehört keinem, also gehört sie allen. Berlin ist nicht nur den Reichen und den Investoren vorbehalten. Hier kann alles passieren.

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