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Sockenkampagne. Der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Hintze machte 1994 einen klassischen Lagerwahlkampf.

© Martin Gerten, dpa

Vor der Wahl in Thüringen: In Berlin schwankt das Verhältnis von CDU und Linken

Zwischen Pragmatismus und Unvereinbarkeitsbeschluss: Seit der Wende rätseln die Christdemokraten, wie sie mit der Linkspartei umgehen sollen. Ein Rückblick.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

„Man muss sich ja nicht lieben“, hat der frühere Linken-Fraktionschef Harald Wolf gesagt. Das war vor 20 Jahren, als die Linke noch PDS hieß und gerade erst begann, aus der Rolle des politischen Schmuddelkinds herauszuwachsen. Ein normales Miteinander gab es noch nicht. Grüne und SPD definierten in Berlin ihr Verhältnis zu den Sozialisten behutsam neu. Die CDU hatte damit von Anfang an große Probleme – so wie jetzt wieder in Thüringen. Trotzdem entwickelte sich schon in den ersten Jahren nach dem Mauerfall gelegentlich ein pragmatischer Umgang mit der PDS.

Dies wurde dadurch befördert, dass die Sozialisten in ostdeutschen Städten und Gemeinden, aber auch in den Berliner Bezirken beachtliche Wahlerfolge erzielten, von denen die „West-Parteien" überrumpelt wurden. Jenseits von Bündnissen zwischen CDU und SPD wurde es immer schwieriger, Mehrheiten gegen die PDS zu bilden. „Die Parteien umwerben uns nicht nur am Biertisch, sie bedrängen uns, ihre Kandidaten zu wählen“, stellte 1994 der PDS-Parteichef Lothar Bisky fest. Absprachen zur Unterstützung guter Kandidaten, auch mit der CDU, hielt er für normal.

Weizsäcker: Kooperation "zum Teil unausweichlich"

Dies stand im diametralen Gegensatz zur knallharten Position der Bundes-CDU, deren Generalsekretär Peter Hintze die Kooperation mit der PDS Mitte der neunziger Jahre als parteischädigendes Verhalten einstufte. Deutlich gelassener reagierte damals der Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker, vormals Regierender Bürgermeister von Berlin. An Koalitionen mit der PDS auf Landesebene denke er zwar nicht, sagte der Christdemokrat. Die Kooperation mit gewählten PDS-Politikern auf kommunaler Ebene nannte er aber „zum Teil unausweichlich“. Diese gespaltene Position der Union setzt sich bis heute fort.

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So ließ Berlins Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) noch 1997 Teile der PDS nachrichtendienstlich überwachen. Zur selben Zeit lobte der Bezirkspolitiker und spätere Berliner CDU-Chef Frank Henkel den „patenten Umgang“ mit den Sozialisten auf bezirklicher Ebene. Meistens könne man die kommunale Kärrnerarbeit ohne ideologische Schwierigkeiten erledigen. Auf bezirklicher Ebene, zuerst in Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg, Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf, Pankow und Treptow-Köpenick, arrangierten sich in den neunziger Jahren alle demokratischen Parteien mit der PDS.

„Wenn Ideologie draußen bleibt, kann man gut zusammenarbeiten“

Auch die Union. „Wenn Ideologie draußen bleibt, kann man gut zusammenarbeiten“, sagte Stephan Tromp, damals CDU-Kreischef in Mitte und heute Geschäftsführer beim Handelsverband Deutschland. Derweil traf sich in Brandenburg dessen Parteifreund Schönbohm mit dem Brandenburger PDS-Landeschef Ralf Christoffers, um das Verhältnis zueinander zu normalisieren. Das hatte handfeste Gründe. In Berlin und Brandenburg traten mit Klaus Wowereit und Matthias Platzeck Anfang des neuen Jahrtausends zwei Sozialdemokraten auf den Plan, die sich eine Regierungskooperation mit der PDS auch auf Landesebene vorstellen konnten.

Nach Diepgens Niederlage schloss die Berliner CDU eine Kooperation mit der PDS nicht mehr aus.
Nach Diepgens Niederlage schloss die Berliner CDU eine Kooperation mit der PDS nicht mehr aus.

© dpa

Das verunsicherte die Christdemokraten sehr, denn ihre Abgrenzungspolitik auf Landesebene wurde mit Machtverlust bestraft. Der damalige CDU-Landeschef Eberhard Diepgen, der sein Amt als Regierender Bürgermeister gerade verloren hatte, schloss schon im August 2001 eine Zusammenarbeit mit der PDS nicht mehr grundsätzlich aus. „Vielleicht ist die PDS in fünf, zehn oder 20 Jahren so weit.“ Das widersprach diametral dem immer noch geltenden Grundsatzbeschluss des Berliner CDU-Landesvorstands von 1996: „Die PDS ist eine linksextremistische Partei und gehört zu den Feinden unserer Werte wie Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit.“

2004 wurde neues Verhältnis definiert

Ein Verdikt, das regelmäßig in Widerspruch zur Realität geriet. Ein Pionier des neuen Umgangs mit der PDS war der frühere Wirtschafts- und Finanzsenator Elmar Pieroth, der ein fast freundschaftliches Verhältnis zur PDS-Landeschefin Petra Pau pflegte, mit der er sich schon während des Abgeordnetenhaus-Wahlkampfs 1995 in Hellersdorf auf einem roten Sofa fotografieren ließ. Pieroths politischer Ziehsohn Mario Czaja stieß in den Folgejahren ins gleiche Horn und forderte ein Ende der „ideologischen Haudrauf-Kampagnen“.

Im Mai 2004 definierten dann der damalige Vize-Fraktionschef der CDU, Michael Braun, und dessen Parteifreund Manfred Wilke, Leiter des Forschungsverbunds „SED-Staat“ an der Freien Universität, das Verhältnis zur PDS neu. In einem Thesenpapier lehnten sie zwar Koalitionen mit der PDS auf Landesebene ab, aber nicht die „punktuelle Zusammenarbeit“ mit den Sozialisten.

Auch in Brandenburg keine klare Haltung

Die Union müsse neue Wege gehen, um die andauernde politische Spaltung Berlins zu überwinden, schrieben Braun und Wilke. Leider werde die CDU im Ostteil der Stadt noch „vielerorts als Westpartei wahrgenommen, die das Lebensgefühl ehemaliger DDR-Bürger nicht versteht“. Mehrheitsfähig waren diese Thesen in der Berliner CDU nicht.

Auch in Brandenburg gab es keine klare Haltung. So führte im Sommer 2006 die Wahl des Cottbusser Oberbürgermeisters Holger Kelch (CDU) mithilfe der Stimmen der PDS zu einer Zerreißprobe im brandenburgischen CDU-Landesvorstand. Der ehemalige CDU-Kreischef im Havelland, Dieter Dombrowski, der später zum CDU-Fraktionschef aufstieg, ermahnte die Parteifreunde, sich an die Realitäten zu halten. Die Bürger nähmen die PDS als normale Partei wahr, die mit anderen im Wettbewerb stehe.

Grüne öffneten sich zuerst

Es waren die Grünen, die im Januar 2000 eine Kooperation mit der PDS auf Berliner Landesebene nicht mehr ausschlossen. Zwei Monate später hielt der damalige SPD-Fraktionschef Klaus Wowereit eine „neue Qualität der Zusammenarbeit“ für möglich. Die Union war auf einmal isoliert und musste reagieren. Für viele überraschend warb der CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky plötzlich für eine „neue Kultur des Umgangs miteinander“. In einem gemeinsamen Tagesspiegel-Interview mit dem PDS-Fraktionschef im Bundestag, Gregor Gysi, sah der Christdemokrat „ein entideologisiertes Zeitalter“ kommen. Die entscheidende Frage sei, ob die PDS innerhalb des demokratischen Spektrums zur glaubwürdigen Alternative werden könne.

Sah ein "entideologisiertes Zeitalter" voraus: Gregor Gysi.
Sah ein "entideologisiertes Zeitalter" voraus: Gregor Gysi.

© dpa

Umgekehrt forderte Gysi von der eigenen Partei ein anderes Verhältnis zur CDU, weil es auch an Linken und Christdemokraten liege, „ob die innere Einheit in Berlin funktioniert oder nicht“. Der Berliner Fraktionschef Wolf legte wiederum der Union nahe: Wenn die CDU im Osten Deutschlands mehr erreichen wolle, „geht das auf Dauer nicht mit der Ausgrenzung der PDS“. Doch zwei Jahrzehnte später ist das Verhältnis immer noch ungeklärt.

In Berlin waren es SPD und Grüne, die 2001 nach dem Ende der Großen Koalition den Tabubruch wagten. Das war nach innen und außen ein schwieriger, schmerzhafter Prozess. Rot-Grün ließ sich von der PDS tolerieren, dann regierte die SPD zehn Jahre allein mit den Sozialisten. Die rot-schwarze Koalition, die folgte, war von kurzer Dauer – und es sieht so aus, als würde die Berliner CDU ihre mehrheitlich abgrenzende Haltung gegenüber den Linken auch in den nächsten Jahren teuer bezahlen müssen: Mit dem Verzicht auf Regierungsmacht.

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