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Bettina Jarasch (Bündnis 90/Die Grünen), Spitzenkandidatin ihrer Partei für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl 2021.

© Annette Riedl/dpa

Berliner Parlament gegen Antisemitismus: „Wann schieben wir endlich Björn Höcke ab?“

Im Abgeordnetenhaus verurteilten am Donnerstag alle Parteien Judenhass. Innensenator Andreas Geisel kündigte Studie zum Antisemitismus in Berlin an.

Wenige Tage nach den antisemitischen Ausschreitungen in Neukölln haben Politiker:innen aller Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus die Taten verurteilt. In einer Debatte am Donnerstag im Plenum unterstrichen Vertreter aller sechs Fraktionen und Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) ihre Solidarität mit Israel und bekannten sich zum Existenz- und Selbstverteidigungsrecht des jüdischen Staates.

Gleichzeitig betonten sie, dass jüdische Menschen in Berlin sicher sein müssten und Antisemitismus jeder Art konsequent zu bekämpfen sei. Dazu beschloss das Parlament mit breiter Mehrheit wie schon 2018 auch eine Entschließung.

Es war aber, wie so oft, auch ein Wettstreit um die deutlichsten Worte: „Wer die Hand gegen einen Polizisten erhebt, gehört nicht mehr in unser Land, der ist in Berlin und in Deutschland nicht erwünscht“, sagte etwa der CDU-Fraktionsvorsitzende Burkard Dregger. Er forderte außerdem einen besseren Schutz für jüdische Einrichtungen.

Bei den Ausschreitungen in Neukölln waren am Wochenende 93 Polizist:innen verletzt worden. Auf der Demonstration waren vor allem arabisch- und türkischstämmige Menschen. Auch die AfD nutzte die Debatte, um vor „importiertem Antisemitismus“ zu warnen, und forderte, die Täter auszuweisen.

Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch entgegnete: „Hätten wir auch den Attentäter von Halle abschieben sollen? Und: Wann schieben wir endlich Björn Höcke ab?“ Der Kampf gegen Antisemitismus müsse hier geführt werden. „Den können wir nicht einfach von uns wegschieben", sagte sie.

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Es war dann die Linken-Fraktionschefin Anne Helm, die sich von den Demonstrationen am Wochenende löste und präzise zusammenfasste, was der eigentliche Kern des Problems ist: „Antisemitismus ist facettenreich. Und es ist als Gesellschaft im Land der Täter der Shoah unsere Pflicht zu erkennen, wo er herkommt“, sagte sie.

Antisemitismus beginne nicht erst bei Vernichtungsgedanken von Rechtsextremisten. „Es gibt ihn in allen Milieus: im islamischen, im rechten, im linken, aber leider auch in der gesellschaftlichen Mitte.“ Für die Demokratie, sagte Helm, sei diese Bedrohung abstrakt, „aber sehr konkret für Jüdinnen und Juden“.

Geisel kündigt Dunkelfeldstudie Antisemitismus an

Innensenator Andreas Geisel (SPD) kündigte unterdessen an, eine Dunkelfeldstudie zu antisemitischen Straftaten auf den Weg bringen zu wollen. „Die Landeskommission Berlin gegen Gewalt wird in den nächsten Wochen eine Dunkelfeldstudie in Auftrag geben“, sagte er im Plenum.

Rund 385 antisemitische Taten seien in der polizeilichen Kriminalstatistik für das Vorjahr gezählt worden. „Wir gehen davon aus, dass es über diese Zahlen hinaus ein wesentlich größeres Dunkelfeld gibt, weil viele betroffene Menschen solche Taten nicht anzeigen.“ Es sei jedoch dringen erforderlich aufzuklären, wie viele dieser Straftaten es tatsächlich in der Stadt gebe, um die Frage zu klären, welche politische Motivation dahinterstehe.

Mit Blick auf die Ausschreitungen vor allem junger, arabischstämmiger Personen bei den Demonstrationen des vergangenen Wochenendes sprach Geisel davon, neue Strategien gegen Antisemitismus entwickeln zu müssen. „Unsere De-Radikalisierungsmaßnahmen vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte bezogen auf den Holocaust gehen womöglich an dieser Tätergruppe vorbei, weil sie sagen, ihre Familien haben da noch gar nicht in Deutschland gelebt.“

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Es sei daher beispielsweise notwendig, den Nahostkonflikt in seiner Komplexität stärker in den Schulen zu behandeln. Um tatsächlich verifizieren zu können, dass dies eine mögliche Ursache der Taten ist müsse jedoch zunächst das Dunkelfeld erhellt werden, so der Innensenator.
Am vergangenen Wochenende war es am Rande einer pro-palästinensischen Demonstration zu Ausschreitungen gekommen. Im Zusammenhang mit den Krawallen habe es insgesamt 79 Strafanzeigen gegeben, die an die Staatsanwaltschaft übermittelt worden seien, sagte Geisel sagte am Donnerstag. Den Tätern werde vor allem Volksverhetzung, Körperverletzung, Landfriedensbruch und schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen.

Unterstützer Israels rufen am Donnerstag um 19 Uhr zu einer großen Demonstration „Solidarität mit Israel - Gegen jeden Antisemitismus“ am Brandenburger Tor auf. Unter den angekündigten Rednern sind Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD), Justizministerin Christine Lambrecht (SPD), der israelische Botschafter sowie Bundespolitiker von CDU, FDP, Linken und Grünen. Auch viele Berliner Landespolitiker kündigten ihre Teilnahme an. 

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